Der Marketing Funnel ist tot. Es lebe der Funnel Fish!

Wenn Menschen ihr Einkaufsverhalten ändern, sollten Marken das in ihren Kommunikationsstrategien berücksichtigen.

Von Stefanie Kuhnhen, Grabarz & Partner, und Hannes Ley, The Main GmbH / Guidance in Digital

 

Der neueste Nielsen ‚Global Trust in Advertising Survey‘ enthüllt mit erstaunlichen Zahlen, wo die aktuellen Gewinner im Kaufentscheidungsprozess liegen: 89 Prozent aller Befragten vertrauen Empfehlungen von Bekannten, 64 Prozent Online-User-Bewertungen, 51 Prozent redaktionellen Inhalten und dann weit abgeschlagen mit 28 Prozent, aber auf Platz 1 und 2 aus kommunikativer Markensicht Markenanzeigen in Zeitungen oder Zeitschriften.

Demnach vertraut nur noch jeder Vierte Markenkommunikation. Wir glauben, dass es an der Zeit ist, dieser Entwicklung Rechnung zu tragen!

Vier Thesen wollen wir unserem Aufruf zugrunde legen:

1. Kommunikation von Marken wird von Menschen zunehmend als unglaubwürdig betrachtet. Zwar verlieren Marken weder ihre Orientierung schaffende noch ihre identitätsbildende Funktion, aber die Souveränität über die eigene Reputation ist im Digital Age verloren gegangen: Menschen hinterfragen Marken genauer, beschaffen sich über markenfremde Quellen weitreichende Informationen und blenden mehr denn je einseitige Markenkommunikation (unterbewusst) selektiv oder (bewusst) proaktiv aus.

2. Je schwieriger es also wird, mit einseitigen Markenbotschaften die Aufmerksamkeit und Glaubwürdigkeit von Menschen zu gewinnen, umso wichtiger werden authentische Markenbotschafter und glaubwürdige Themenplattformen für die Identität einer Marke: Über sie können Menschen auf Basis eigener Initiative an die Marke herangeführt, inspiriert und begeistert werden.

3. Der ehemals informationssuchende Kunde tritt der Marke heute infolge eigener Recherche als aufgeklärter(er) Mensch gegenüber. Für die Marke bedeutet dies, dass sich ihre Rolle verändert: Wollte sie bisher über produktspezifische Informationen und Argumente überzeugen, so muss sie heute bereits informierte Menschen umfassend unterstützen und ihnen Services anbieten, die ihr Leben erleichtern, es bereichern und sie darüber hinaus zum Kauf animieren.

4. Jeder gewonnene Kunde ist nicht einfach nur ein gewonnener Kunde. Er ist in erster Linie ein Mensch, der sich selbstständig und positiv für eine bestimmte Marke entschieden hat. Das macht ihn zu einem eigenständigen und glaubwürdigen Botschafter, der weitere Menschen für die Marke gewinnen kann. Und zwar glaubwürdiger als es jede Marke heute für sich selbst tun könnte (siehe These 2).

 

Menschen trauen Menschen: Sie werden daher der entscheidende Faktor im Kaufprozess

Der bisherige Marketing Funnel geht von einer inzwischen überholten These aus: Je mehr eine Marke zu Beginn eines Kaufprozesses trommelt, desto mehr Aufmerksamkeit wird sie von Menschen bekommen und im Endeffekt auch verkaufen. Funnel heißt übersetzt ‚Trichter‘ und das Prinzip, das dahintersteht, ist einfach: „Viel hilft viel.“

Dieses System wurde für eine überschaubare Medienlandschaft mit Einbahnkommunikation entwickelt. Es hat funktioniert, solange Marken noch über nahezu uneingeschränkte Kanal- und Meinungssouveränität verfügten.

Schenkt man unseren vier Thesen jedoch nur geringfügig Glauben, so wird diese Grundannahme bereits von These 1 über den Haufen geworfen: Demnach vertrauen Menschen generischen Markenbotschaften nicht mehr uneingeschränkt oder ignorieren diese gar bewusst bzw. unterbewusst.

Somit können wir in den ‚Trichter‘ hineinschütten, so viel wir wollen: Wir werden lediglich diejenigen erreichen, die meiner Marke Gehör schenken wollen. Und selbst sie werden meine Marke anschließend auf den Prüfstand stellen, indem sie sich weitere Quellen zu Rate ziehen.

Daher plädieren wir für ein neues Kaufprozessmodell, das nicht vom ausschließlich rezeptiven und gläubigen Kunden, sondern von einem kritischeren und kommunikativeren Menschen ausgeht. Der zwar Marken als Orientierungsanker und Identitätsstifter braucht, dabei aber vor allem einer Größe vertraut: Seinem eigenen und dem Urteilsvermögen anderer Menschen.

Daher sehen wir die Zeit gekommen, sich endgültig vom ‚Trichter‘ zu verabschieden: Der Marketing Funnel ist tot, es lebe der Funnel Fish!

Phase 1 /Awareness: Inspirierende und reichweitenstarke Markenkommunikation hat nach wie vor ihre Daseinsberechtigung. Sie soll Aufmerksamkeit erzeugen und Menschen aktivieren. Aber um große Streuverluste zu vermeiden und maximale Wirkung zu erzielen, sollte sie medial präziser und inhaltlich relevanter ausgesteuert werden. Das schafft eine kraftvolle Kombination aus Effizienz und Effektivität.

Phase 2/Consideration: Der ‚erreichte‘ Mensch fängt nun an, sich selbstständig zu informieren. Eine kritische Phase – denn nun recherchiert er neben Markenquellen vor allem markenfremde Quellen wie Blogs, Social-Media-Einträge, Vergleichsseiten etc. Also Medien, welche die Marke nur geringfügig oder gar nicht beeinflussen kann. So öffnet er sich jetzt gegebenenfalls auch noch einmal für alternative Marken, die er bisher überhaupt noch nicht in Betracht gezogen hatte.

Diese Phase ist also die kritische für jede Marke und somit eine, die es daher – so gut wie überhaupt nur möglich – zu gestalten gilt: Je umfassender Marken sich darauf verstehen, hier übergreifende produkt- und servicebezogene Themen (und nicht nur das Produkt selbst!) zu bespielen und eigene Kunden als fremde Markenbotschafter für sich sprechen zu lassen, desto besser ist jede Marke in dieser entscheidenden Phase aufgestellt! Hier gilt es – besonders in der deutschen Kommunikationslandschaft – viel aufzuholen und Budgets/Ressourcen in diese komplexe und i formationstiefe Phase umzuschichten.

Phase 3/Purchase: Kommt der aufgeklärte Mensch nun zur bevorzugten Marke, sollte ich als Marke umdenken: Nicht weiterhin nur überreden und überzeugen! Stattdessen sind Einladen, einfaches Heranführen, Erwartungen durch Services und Erlebniswelten übertreffen die Gebote der Stunde, die jede Marke nm Point of Purchase, egal ob on- oder offline, zu erfüllen hat.

Phase 4/Advocacy: Neben Phase 2 stellt sie aus Sicht der Markenkommunikation die zweite entscheidende Phase dar, die nach wie vor unterschätzt wird: Denn jetzt geht es darum, einen gewonnenen Kunden zu loyalisieren und ihn zum Markenbotschafter zu machen, der ungefragt sein glaubwürdiges Wort für meine Marke einlegt.

Damit Menschen zu Markenbotschaftern werden können, sollte die Marke sie ernst nehmen, ihnen zuhören, mit ihnen reden und es ihnen leicht machen, ihre persönliche Meinung zu verbreiten.

 

Gemeinsam umdenken, umshiften und um planen

Damit Markenkommunikation in Zukunft effizienter und effektiver werden kann, sollten wir alle vier zentralen Punkte beherzigen:

1. Das Kaufverhalten der Menschen hat sich verändert. Und es wird weitergehen. Wir sollten davor nicht mehr die Augen verschließen und aus Gewohnheit an alten Mustern festhal ten: Es ist Zeit. die Kraft der Menschen und der Themen für die eigene Marke zu nutzen! Everything will be socia!! And everything that is relevant, will be shared!

2. Für Marketingentscheider und Kommunikationsexperten bedeutet das, den Paradigmenwechsel anzunehmen und zu umarmen: Wir brauchen ganzheitliche Kaufentscheidungsanalysen und integrierte Maßnahmen sowie angepasste Prozesse, Budgekalkulationen, Skills und übergreifende Teams auf beiden Seiten.

3. Markenkommunikation braucht mehr denn je relevante, begeisternde und inspirierende Markenerlebnisse, Markenthemen, Markenplattformen und Markenprogramme. Die Zeit der einseitigen Wertebotschaften ist wirklich, wirklich, wirklich vorbei .

4. Auch die Mediaplanung muss dieser Entwicklung Rechnung tragen und frühzeitig eingebunden werden: Es gilt zuallererst, die defini erten Interessen- und Wertezielgruppen konsequent in Mediazielgruppen zu übertragen, anstatt an alt bekannten, allgemeinen Mediaplangruppen festzuhalten. Geschieht dies nicht, besteht die Gefahr, einen maßgeschneiderten Content schlichtweg zur falschen Zeit an die falschen Menschen zu spielen!

Reichweite und Kontakthäufigkeit verlieren zudem zwar nicht an Bedeutung, jedoch steigt bei medialer Differenzierung und zunehmender Messbarkeit die Notwendigkeit, die richtigen Zielgruppen selektiv an den relevanten Touchpoints zur richtigen Zeit mit den richtigen Inhalten anzusprechen.

Menschen glauben Menschen. Und Menschen inte essieren sich für Themen und Inhalte, wenn diese eine Bedeutung für sie haben. Sie teilen sie untereinander und profilieren sich darüber. Lassen Sie uns daher die Menschen in den Mittelpunkt rücken und die Selbstdarstellung der Marke zurücknehmen: Wir sollten die Menschen, die wir für unsere Marken gewinnen wollen, informieren, unterstützen, bereichern und unsere Markenbotschafter pflegen und übervorteilen, damit sie es sind, die für uns sprechen – rational wie emotional.

So werden wir trotz eingeschränkter Souveränität in Phase 2 bald wieder weniger im Trüben fischen.

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Foto: kallejipp | photocase.com

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