Media 2.0 – so etwas wie ein Märchen

„Es begab sich also zu einer Zeit…“ So fangen Märchen an. Aber dies ist kein Märchen, sondern die harte Realität. Trotzdem: Es begab sich also zu einer Zeit, als Werbung unsere Branche dominierte.

Von Dr. Peter Petermann, Geschäftsführer Strategische Planung und Innovation bei Carat

 

 

Damals waren Kreativ-Direktoren wie Don Draper alles und Media war der kleine, etwas dickliche Nerd mit der dicken Brille und der Fliege. Er zählte im Hinterzimmer TV-Spots und feilschte mit den Networks um bessere Konditionen. Damals gab es eine Hand voll Massenmedien, in denen man stattfinden musste. Wer dort nicht war, war nicht.

Doch dann passierte tatsächlich ein Märchen. Aus Massenmedien wurden Massen von Medien. Die digitale Revolution produzierte in atemberaubendem Tempo neue Kontaktpunkte. Der Verbraucher wurde transparent. Marken ebenfalls. Technologien wurden konvergent. Medien wurden global. Und sozial. Und alles hängt irgendwie mit allem zusammen.

Heute ist die Auswahl des richtigen Zeitpunktes, des richtigen Kontaktpunktes und des richtigen Gesprächspunktes (fast) wichtiger als eine schön gestaltete Anzeige. Heute geht es darum, alle Kanäle vollkommen miteinander zu vernetzen. Und es geht darum, zusätzlich zur Effizienz auch die Effektivität aller Touchpoints zu erhöhen.

Media ist heute nicht mehr ein Teilbereich von Werbung. Werbung ist heute ein Teilbereich von Media. Der Nerd ist nicht mehr nur bei Einkauf und Controlling beliebt, sondern immer mehr auch bei Marketing und Vertrieb. Dementsprechend hat sich natürlich auch die Rolle von Media-Agenturen und Media-Häusern dramatisch verändert. Eine zukunftsgerichtete Media-Agentur muss heute strategischer Sparringspartner des Kunden sein. Sie muss das (Media-)Briefing auf Sinnhaftigkeit in Bezug auf Marketing-und Business-Ziele überprüfen – und im Zweifelsfall hinterfragen. Sie stellt ihr Zielgruppen-Knowhow zur Verfügung, um gemeinsam mit dem Marketing die wertvollsten Konsumenten zu definieren. Steuert fundierte Erkenntnisse zum Kaufentscheidungsprozess und der entsprechenden Medien-Nutzung bei. Und muss – basierend auf überzeugenden Insights – definieren, wie sich die Marke in allen Touchpoints verhalten soll.

 

Media-Agentur muss im Kern kreativ sein

Wer aber definieren will, wie eine Marke sich in einem Kanal verhält und welche Rolle dieser Kontaktpunkt im Gesamtkonzert aller Maßnahmen spielen soll, der wird nicht daran vorbeikommen, dies auch im Detail durchzuspielen. Da in der digitalen Welt praktisch jeder Kontaktpunkt mit anderen Kontaktpunkten zusammenhängt, lässt sich das mediale Markenerlebnis nicht abstrakt und von Inhalten losgelöst beschreiben. Man braucht dafür eine Idee.

Eine zeitgemäße Media-Agentur muss daher im Kern immer auch kreativ sein. Nur mit einem kreativen Verständnis von der Rolle eines jeden Kontaktpunktes kann ein wirklich integrierter Plan entstehen. Ohne Kreativität kann es auch keine Innovation und keine innovative Nutzung bestehender Kanäle geben. Und ohne Kreativität wird es nicht gelingen, wirklich inspirierende Strategien zu schreiben, die die Probleme des Kunden auf überraschende Art lösen.

Einige große Media-Agenturen haben dies auch verstanden und investieren in strategische und kreative Kompetenz – noch auf sehr unterschiedlichem Niveau. Viele Kunden schätzen in zwischen die strategische Kompetenz ihrer Media-Agentur. Und das ist auch wichtig, denn nur wenn für kompetente Beratung auch angemessen gezahlt wird, lässt sich auf Dauer die Qualität sicherstellen.

Im gleichen Zuge müssen sich auch die Medien-Häuser in der neuen Welt anders aufstellen als bisher – und tun das auch. Insbesondere vor dem Hintergrund der neuen Betrachtungsweise von Media kommt den klassischen Massenmedien eine ganz neue Rolle zu.

Die traditionelle Einteilung von Media in ATL versus BTL, klassische versus neue Medien oder Lean-back versus Lean-forward greift nicht mehr: Ist eine App auf dem iPad ATL oder BTL, Lean-back oder Lean-forward? Und was ist mit Facebook? Wir brauchen also eine neue Klassifizierung, und tatsächlich gibt es diese bereits: nämlich in Bought, Owned und Earned Media.

Ganz grob vereinfacht kann man sagen, dass mit Bought Media Kanäle gemeint sind, mit denen ich eine klare Botschaft sehr effizient zu meiner Zielgruppe transportieren kann, und Medien-Häuser sind hier nach wie vor sehr gut aufgestellt. Sie können immer noch relativ gut prognostizierbare Reichweiten liefern, denn die Nutzung dieser Kanäle verändert sich tatsächlich nur sehr langsam.

Medien-Häuser sind hier gut beraten, wenn sie den geänderten Gewohnheiten zeitnah Rechnung tragen (z.B. die device-unabhängige Auslieferung von VideoContent; oder die convenience-getriebene Nutzung von Print-Content). Aber darin entwickeln sie sich recht gut.

 

Owned Media bietet Potenzial für Verlage

Allerdings sind die großen Medien-Häuser bisher im kompletten Bereich von Earned Media klar ins Hintertreffen geraten und werden große Schwierigkeiten haben, dies jemals wieder aufzuholen. Dieses Feld haben sie den echten Global Playern (Facebook, Google, Apple, Microsoft) fast gänzlich überlassen und alle Versuche, bei Sodal Media doch noch mitzuspielen, sind letztlich gescheitert (siehe die VZ-Gruppe und Holtzbrinck).

Die größten Entwicklungspotenziale für die großen Verlage schlummern im gesamten Bereich Owned Media. Bei Owned Media geht es für die Marke grundsätzlich darum, sich selber erlebbar zu machen. Dem Verbraucher eine Plattform für eine interessante, involvierende Interaktion (möglicherweise sogar eine Transaktion) zu bieten. Der Verbraucher soll die Marke in all ihren unterschiedlichen Facetten kennenlernen – und dafür nutzt die Marke Umfelder und Kanäle, die sie sozusagen exklusiv bespielen kann . Die eigene Webseite beispielsweise, eigene Shops, eigene Apps … oder auch exklusiv verhandelte Medien-Plattformen oder eigene Content-Assets.

Hier kommen die Media-Häuser ins Spiel, denn sie verfügen überreichlich relevanten Content, den sie für die Entwicklung von Owned Media bereitstellen können. Ziel muss dabei sein, diesen Content so anzureichern und markenspezifisch aufzubereiten, dass daraus ein uniques Markenerlebnis entsteht, das nicht austauschbar auch auf andere Marken einzahlt.

Erst wenn die Marke mit diesem Content in ihren Owned Medias wirklich spannende und bewegende Erlebnisse schafft, wird der Verbraucher anderen davon erzählen. Und das bedeutet: Wenn es den Media Owners gelingt, ihren Content auf zwingende Weise mit den Owned Medias der Marke zu verknüpfen, haben sie doch noch die Chance, an dem gesamten Bereich Earned Media zu partizipieren.

Und weil in jeder noch so harten Realität immer auch ein wenig Märchen steckt, wird am Ende aus dem Frosch doch noch ein schöner Mann; kriegt die Erbsenzählerin am Ende ihren Prinzen; und schafft es der Zauberlehrling am Ende doch, die Geister zu bändigen, die er rief.

 

 

Foto: „Sterntaler“ | MMchen | photocase.de

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