„Complexity kills.“ (Ray Ozzie) – von Single-Mindedness zu Channel-Mindedness

Von Magnus Höltke, Ogilvy One

 

Jahrelang haben Agentuen Single-Mindedness – die Fokussierung einzelner Werbemittel auf die Erfüllung von idealer Weise nur einer Aufgabe – in der Kommunikationswelt etabliert. Die Devise: Es ist nicht zielführend, etwa gleichzeitig Marke zu machen und zu verkaufen, oder Emotionen zu wecken und dabei im selben Atemzug rationale Argumente zu liefern.

Doch die Anwendung dieses Prinzips ist heute schwieriger denn je. Nahezu jedes Briefing geht mit einer Flut an Anforderungen und beinahe widersprüchlichen Zielsetzungen einher. Denn die Anforderungen an Kommunikation haben sich in den letzten Jahren vervielfacht.

Auf der einen Seite, werden Marken nicht mehr aus einigen wenigen Quellen, sondern aus den verschiedensten Berührungspunkten geformt. Auf der anderen Seite stehen uns fragmentierte Zielgruppen gegenüber, die aus kritischen und mündigen Konsumenten bestehen. Die ihre Freunde über ihre Erfahrungen mit Marken und Produkten informieren und dank Smartphone jederzeit einen nahezu transparenten Marktüberblick in der Hosentasche mit dabei haben.

So ist es auch nicht weiter verwunderlich, wenn die Bewertung auf ‚Amazon‘ mitunter einen höheren Einfluss auf die Meinungsbildung besitzt, als der klassische TV-Spot. Zusätzlich müssen viele Marken mittlerweile aufgrund eigener Verkaufskanäle, stark erweiterter Portfolios oder Fragen nach dem ROI ein vervielfachtes Aufgabenspektrum von Innen heraus bewältigen. Es scheint, wir stehen vor einem Dilemma: Auf der einen Seite sollen wir uns in unseren Aussagen beschränken, damit überhaupt etwas zum Konsumenten durchdringt. Auf der anderen Seite stellen äußere wie innere Einflüsse immer neue Anforderungen und Aufgaben an Kommunikation.

Einen möglichen Ausweg bietet dabei der vermeintliche Grund dieser Entwicklung: die neu gewachsene Medienlandschaft. Denn wenn das Mehr an Option schlichtweg als ein Mehr an Gestaltungsfreiraum interpretiert wird, kann Single- Mindedness aktiv gefördert werden: Indem diese Freiräume aufgegriffen und Kommunikationsaufgaben jeweils einem passenden Kanal zugeordnet werden.

Dieser Prozess kann als ‚Channel-Mindedness‘ bezeichnet werden. Entscheidend für den Erfolg ist dabei nicht das Denken in Kanälen, sondern die Ausrichtung an Kanalnutzungsverhalten der Zielgruppe. Erst wenn klar ist, wo sich die Zielgruppe aufhält und wie ihre jeweiligen Nutzungskontexte, ihre Einstellungen und Bedürfnisse beschaffen sind, sollte die Aufgabe dem Kanal zugeordnet werden.

Diesem Prinzip folgend, kann Channel-Mindedness heute auf drei verschiedene Arten realisiert werden.

 

1. Reduktion und Priorisierung

Gerade bei dem heutigen Überangebot von Informationen und Kanälen ist die Konzentration auf die Bewältigung von nur einer Aufgabe pro Kanal sinnvoll. Einzelnen Medien wird mitunter weniger Aufmerksamkeit gegenüber gebracht, übergreifend stehen dagegen mehr Berührungspunkte zur Auswahl.

Ein gutes Beispiel für Channel-Mindedness durch die Priorisierung von Kanalen liefert ‚Nespresso‘. Über reichweitenstarke Medien wird grundlegend eine Begehrlichkeit für die Marke erzeugt, während unter anderem Eventsponsorings und das Engagement im Social Web die soziale Verkehrsfähigkeit der Marke sichern.

Parallel unterstreicht die Homepage den Premiumanspruch über das sinnliche Erleben der Produktqualität. Möglichkeiten der Kaufaktivierung wiederum reichen von eigenen Filialen über den E-Shop bis hin zu einer eigens geschaffenen iPhone- Applikation.

So erfüllt jeder Kanal, teilweise gezielt kampagnenunabhängig, einen anderen Teil der Aufgabe und ist auch dementsprechend inhaltlich und formal unterschiedlich ausgestaltet.

 

2. Relevanz durch mediale Aussteuerung

Unter Umständen sollten wir auch das Innenleben eines Kanals selbst näher erkunden. Denn Marken werden heute aus den unterschiedlichsten Gründen gemocht und Kundensegmente, die rein auf soziodemographischen Daten beruhen, treten immer stärker in den Hintergrund. Durch eine gezielte Aussteuerung haben wir heutzutage die Möglichkeit, mit unterschiedlichen Botschaften unterschiedliche Zielgruppen anzusprechen und Werbemittel dennoch aufgabenfokussiert auszusteuern.

Betrachten wir Anzeigenserien, sehen wir jedoch oft fünf Mal die Darstellung der gleichen inhaltlichen Markenfacette. So kann sich an das Gesehene im Nachhinein zwar erinnert werden. Damit ist heute jedoch nicht garantiert, dass es für den Betrachter bedeutend ist, oder in ihm ein Wille zum Kauf erzeugt wird.

Mediale Aussteuerung kann dabei helfen, Argumente und Inhalte in den Kontext zu schaffen, in dem sie für den jeweiligen Betrachter relevant sind.

 

 

3. Kreatives Spiel mit Kanälen

Letztendlich kann Channel-Mindedness auch bei dem Aufspüren der medialen Nischen helfen, die im Tagesgeschäft mitunter wenig Beachtung finden. Wie die kreative Auswahl von Kanälen eine Höchstform an Relevanz und Effizienz erreichen kann, zeigte 2008 die Kampagne ‚The Best Job in the World‘ der Tourismusbehörde Queensland, die den Bundesstaat für Touristen attraktiv machen sollte.

Das Besondere: In der Kampagne fanden nicht für Standortmarketing übliche Formate wie Anzeigen oder Spots Anwendung. Stattdessen wurden weltweit Stellenanzeigen in Printmedien geschaltet, die Interessenten dazu einluden, ein Bewerbungsvideo für den „besten Job der Welt“ hochzuladen (der darin bestand, zu einem Traumgehalt auf eine Trauminsel im Creat Barrier Reef aufzupassen und über die Erlebnisse in einem Blog zu schreiben).

So konnte innerhalb von sechs Wochen mit dem Einsatz von $150.000 Kampagnenbudget das Equivalent von $80.000.000 an PR und Berichterstattung erzeugt werden – denn weltweit wurde über die Aktion und das Ferienziel gesprochen und berichtet (weitere Details).

 

Fazit

Single-Mindedness lehrt uns, dass ein einzelnes Werbemittel immer auf eine Aufgabe konzentriert sein sollte. Eine Kampagne oder gar ein ganzheitlicher Markenauftritt kann das heutzutage jedoch nicht mehr – dafür haben Medienvielfalt, Konsumentenverhalten und unternehmensinterne Anforderungen zu verschiedene, vielschichtige Aufgaben hervorgebracht.

Channel-Mindedness kann bei der Organisation dieser Aufgaben und bei der Einhaltung von Single-Mindedness helfen. Durch die Kombination von Zielgruppen-Nutzungskontext und Kanaleigenschaften kann dabei die Frage beantwortet werden, wie die Verteilung der Kommunikationsaufgaben jeweils vorzunehmen ist.

Indem wir uns an dem bedienen, was die Kommunikationslandschaft heute bietet, kann Channel-Mindedness bestmöglich zu einem zielgruppenadäquaten und kreativen Spiel mit Kanälen verleiten. Die Frage lautet daher nicht, ob „Complexity kills“, sondern wie wir Sinn in die vermeintliche Unordnung bringen können, um die uns gegebenen Möglichkeiten bestmöglich zu nutzen.

 

 

Foto: „Tunnelblick“ | <<bananarama>> | photocase.de

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