Metamorphe Säue, schwarze Schwäne

Wir machen Kommunikation und Marketing. Warum? Um Verhalten gezielt zu beeinflussen. Unser banalstes Ziel: Bedeutungslosigkeit, schlimmer noch: Belanglosigkeit vermeiden. Wer interssant sein möchte, kann nicht auf Nummer sicher gehen.

Von Florian Avdic, Creative Planner, Ogilvy & Mather Frankfurt

 

Weil Langeweile kein sonderlich wirksames Mittel ist, um Verhalten zu steuern, und die meisten Menschen Tristesse meiden wie Wiesenhof-Hälmchen Keimfreiheit. Oder wie es ein kluger Herr einmal anders gesagt hat: You cannot bore people into buying your product. Dafür gibt es immer wieder neue Moden und irgendwie hat man das Gefühl, als laufe immer der gleiche Film ab, nur der Titel ändert sich. Online. Social. Location. Gamification. Die Liste lässt sich endlos fortsetzen.

 

Von metamorphen Säuen, die Erfolg versprechen.

Wie sie auch heißen, es sind allesamt verschiedene Gestalten derselben Brut: Wir beobachten die metamorphe Sau. Metamorphe Säue kommen und gehen: Aus Ideen werden Schlagworte, daraus Themen, zu denen plötzlich jeder eine Meinung hat oder haben muss. Aus vielen Meinungen wird eine enorme Wolke, der Anschein unumgänglicher Wichtigkeit entsteht. Das verunsichert. Experten treten auf.

Die metamorphe Sau wird sodann nach bestem Wissen gezüchtet, mit Daten, Marktforschung und vor allem mit Best Practices gemästet. Sie muss schön fett sein, je wohlgenährter, desto besser. Umfang bedeutet Sicherheit, damit Erfolg, damit Wohlstand.

Das Problem? Auf diese Art hinken wir regelmäßig hinterher. In unserem Überschwang (es winkt the next big  thing, die große Umwälzung und damit großes Geld) setzen wir alles auf die aktuelle Sau, schauen nicht mehr rechts und links. Wir fokussieren irgendwelche Moden und verlieren das große Ganze aus den Augen. Plötzlich sind wir es, die durchs Dorf getrieben werden. Nur: Wer getrieben ist, der hat kaum mehr die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Marketing und Kommunikation aus dieser Situation heraus verlieren an Bedeutung, sind belanglos, langweilen. Das Gegenteil dessen, was erreicht werden sollte, wird erreicht.

 

Too late, too little

Auf der Jagd nach dem sicheren Erfolg erlegt man reine Langeweile. Beispiel Digital Experiences. Eine ganze Reihe Marken versuchen sich mit digitalen (Marken-)Erlebnissen. Der Aufwand wird immer größer, schließlich steht man im Web – anders als am POS zum Beispiel- mit allem und jedem, von Lolcats über The Simpsons bis Tagesschau, im Wettbewerb.

Trotzdem scheint dies als sicherer Hafen. Digital. Check. Content. Check. Social. Check. Alles konform mit Nutzungsgewohnheiten und Lebenswirklichkeiten der Zielgruppe. Dazu noch die Möglichkeit, jede Bewegung, alles zu messen. Das klingt richtig, das muss sicher sein.

Solcherart richtige und auf sicheren Erfolg getrimmte Versuche wirken dann meist, als wären einschlägige Zielgruppenstudien direkt in die Produktion gewandert. Richtig. Sicher. Belanglos.

Das ist das Wesen von Marketing, das allein auf metamorphen Säuen reitet. Man almt es, der Ausweg geht nicht über Schema F. Dabei ist das Problem natürlich nicht Digital (oder Social oder Mobile usw. usf.). Es ist nicht einmal so sehr die Dampfbademeisterei darum herum.

Es ist der zwanghafte Drang zur rationalen Richtigkeitsanalyse vorab.

Das Problem ist das übertriebene Bedürfnis nach Sicherheit, das sich im wahllosen Jonglieren des genannten Mastfutters aus Marktforschung und Expertenmeinung am eindrücklichsten zeigt.

Expertenmeinungen, selbst wenn sie auf Fakten basieren, sind eine denkbar unsichere Vorlage zur Vermeidung von Bedeutungslosigkeit, wie Philip E. Tetlock in seinem Buch ‚Expert Political Judgment: How good is it? How can we know?‘ (2005) von knapp 300 Experten und mehr als 80.000 Prognosen in Politik und Wirtschaft über 20 Jahre hinweg nachgewiesen hat. Die Trefferquote lag nur unwesentlich über dem reinen Zufall. Die unnachahmliche Schlussfolgerung: Dann könne man auch gleich Affen Darts werfen lassen.

Der Venture Capitalist und Mitbegründer von Sun Microsystems, Vinod Khosla, bringt das Problem mit der Sicherheit auf den Punkt: „In order to minimize risk and increase the probability of success, people almost eliminate the impact of success. And I do the opposite.“

 

Mehr Wagnis, mehr Risiko, mehr Cojones

Für Kommunikation und Marketing heißt das: viel mehr Mut, auch und gerade in der Strategie. Wir sollten die Rolle von Marktforschung und Daten prüfen. Weniger Datenhörigkeit, mehr Experiment. Wir sollten viel früher mit Ideen in die Welt und uns nicht zu Tode testen. Wir müssen in der Lage sein, Daten zu lesen und flexibel zu reagieren, das Marketing anzupassen – oder gerade nicht anzupassen. Dazu braucht es den Willen zum Risiko, es braucht Cojones.

Gleichzeitig dürfen wir für vermeintliche Marketingprobleme viel freier denken. Gut möglich, dass die Antwort auf ein Kommunikationsproblem eine handfeste Produkterfindung sein kann.

Nur was auch mit Pauken und Trompeten scheitern kann, hat auch die Chance, einen Unterschied zu machen.

Das Rad, Penizillin, die Glühbirne, Espresso, Schrift, iPod oder Apples ‚1984‘ sind nicht aus einer rationalen Richtigkeitsanalyse entstanden, sondern aus dem reinen Willen, die Sau durchs Dorf zu treiben, anstatt getrieben zu werden.

Es sind dies durch die Bank „schwarze Schwäne“ (N. N. Taleb), Erfindungen, Ereignisse also, die eine enorme Wirkung in der Welt haben, die aber nie und unter keinen Umständen vorab eindeutig zu prognostizieren sind.

Leicht ist das nicht. Keine Frage. Lohnt sich aber. Und wenn es nur der Spaß ist.

Mehr wagen .

 

 

Foto: „Reinschnuppern.“ | mister QM | photocase.de

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