Der Müllmann als Role Model

Ich las es in der Berliner Zeitung im Hotel: Angestellte in Werbeagenturen liegen im Ansehen auf den letzten Plätzen, und das Ansehen ist schon wieder um vier Prozentpunkte gesunken. Selbst die Politik und gar die Bänker haben mehr Ansehen als die Werber. Und der Müllmann ist der Aufsteiger des Jahres!

Von Bärbel Boy, Boy Strategie und Kommunikation, Kiel

 

Welchen Reim machen wir uns denn darauf? Es werden Erklärungen herbeigeredet: Wüssten doch die Leute nur, wie viel harte Arbeit hinter Kreation steckt – sie würden uns direkt auf Platz zwei setzen. So ungefähr war es in Horizont.net zu lesen.

Wenn das mal nicht eine Fehleinschätzung ist, die genau das aufzeigt, was uns Werber in der Gunst so tief hat sinken lassen. Nämlich eine Werteverschiebung in unseren Köpfen. Eine Werteverschiebung, die dazu führt, dass wir die Kommunikationsleistung abgetrennt vom Kommunikationsziel erleben.

Ist unsere Arbeit eine harte Arbeit? Bestimmt. Denn für Ausbeutung ist die Branche ja bekannt, da kommen wir gleich hinter den Unternehmensberatungen und großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften.

Allein die harte Arbeit macht aber das Ansehen nicht. Sonst wäre der Müllmann doch schon viel früher weiter aufgestiegen. Wir, die wir so viel von Benefits und Nutzenkommunikation sprechen, stellen uns selbst die ützlichkeitsfrage nicht. Harte Arbeit wofür denn?

Wir retten nun mal keine alten Menschen aus brennenden Häusern und auch keine Leben, wie es die Ärzte tun, keine Seelen und keine Tiere, auch nicht die Bürger aus dem Müllberg – im Gegenteil. Wir retten nur Umsätze und Images, die vielleicht ohne die kaschierende Werbung ganz zu Recht abgehalftert blieben. Sind wir es nicht, die aus klebrigen Bonbons Vitaminspritzen machen und aus Weinbränden Erfolgsgaranten? Solange wir aber feststecken in unserer Selbstsicht, ist uns ein anderer Zugang zum Tief unseres Ansehens versperrt. Dann bleibt uns nur, Verblendung auf der Seite der Bewerter des Berufsimages zu vermuten.

 

Schlechter Ruf der Werber ein Statistikfehler?

Und genau so wird angenommen, die bewertenden Bürger hätten – anders befragt – den Kreateur der interaktiven Tipp-Ex-Kampagne ein kreatives Genie genannt. Was für eine Selbstsicht! Die kreative Leistung gilt hier als eine echte Wertschöpfung und die Frage ihrer gesellschaftlichen Relevanz wird gar nicht gestellt.

Kreative Genialität in Ehren. Wofür könnte man diese noch einsetzen? Eine unzulässige Frage in unserer Branche, in der Kreativität so in den Himmel gehoben wird. Kreativität ist uns zu einem Wert an sich geworden. Eine kreative Leistung hat ihren Wert ungeachtet ihres Einsatzes. Das Mittel heiligt den Zweck. Gesellschaftliche Relevanz als Unternehmenswert an sich liegt nicht nur hinter der Wirtschaftlichkeit, sondern beide liegen oftmals hinter dem Branchenheiligtum kreative Exzellenz.

Kreative Exzellenz ist etwas Feines, etwas durch und durch Erstrebenswertes. Dagegen will ich nicht anreden. Allein als Imagebringer reicht sie nicht mehr aus. Es wird mehr von uns erwartet. Kreative Relevanz. Darum muss man sich nicht scheren. Das Ansehen kann einem ja auch egal sein.

Und so wird auch zunächst abgewiegelt: Weil das schlechte Ansehen von Werbern schon seit Jahren eine stabile Haltung ist, muss auch der weitere Rückgang nicht sorgenvoll stimmen, kann man lesen. Dass wir das Fremdbild so wenig ernst nehmen, zeigt den großen Abstand, den wir inzwischen vom ganz normalen Leben haben. Weshalb wir auch das Jung von Matt’sche Wohnzimmer des Durchschnittsdeutschen brauchen.

Wollen wir den schlechten Imagewert talsächlich einfach so stehen lassen? Was ist mit eigenem Employer Branding? Wird uns angesichts der Wandlung des Arbeitsmarktes auch in unserer Branche der Imagewert nicht doch zu einem existenziellen Anliegen?

Feuerwehrmann, Altenpfleger, Arzt, Pilot – das sind die Spitzenreiter. Die Pfarrer sind abgerutscht und die Ingenieure aufgestiegen. Wie kommt das hohe Ansehen zustande? Wie erwirbt man sich ein solches Ansehen? Wie wird man, wie der Müllmann, zum Aufsteiger des Jahres? Zwei Dinge erscheinen mir wesentlich: Die Vorbildfunktion und die gesellschaftliche Relevanz der Berufe. Geht es um die schon oben beschriebene Relevanz, die Frage also danach, was es für einen allgemeinen Nutzen bringt, dass es uns gibt, zieht sich der Mund beim Lesen moralinsauer zusammen. Kommen wir zur Vorbild funktion: Ansehen haben offensichtlich Berufe, deren Inhaber Vorbildliches tun und anderen Menschen als Vorbilder dienen. An der Leistung dieser Berufe orientieren sich Menschen.

 

Die Frage nach Nutzen und Vorbild

Wenn wir es dem Müllmann gleichtun wollen, müssen wir uns mit der Frage nach Nutzen und Vorbildfunktion beschäftigen. Die Suche nach dem Benefit, dem Nutzen ist uns nicht unbekannt. Sie gehört zu unserem Leistungsportfolio. Die Suche nach Vorbildern ist da schon schwieriger. Wir kennen anstelle dessen das Testimonial. Von Verona bis zu Herrn Hipp geht es hier aber nicht um einen Vorbildcharakter, sondern ums Verkaufen. Das gilt auch für Herrn Jung und Herrn von Matt auf dem Motiv für Sixt. Nachvollziehbar.

Vorbilder aber schaffen eine anfassbare Vision von sich selbst. Was macht ein Vorbild wirksam? Dass wir eine Ähnlichkeit zu uns selbst empfinden, das Vorbild als erfolgreich wahrnehmen, und glauben, dass wir unserem Vorbild tatsächlich nacheifern können. Was erforscht ist: Vorbilder haben eine enorme Auswirkung auf die „Selbstwirksamkeitsüberzeugung:‘, die Einschätzung der Wirksamkeit der eigenen Person. Und: Wer Vorbilder hat, ist später öfter selbst Vorbild.

Wer sind unsere Vorbilder? Die für uns selbst und die, die wir nach draußen für unser Branchenimage zeigen könnten? Wer schafft denJungen dieser jungen Branche ein nachahmenswertes Bild? Und wohin wird uns das führen?

Zurzeit führen uns die ‚Großen‘ dieser Branche nicht aus dem Image-Tief. Als ‚Die Zeit‘ 50 Vorbilder der Deutschen auswählte, trieb die Wochenzeitung die gesellschaftliche, die politische Frage: „Welches Wort, welche Tat, welche Charaktereigenschaft, welche Kraft, welche Ideen, welche Ziele und Werte haben wir heute nötiger denn je?“

Wenn wir als Stra tegen diese Frage beantworten könnten, dann könnten wir a nfangen sie zu suchen, die vorbildlichen Werber, die unserem Beruf ein anderes Image verleihen. Weml wir als Strategen diese Frage beantworten könnten und die Frage nach unserem Nutzen für – tja, für die Gesellschaft, dann müsste mir der Creative Brief an die Kreativen gehen für eine exzellente Kampagne, die uns attraktiv macht für die guten Leute.

 

* Auch wenn dies eine Strategy Corner ist – für die Strategie gilt die Relevanzfrage übrigens ebenso. Die Frage an uns Strategen ist, wie wir unsere Rolle hier im Gegenüber zur Kreation formulieren wollen. Als die Moralapostel wohl nicht. Andererseits: Wer, wenn nicht wir?

 

 

Foto: „Heute ist Bio-Müll“ | Lindenthal | photocase.de

comments powered by Disqus