Neue Freunde fürs Planning

von Wolfgang Steiner, Head of Strategie Planning, SapientNitro Deutschland

 

Seit dem Entstehen der ersten Werbeagenturen im 19. Jahrhundert hängt dieses Gewerbe vom Wohl und Wehe der Medien ab. Kein Wunder, es ist ja quasi als Zuführbetrieb der Medienwirtschaft entstanden. „Wir bringen Euch in die Zeitung“, hieß es zunächst, später auch „ins Kino“ oder „ins Fernsehen“ und zuletzt vor allem gerne „ins Internet“. Frei nach Baby Schimmerlos: „In ist, wer drin ist“. Kaum sind neue Kommunikationskanäle verfügbar, profilieren sich Werbeagenturen gegenüber ihren Auftraggebern als die entscheidenden Türsteher zum Glück und Erfolg.

Gerade aber das Internet wird oft auch als Grund genannt, warum Werbeagenturen bei ihren Kunden an Anerkennung und Relevanz verloren haben. Die veränderte Mediennutzung sorgt dafür, dass Reichweiten deutlich nachlassen und die Akzeptanz von Werbebotschaften kontinuierlich sinkt. Um den Türsteher ist es ruhiger geworden.

 

Online ist kein Kanal

Das Internet ist mehr als ein Kommunikationskanal. Es ist die Arbeitsgrundlage für fast alle Bereiche eines Unternehmens. Das Beispiel des friends‘ store von Levi’s im Open Graph protocol von facebook zeigt das deutlich. Social Commerce ist Realität. „Online“ findet im Marketing genauso statt, wie in der Personalabteilung, in der PR, im Vertrieb, in der Produktentwicklung oder in der Kundenbetreuung. Es öffnet Organisationen gegenüber der Öffentlichkeit und ihren Endkunden wie noch nie zuvor.

Der treibende Faktor ist Technologie; ihre rasend schnelle Weiterentwicklung verändert das Leben von Konsumenten auf der ganzen Welt. So führt die Popularität von Smartphones zu einer immer stärkeren Nutzung mobiler Webseiten. Laut Voraussagen der Marktforscher von Deloitte werden allein 2010 eine halbe Milliarde Smartphones verkauft werdeneindrucksvoller Beleg für den wachsenden Bedarf an mobilen Internetdiensten. Ob Informationen abrufen, netzwerken, einkaufen oder reklamieren – Konsumenten sind heute technisch in der Lage alles zu tun, wann und wie sie es möchten.

 

Online lässt die Organisationen wackeln

Unternehmen fällt es schwer, mit dieser Entwicklung mitzuhalten, und die Erlebnisse mit der Marke daraufhin abzustimmen. Ihre Organisationsmodelle stammen aus einer anderen Zeit – aus der Zeit der Silo-Effizienz. Niemals hatte man damit gerechnet, dass grundsätzlich jeder Bereich im Unternehmen direkte Kommunikation nach außen betreibt – und zum aktiven Markenbotschafter wird. Ein im ganzen Unternehmen geteiltes Verständnis für die eigenen Kunden wird gebraucht, um die Position der eigenen Marke und Organisation zu den Kunden zu verstehen und zu vermitteln. Gebraucht wird: Customer Experience. Nicht nur im Marketing. Gebraucht wird abteilungsübergreifend der Perspektivwechsel: Von der Marke, vom Produkt und Produktionsprozess, hin zum Konsumenten. Was bewegt ihn, interessiert ihn, was denkt er, fühlt er und erlebt er? Customer Insights – Strategische Planer haben sie im Blut.

 

Der Perspektivwechsel als Chance

Bislang galt die strategische Planung eher als Ermöglicher exzellenter Kreation. Mehr Ruhm fiel auf die Kollegen aus der Kreation selbst. Auf den Festivals und auch bei Kunden. Kann gut sein, dass sich das mit dem anhaltenden technologischen Wandel ändert. Das Internet wirbelt in den Unternehmen nicht nur die Welt der Kommunikation durcheinander, sondern auch die des Handels, der Warenwirtschaft und des Umgangs mit Endkunden.

Wann immer es darum geht, die Beziehung von Verbrauchern mit der Marke zu beobachten, zu interpretieren und weiter zu entwickeln, könnten strategische Planer der Agenturen dabei zu gern gesehenen Gesprächspartnern auch in Unternehmensbereichen jenseits des Marketings werden.

Denn Kundenerlebnisse als einzelne Episoden zu betrachten, ist nicht Ziel führend. Kunden unterscheiden Marken nicht nach Abteilungen. Das stimmige Markenerlebnis wird nur möglich, wenn sich die Kundenerlebnisse stimmig über alle Kanäle entsprechen.

 

Neues Selbstverständnis schafft neue Freundschaften

Wenn das Wachstum für Agenturen nicht mehr aus dem Windschatten einzelner Medien heraus gewonnen werden kann, ist es Zeit, sich auf eigene Stärken zu besinnen. Auf eine Stärke, die Agenturen in sich tragen: Den Perspektivwechsel auf die Welt der Verbraucher – und die Fähigkeit, die Erkenntnisse mit dem Geschäft des Kunden zu verknüpfen. Agenturen haben nun die Möglichkeit, über die strategische Planung neue Freunde in den Unternehmen kennen zu lernen und aus ihnen neue Kunden zu machen. Diese Chance sollten sie nutzen.

 

 

Foto: „Freunde: durch dick und dünn!“ | Fotoline | photocase.de

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