Kinder, Kinder – Konsumenten oder Kreateure?

von Bärbel Boy, boy Strategie und Kommunikation, Kiel

 

Kinder sind Zielgruppe, sie sind die neuen Best Ager, ihr Vermögen ist längst berechnet, bevor sie selbst rechnen können, man rechnet mit ihnen im Produktdesign, in der Regalbefüllung und in der Markenführung. Zu den 130 Mode-Marken zu gehören, die Kinder im Alter von 12 bis 18 Jahren unterscheiden können, ist eine Zukunftssicherung. Denn 70% der Markenbindung ist im Alter von 18 Jahren abgeschlossen. Also auf sie mit Gebrüll!

Im Alter von 3 bis 6 Jahren sind sie angeblich unkritisch und leicht zu beeinflussen- Aber eben schon sehr einflussreich, was Einkäufe und Konsumverhalten der Familie angeht. Deshalb werden sie einerseits erforscht: und zwar als Konsumenten. Andererseits eingesetzt: und zwar als Produkterfinder und Innovatoren.

 

Vom Insight zum Produkt

An Produkten für Kinder kann man lernen, wie man mit guten Insights ein erfolgreiches Produkt kreiert. Mein Lieblingsbeispiel: Der Klapp-Lolli. Eine Plastikdose im Handyformat, etwas kleiner, für die Hosentasche eines 6-Jährigen, ausklappbar, und dann verwendbar als Pistole oder Laserschwert oder Lippenstift, je nach Phantasie und Situation.

Und zum Lutschen. Wenn man ihn erstmal angelutscht hat, gehört er einem selbst allein und keiner will ihn mehr haben. Und sogar die Eltern wollen nicht, dass man ihn teilt, was man bei einer Tüte Bonbons, aus der gleichen Menge Bonbonrohmasse, eigentlich müsste.

Der Klapp-Lolli ist ein Trickser. Man sieht gar nicht, dass er eine Süßigkeit ist, solange er eingeklappt ist. Super Geheimversteck, diese Dose, in der, einmal angeleckt, auch alles andere, was im Speichel so war, sich geschützt vermehrt. Aber praktisch ist das schon, weil da nix in der Hosentasche kleben bleibt und man das Lutschen immer unterbrechen kann, wenn gerade ein anderer Reiz lockt. Und dann wieder aufklappen kann.

 

10 Gramm Statusstolz zu 10 Euro

Kinder mögen Besitz. ‚Meins‘ kommt als Wort im Spracherwerb deutlich vor ‚Deins‘. Kinder mögen kleine Sachen. Sie sammeln sie als wertvolle Schätze in ihren Hosentaschen. Deshalb gehen die wertvollen Schätze leider viel zu oft verloren, vorzugsweise werden sie in den Schlund des Badewannenabflussmonsters gesogen, und müssen neu angeschafft werden.

Die wertvollsten – das sind die Accessoires der Spielhelden, die Statussymbole der Charaktere, die Lego-Laserschwerter und Cowboy-Pistolen, die Detektivkameras in der Größe eines Kinderfingernagels (Alter 4 Jahre) – gibt es nur als Teil eines großen Spielszenarios. Aber die Packung zu z.B. 69,99 lohnt sich auf jeden Fall: Es sind immerhin vier Laserschwerter drin und Grievous.

 

„Hallo. weißt du. was der kann. Mama???“

Kinder lieben Geheimverstecke und Tricks. Dabei sind sie nicht wählerisch: ein Eierköpfer am fremden Frühstückstisch kann in den Rang einer Daniel-Düsentrieb-Erfindung aufsteigen. Kinder mögen Technik und Helden. Helden haben immer diese Sonderausstattungen: Da ist der Füller kein einfacher Stift, sondern ein Mordwerkzeug, es gibt Zaubertränke und Roboterfreunde und vieles mehr. Klapp-Lollis zum Beispiel. Und Barbie-Lippenstifte. Die Produkte zeugen von guter strategischer Arbeit.

 

Future-Kids lesen alte Schmöker

Wir können eine Menge erfahren über die Kinder von heute. Und über die Future-Kids von morgen: Sie heißen Zornige Mädchen, Eco-Starlets, Krachmacher, Schlaumeier, Glühwürmchen, Facebook-Kids. So hat das Zukunftsinstitut sie genannt. Trotz dieser sprechenden Namen lesen sie immer noch das Mickeymaus Magazin und Disneys lustiges Taschenbuch.

So hat es die Kids VA 2010 festgestellt. Ein Blick in die Kinderzimmer hätte genügt. Als Mutter weiß ich, dass diese Zahlen absolut stimmen, wenn sie nicht sogar eine Dunkelziffer der immer noch unter der Decke gelesenen Schmöker übersehen haben. Zahlen für Ferien auf Saltkrokan habe ich leider nicht gefunden. Das Buch aber sehr wohl in bislang jedem besichtigten Kinderzimmer.

 

Multiple Identitäten

„Ich bin Winnetou. Und Old Shatterhand. Und Iltschi. Du kannst ein Böser sein.“ „Nein ich wollte Winnetou sein.“ „Der bin ich aber schon.“ „Das ist gemein.“ „Ok, Du kannst Old Surehand sein, das ist fast genauso gut, und Sam Hawkins.“

Kinder sind gerne ‚wer‘. Am besten sind sie mehrere gleichzeitig. Sie spielen mit den Identitäten genauso wie mit den kleinen Statussymbolen ihrer Spielfiguren, verlieren sie, pflegen sie, vergessen sie, finden sie wieder und verändern sie. Wie auch die Regeln eines Spieles, wenn das gerade opportun ist.

Ihre Anfälligkeit für Identifikationsfiguren ist groß. Wenn aber jemand meint, sie würden wegen einer in der Packung befindlichen Figur ihre Frühstücksgewohnheiten auf Zimties umstellen – der soll mal einen Blick in unsere Speisekammer werfen, in der diverse Cerealien-Packungen noch komplett gefüllt, aber geöffnet ihr mahnendes Dasein fristen. Die Figuren darin wurden herausgefischt, gespielt, verteidigt, versteckt, vergessen, verloren oder zerstört und begründen heute eine Abneigung gegen die Marke, die sich so erpresserisch in unsere Speisekammer geschmuggelt hat.

 

Ich mach‘ mir die Welt, widdewidde. wie sie mir gefällt…

Als Weltentdecker sind Kinder schnell zu faszinieren. Markenwelten erfassen sie schneller als jeder Erwachsene. Und gestalten auch diese um, passen sie an, erfinden sie neu. Sie sind nicht wirklich Konsumenten, sie sind Researcher und Developer. Und, was ihnen an Charakteren und Welten geboten wird, verwenden sie weiter. Dabei haben sie ein feines Gespür für den Unterschied zwischen Realität und Spiel. Ist im Spiel alles möglich, lassen sie sich falsche Versprechen in der Wirklichkeit nicht bieten. Frühstückscerealien haben es inzwischen bei uns schwer.

Als Weltentdecker und Erfinder setzt man die Zukunftskompetenz von Kindern inzwischen bewusst ein, um Innovationen auf den Weg zu bringen. Kinder sind von weniger Denkbarrieren gehalten als Erwachsene und haben gleichzeitig eine hohe Orientierung am persönlichen Nutzen. Die Latitude-Studie ‚Children’s Future Requests for Computers and the Internet‘ hat gezeigt, dass die Vorstellungen der Kinder in nur 4% technisch nicht umsetzbar waren.

 

Die Moral von der Geschicht

Kinder werden geschützt. Deshalb ist der Konsument Kind auch ein moralisches Thema. Der vzbv initiierte eine Kinderkampagne, um die Werbekompetenz der Kinder zu stärken. Es gibt Stimmen, die das laut Kinder VA 2010 gestiegene Markenbewusstsein der Kids, wie sie neudeutsch heißen, mit Sorge betrachten.

Dass das Zukunftsinstitut gleichzeitig eine wachsende Moralforderung der konsumierenden Kinder feststellt und sogar der Terminus ‚Mini-Moralisten‘ auftaucht, stimmt ebenso positiv wie die Feststellung, dass Kinder ihrer kompromisslosen Forderung nach Ehrlichkeit und Authentizität mit ihrer ebenfalls bemerkenswerten digitalen Kompetenz Ausdruck verleihen und als Facebook-Kids auch Konsumerlebnisse und Marken verurteilen.

 

Kleine Aale, Pummelchen. Atlethen und Bohnenstangen

Und wie sind Kinder wirklich? Wer das wissen will und keine Vertreter dieser Zielgruppe in Beobachtungsentfernung hat, dem sei eine Kindertypologie ganz anderer Art empfohlen (siehe Grafik). Im Kinderbuch von Anna Wahlgren kann man erfahren, was die „kleinen Aale“ ausmacht, dass „Bohnenstangen“ eher unter den empfindlichen Persönlichkeiten zu finden sind und wie „Atlethen“ laufen lernen – in jeder Hinsicht. Und dass sich bei der Entwicklung von Menschen drei Phasen abwechseln, in denen sehr unterschiedliche Bedürfnisse dominieren.

Hier lassen sich Insights gewinnen. Ich habe bis zum 8. Lebensjahr nachgelesen: Es stimmt alles! Der verengte Blick auf das Konsumverhalten der Kids wird hier erweitert um eine Innensicht mit zeitloser Bedeutung. Die Bohnenstange und die Cerealien zum Beispiel in der Phase des hässlichen Entleins sind ein hoffnungsloser Fall. Und das war schon so, lange bevor es den Begriff Cerealien gab.

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Foto: „Adrian“ | g-mikee | photocase.de

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