Requiem für den Marlboro-Mann

Ist der Cowboy zur Last geworden und die Landschaft der Rocky Mountains zum Gefängnis? Ist sein Bild nach über 50 Jahren des „sich immer wieder neu Erfindens“ endlich erschöpft? Oder hat das Marketingteam gewechselt und mit ihm die Markenstrategie? Klar ist auf jeden Fall: The Marlboro Man is dead!

Von Inga Erchova, freie Marken-Strategin in Hamburg

 

Leise, ohne Vorankündigung und ohne PR-Begleitung, hat sich die neue Marlboro-Kampagne in das Straßenbild eingeschlichen und hat eine der berühmtesten Werbeikone – den Marlboro-Mann – für tot erklärt. Als hätten die Marketing-Entscheider selbst zu viel Respekt vor der Veränderung, um sie öffentlich auszusprechen.

Dass sie die Luft anhalten, ist verständlich. Bei kaum einer anderen Produktkategorie ist das Markenimage so wichtig und so stark an die Werbung gekoppelt wie bei Zigaretten: Raucher inhalieren das blanke Markenbild und sind süchtig danach. Starke Sprünge in der Werbestrategie endeten bereits für einige Zigarettenmarken im Desaster.

Statt der Verkörperung von Selbstbestimmtheit im Bild eines Cowboys wird nun versucht, den Geist von Freiheit und Abenteuer mit Bildern des neuen Jahrtausends umzusetzen, die sich vom Hintergrund des Stadtgetümmels kaum noch absetzen. Als Testimonials dienen nun postmoderne Vagabonds, die man sonst aus der Werbung von Biermix-Getränken kennt.

Ist der Cowboy zur Last geworden und die Landschaft der Rocky Mountains zum Gefängnis? Ist sein Bild nach über 50 Jahren des „sich immer wieder neu Erfindens“ endlich erschöpft? Oder hat das Marketingteam gewechselt und mit ihm die Markenstrategie?

Dabei war der Marlboro-Mann die perfekte Projektionsfläche für bewusste sowie unbewusste Wünsche – nicht nur nach Unabhängigkeit, sondern auch nach Beständigkeit. Hinter der vordergründigen Freiheit verbarg sich auch eine starke Bindung – an die Natur, die Pferde und die Heimat. Der Marlboro-Mann konnte doch nirgendwo anders leben als in Marlboro Country, oder? Interessanterweise ist die Marke bis heute die Nummer eins bei der türkischen Bevölkerung in Deutschland. Verspricht sie etwa die Heimat fernab der Heimat?

Der Marlboro-Mann verkörperte beides – das Entfliehen und das Ankommen, das Abenteuer und die Sicherheit, die Wildnis und das Zuhause. Wer nur eine Seite gesehen hat, hat ihn nicht verstanden. Diese Zweieinheit konnte er nur leisten, weil er archetypisch und nicht alltäglich war, fernab der Realität doch relevanter denn je. Er war zeitlos, nicht zeitgemäß. Sein Prototyp ist an Lungenkrebs gestorben. Auch das war mehr als konsequent für die selbstzerstörerische Produktkategorie.

Die neue Kampagne kratzt nicht einmal an der Oberfläche dieses Bildes. Die vermeintlich zielgruppennahe Umsetzung verliert sich in der Beliebigkeit der Werbebilder. Die hOheAnzahl der Orte und Protagonisten verwässert das Gefühl der Heimat. Die Headlines – be free, be real, be open, be Marlboro – wirken so bemüht, als woilten sie kompensieren, was die neuen Bilder nicht mehr leisten können.

Die Ikone wurde durch Reklame ersetzt. The Marlboro man is dead. Long live the Marlboro Man! Es bleibt nur die Hoffnung auf ein Revival. Vielleicht mit dem nächsten Marketingteamwechsel?

 
 

Foto: „Bis zum bitteren Ende II“ | rolleyes | photocase.de

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