Digital als Allheilmittel?

Auch Ärzte und Pharmaindustrie sind aufgefordert, digital zu denken und zu handeln, um ihre Marken zu positionieren. Allerdings hängen sie hinterher. Sie stellen sich die Frage, ob die Digitalisierung das Allheilmittel ihrer Kommunikationsstrategie sein kann, um Markeninszenierungen unschlagbar zu machen.

Von Michaela Jausen, Planner DDB Tribal Hamburg GmbH und Mathias Ulmann, freier Digital-Stratege

 

Patienten, Ärzte und Pharmaindustrie kommen permanent in Berührung, können interagieren, überall und in Echtzeit. Der virtuelle und der reale Raum sind nicht mehr voneinander zu trennen, sondern bedingen sich wechselseitig. Mediziner haben ihr Informationsmonopol verloren (netdoktor.de; docinsider.de) durch Patienten, die auf gefühlter Augenhöhe kommunizieren, unter anderem indem sie Ärzte bewerten (jameda.de). Informationsanbieter und Suchmaschinen öffnen Zugänge zu Wissen, die mit vielen weiteren Optionen die Hoffnungen und Erwartungen der Patienten stillen.

 

Digitale Gesundheitskommunikation

Fast 28 Millionen Bundesbürger (60 %) erkundigen sich im Web nach Krankheiten oder einer gesunden Ernährung [1]. Interessanterweise sind die Mehrzahl davon Frauen (forsa 2010) [2]. Gerade vor einem Arztbesuch geben 41 Prozent der Befragten an, sich vorher im Internet zu informieren. Patienten erhoffen sich Hinweise und Unterstützung durch andere Personen, um schneller handeln zu können (Fleishman-Hillard, Harris 2011) [3].

Auch mit mobilen Technologien (Handy, Tablet etc.) und Anwendungen wie Augmented Reality und QRCodes ist die Trennung zwischen der digitalen und der realen Welt nicht mehr gegeben. Man spricht von „Hyperkonvergenz“ zwischen Online und Offline. So sind Möglichkeiten gegeben, Menschen und Marken in eigenen Netzwerken zu verbinden und dauerhaft relevanten Mehrwert zu schaffen. Durch die unterschiedlichen Akteure im Internet und die Facetten der Recherche werden Patienten mündig und pflegen einen neuartigen Umgang mit dem eigenen Krankheitsbild. Wer sind die Menschen, die sich über Geslmdheitsthemen im Netz informieren?

 

Patiententypologien im digitalen Raum

Unterschiedliche Institutionen versuchen Patienten zu typisieren und Verhaltensmuster zu identifizieren, damit Ärzte, Krankenversicherer und Pharmaindustrie wissen, wie sie gezielt kommunizieren und den Anforderungen ihrer Patienten gerecht werden.

Zum Beispiel die Typisierung der repräsentativen Umfrage von MSL und SKOPOS, die im Mai 2011 1.002 Personen befragte. Diese Typisierung umfasst vom Netzwerker über den Traditionalisten sechs deutlich abgrenzende Nutzerprofile [4]. Alle vereint das Vertrauen zu anderen Patientenstimmen im Netz. Das untermauert auch die globale Digital-Health-Studie von 2010: Verbraucher aus Deutschland (33 %) haben das größte Vertrauen in Bezug auf gesundheitsbezogene Informationen aus sozialen Netzwerken (digitashealth 2010) [5].

Die Gründe für die verstärkten digitalen Aktivitäten der Patienten basieren auf zwei Bedürfnissen: das Informations- sowie das Austauschbedürfnis. Hier besteht die Chance für die Akteure im Gesundheitswesen, nicht nur gezielt zu kommunizieren, sondern einen Schritt weiter zu gehen. Sie können auf die Anforderungen der Patienten eingehen und sie richtig bedienen zum Beispiel mit ‚Mobil Apps‘, die nicht nur der Ferndiagnose dienen, sondern zur kompletten Überwachung der eigenen Gesundheit wie VitaDock [6]. Welche Erkenntnisse sind für Ärzte und Pharmaindustrie in Bezug auf ihre zukünftigen Markenpositionierungen und Kommunikationsstrategien richtungweisend?

 

Digital bietet durch Netzwerke eine Chance

In der Gesundheitsbranche geht es nicht mehr nur um reine Kommunikation. Es geht um Commerce, CRM, Vertriebswege, Produktentwicklung und Corporate Reputation. Besser informiert und vernetzt sind die Patienten einfacher zu erreichen, aber schwerer zu beeinflussen. Eine der größten Herausforderungen besteht darin, alle Möglichkeiten zu bewerten und sich nicht in dem digitalen Raum zu verlieren. Die einfach gerichtete Kommunikation von ‚Brand to Consumer‘ (B2C) ist Vergangenheit. Marken haben heute die Möglichkeit, mr eigenes Netzwerk zu installieren, eigene Erlebnisse und Austausch mit den Menschen ins Leben zu rufen. Ein etablierter Begriff ist das ‚Brand to Network‘ (B2N). Dieser Begriff geht weit über die sozialen Netzwerke hinaus. Es ist die Summe aus Markenpräsenz (Zusammenspiel aus offline und online: POS, TV, Print, Internet-Seite, Social-Media-Profile … ) und Menschen mit ihren Anforderungen.

Um ein Brand Network zu etablieren und mit Leben zu füllen, braucht es einen starken Grundgedanken und eine reizvolle Storyline, auf dem interaktive Kampagnen, spannende Plattformen, originelle Applikationen, bindende Inhalte und Programme aufbauen. Nur dann kann eine Marke ihre strategischen und taktischen Ziele in der digitalen Welt erfüllen, wie zum Beispiel Nike (Nike Stores/Nike+/NikeiD) .

 

Digital für sich instrumentalisieren

Abschließend bleibt zu sagen, dass gerichteter Austausch zwischen Patienten, Ärzten und Pharmaindustrie Mehrwert für alle Seiten bietet. Fakt ist, dass Gesundheitsinformationen von Menschen immer in Form von Beziehungen erlebt und nach mrer Passform mit eigenem Wissen und eigenen Erfahrungen beurteilt werden. Daher ist es zentral zu verstehen, wie sich Menschen Wissen und Informationen im Netz suchen und aneignen, anstatt den Versuch zu unternehmen, sie dazu zu erziehen, dies in einer bestimmten Weise zu tun. Eine Uniformität in der Nutzung, selbst wenn sie erreichbar wäre, würde das Potenzial des Internets in seiner Fülle an möglichen Wissensformen und Zugängen stark einschränken.

So gilt die Aufforderung, nicht mehr zu überlegen, ob digital relevant für Markenpositionierung und Kommunikation ist, sondern wie man einen Schritt weiter geht, über Bedürfnisse der Patienten nachdenkt und sich somit im digitalen Netzwerk strategisch und taktisch richtig positioniert.

 

[1] www.bitkom.org/files/documents/BITKOM-Presseinfo_Gesundheitsrecherche_im_lnternet_26_08_2011.pdf

[2] http://de.statista.com/statistik/daten/studie/169265/umfrage/gesundheitsinformationen—recherche-im-internet/

[3] www.pewinternet.org/Reports/2011/Social-Life-of-Health-Info.aspx

[4] http://health-marketing.biz/index.php?/archives/21-MSL -Gesundheitsstudie-Wer-sitzt-im-virtuellen-Wartezimmer.html

[5] www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?src=suche&id=62760

[6] http://www.vitadock.com/de/vitadock.html

[7] http://sciencestudies.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/dep_sciencestudies/pdf_files/
publikationen/Mager_Mediated_Health_reprint_March2010.pdf

 

 

 

Foto: „Rein mit der Pille!“ | complize | photocase.de

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