Von blinden Hühnern und Trüffelschweinen – Social Media Monitoring als Instrument der strategischen Markenführung

Lange Zeit haben Marken top-down kommuniziert: Die Unternehmen waren der Sender, die Konsumenten die Empfänger. Sie konnten sich ihrer Diskussionshoheit über Themen, Kritik und Reichweite sicher sein und sich so positionieren, wie es aus ihrem professionellen Blickwinkel richtig erschien. Diese Zeiten sind unwiederbringlich vorbei – Markenverantwortliche auf Unternehmens- und Agenturseite müssen ihr Selbstverständnis und ihre Tools überprüfen und neu ausrichten.

Von Ralf Löffler, Publicis Brand Consultancy und Lars Fieck, Pollittz Planning, Hamburg

 

Die Verbindung aus World Wide Web und persönlichen mobilen Endgeräten eröffnen den Menschen neue Möglichkeiten und haben sie freizügiger, anspruchsvoller und selbstbewusster in ihrem Kommunikationsverhalten gemacht: Sie kommunizieren immer und überall, bilden Netzwerke, sagen und verbreiten ihre Meinung, gestalten eigene Inhalte und verlangen ständig nach Neuigkeiten und Interaktion.

 

Der Konsument wird souverän

Sie nehmen dadurch auch aktiv Einfluss auf die Markenwahrnehmung: Mittlerweile sind mehr als 25% aller Inhalte im Internet über die Top 20 Marken nutzergeneriert – zudem hat das Konsumentenwort deutlich mehr Glaubwürdigkeit. Mit anderen Worten: Der Konsument übernimmt die Macht. Auf den ersten Blick scheint es ein Leichtes, darauf zu reagieren. Die Unternehmen bzw. die Marken steigen in die Diskussion ein, präsentieren sich als kompetenter und offener Partner und beeinflussen die Gespräche in ihrem Sinne. Doch dies ist ungefähr so einfach wie ein Gespräch auf Augenhöhe zwischen Erwachsenen und pubertierenden Jugendlichen.

Warum? Die Markenverantwortlichen wissen oft gar nicht, wie und worüber bzgl. ihrer Marke gesprochen wird. Meist sind es wenige zufällig entdeckte Statements, die Panik oder Freude hervorrufen – ohne zu wissen, ob diese repräsentativ sind.

In den wenigsten Fällen wissen sie, wo diese Gespräche stattfinden. Und wenn sie es wissen, wissen sie nicht, wie man dort den Dialog aufnimmt.

Schließlich sprechen sie oft nicht die Sprache der Netzgemeinde, und sie wissen nicht, wie diese auf ein Einmischen reagieren wird. Positiv? Negativ? Gar nicht?

 

Zuallererst einmal richtig zuhören!

Mit Social Media Monitoring steht dem Marketing und der Strategischen Planung ein komplexes und vielseitiges Instrument für das Zuhören im Netz zur Verfügung.

Mit geeigneten Softwaretools lassen sich alle Kommentare zu Marken und Unternehmen, Bewertungen von Produkten oder auch Gespräche zwischen Konsumenten über Marken herausfiltern. Hierzu wurde in den letzten Jahren eine Vielzahl von Angeboten mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Qualitäten entwickelt. Einige sind frei verfügbar (zum Beispiel Google-Blog-Search oder Technorati), die meisten jedoch bieten ihre Services kostenpflichtig an. Aus dem unübersichtlichen Angebot von über 200 Tools weltweit das Richtige für die eigenen Fragestellungen auszuwählen ist die erste Hürde, die es zu meistern gilt.

Noch entscheidender als die Quelle ist jedoch, wie und von wem das Tool genutzt wird. Um das große Potenzial, das Social Media Monitoring für die Markenführung besitzt, voll auszuschöpfen, sollten folgende Punkte beachtet werden:

Markenführung als Leitmotiv – die Brille, mit der man auf die Suche geht, sollte eine Markenführungsbrille sein, nicht eine nur analytische oder technische.

Ganzheitlich denken – derjenige, der die Analysen führt, sollte ein Marken-, Konsumenten- und Kommunikationsexperte sein.

Einfluss, nicht Masse – es geht im Kern nicht um eine quantitative Bewertung der Postings, sondern um die Kraft bzw. den Einfluss, die die Postings in der Diskussion haben.

Insight driven – das Netz bietet eine Vielzahl an Informationen – sekündlich neu. Hier gilt es, die Spreu vom Weizen zu trennen und sich auf die handlungsrelevanten lnsights zu konzentrieren. Derm nur wer auf der Suche nach Lösungen, Ideen oder neuen Wegen ist, wird diese auch finden.

 

Die Beta-Version wird zur Basis des Handelns

Die Dynamik, mit der Meinungen im Social Web entstehen, verbreitet werden und Einfluss auf die Marke nehmen, erfordert Schnelligkeit und Flexibilität. Der Gesamterfo[g einer Marke hängt in Zukunft viel stärker als heute von der Reaktionsgeschwindigkeit auf aktuelle Entwicklungen in den sozialen Netzwerken ab.

Eine digitale Markenstrategie ist aufgrund dieser Dynamik auch nicht in dem Maße vorhersehbar oder planbar, wie wir es in der Offline-Welt gewohnt sind. Auch liebgewonnenes Vorgehen wie Strategien und Exekutionen detailliert zu testen, bevor sie in den Markt gehen, wird in Zukunft nicht mehr funktionieren – bei Vorliegen der Ergebnisse ist die Welt schon eine andere geworden.

Mut zu ‚Trial and Error‘ in Verbindung mit einem permanenten Monitoring bildet die Voraussetzung für ein stetiges strategisches Anpassen der eigenen Aktivitäten und somit für den Erfolg.

 

Implementierung und Verantwortlichkeiten

Warum nutzen dann noch immer so wenige Unternehmen Social Media Monitoring-Tools für ihre Strategien? Social Media wird zwar bereits als zusätzlicher Kommunikationskanal genutzt, doch zumeist im „Blindflug“, wie eine Studie des Harvard Business Reviews treffend bemerkt (1). Die Antwort liegt wohl in dem noch immer unübersichtlichen Markt und in der Frage der Verantwortlichkeit in den Unternehmen. Welcher von den drei Bereichen – Marketing, Unternehmenskommunikation und Marktforschung – zukünftig die Hoheit über das Netzwissen haben wird, ist noch nicht ausgemacht.

Auf der Seite der Agenturen ist die Situation klarer: Strategische Planer mit ihrer Markenbrille und Konsumentenorientierung können mittels neuer Technik ihre ursprünglichen Qualitäten als ‚Trüffelschwein‘ und Übersetzer neu beleben und den Markenverantwortlichen einen neuen beziehungsweise alten Mehrwert bieten.

Social Media Monitoring liefert dazu die notwendigen lnsights.

 

(1) Harvard Business Review Analytic Services 2010
https://www.sas.com/offices/europe/austria/html/presse/presse_09122010.html
http://hbr.org/hbrg-main/resources/pdfs/comm/sas/16203-hbr-sas-report-r3.pdf

 

 

Foto: “Reinschnuppern.” | mister QM | photocase.de

 

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