Die Richtigen finden, nicht die Besten!

Um Arbeitskräfte wird intensiv gerungen – mit der Folge, dass sich in Agenturen die Anfragen nach Employer Branding-Projekten häufen. Welche Herausforderungen bestehen dabei aus strategischer Sicht?

Von Christine Mehring und Klaus Beiermann, Publicis Pro

 

Wenn IT-Studenten in Deutschland ihr Studium beenden, dann wissen die meisten dieser Absolventen recht genau, wo sie am liebsten ins Berufsleben starten würden: Nach dem ‚Trendence Graduate Barometer‘ ist für sie auch dieses Jahr wieder Google der attraktivste Arbeitgeber. Und natürlich finden sich unter den Top Ten ihrer Favoriten auch andere starke internationale, begehrenswerte Unternehmen: Microsoft, Apple, SAP, Audi, BMW.

Erfolg macht att raktiv, und wer möchte nicht selbst ein Teil der Erfolgsgeschichte eines Unternehmens werden? Aber es gibt noch einen Grund, für solche Unternehmen zu arbeiten: Mit entsprechendem Budget ausgestattet, tun sie einiges für ihre derzeitigen und potenziellen Mitarbeiter. Und das kommunizieren sie auch.

Von einer solchen Situation kann die Masse der kleinen und mittelständischen deutschen Unternehmen nur träumen: Weder sind sie im klassischen Sinne als Unternehmensmarke bekannt, noch haben sie ein großes Budget fürs Personalmarketing. Und wer darüber hinaus das Pech hat, in einer strukturschwächeren Region angesiedelt zu sein, muss auch noch gegen die attraktiven Ballungszentren antreten oder gleich umziehen und entsprechend höhere Infrastrukturkosten in Kauf nehmen.

Oder für sich werben.

Und so häufen sich derzeit in den Agenturen die Employer Branding-Projekte. Wir als Strategen entwickeln immer öfter nicht nur Strategien für den Absatz von Produkten und Dienstleistungen, sondern auch dafür, wie ein Unternehmen sich selbst an die Mitarbeiter – an die, die es schon hat, und an die, die es noch braucht. Wir möchten einige Aspekte betrachten, die bei der Erarbeitung von Strategie und Konzeption solcher meist komplexen Employer Branding-Projekte zu beachten sind.

 

Der „Brand Fit“

Employer Branding bedeutet weit mehr als das Redesign von Recruiting-Anzeigen. Wie bei der Entwicklung einer jeden Kampagne muss die Frage nach der Positionierung der (Arbeitgeber-)Marke gestellt werden. Dort, wo sich Human Resources (HR) bereits zu einem wahren strategischen Businesspartner weiterentwickelt hat, wird dies weniger problematisch sein. Wo dies aber nur ansatzweise oder gar nicht der Fall ist, muss einiges an Basisarbeit geleistet werden.

Daher beginnen für uns etliche Projekte mit der Verortung der Arbeitgebermarke. Sie wird – selbstverständlich – von der Unternehmensmarke abgeleitet und für den (potenziellen) Mitarbeiter interpretiert. Denn das Markenerlebnis, das ich als Mitarbeiter haben soll, darf sich nicht diametral von dem unterscheiden, das ich als Kunde habe. Im Idealfall ist es deckungsgleich.

In vielen Unternehmen sind HR und Marketing fachlich und organisatorisch voneinander getrennt. Das erschwert die Zusammenarbeit erheblich, und es ist nicht ungewöhnlich, dass beide Abteilungen getrennt an „ihren“ Markenstrategien arbeiten.

Eine wichtige Frage, die man sich als Agentur immer stellen sollte, heißt demnach: Sind wirklich alle relevanten Ansprechpartner in das Employer-Branding-Projekt integriert? Wird man zum Beispiel von der Marketingabteilung gebrieft, ist es empfehlenswert, die Beteiligung der HR-Abteilung einzufordern. Wie weit diese Be teiligung geht, hängt dann von der Art und Größe des Projekts ab; aber zumindest für ein Interview sollte HR zur Verfügungstehen, da d ie Personalexpe rten oft entscheidende Informationen geben können.

Die Arbeitgebermarke muss die Kultur im Unternehmen glaubwürdig repräsentieren, nur dann kann sie überzeugend nach außen kommuniziert werden. Ist dies nicht der Fall, wi rd es zu einem erheblichen Imageverlust kommen. Schließlich lässt sich nicht verhindern, dass Mitarbeiter erzählen, was wirklich im Unternehmen abläuft, und auch Bewerber oder Mitarbeiter in der Probeezeit werden schnell skeptisch, wenn Selbstdarstellung und Realität im Unternehmen nicht zusammenpassen.

Ist eine Arbeitgebermarke neu zu entwickeln, so ist der Entwurf dringend mit der Erlebniswelt der Mitarbeiter abzugleichen. Idealerweise werden daher Mitarbeiter unterschiedlicher Abteilungen und Funktionen in die Entwicklung der Arbeitgebermarke einbezogen. Interviews mit ihnen gehören zu den Minimalanforderungen eines Employer-Branding-Projekts! Überraschungen sind dabei nicht ausgeschlossen: Unter Umständen muss man einem Unternehmen raten, sich erst intern optimal aufzustellen, bevor die Employer Brand glaubwürdig nach außen kommuniziert werden kann.

Überzeugte Mi tarbeiter sind die besten Markenbotschafter. Viele Unternehmen haben das erkannt und setzen Mitarbeiter immer wieder als Testimonials ein. Wenn damit die Firmenkultur authentisch und nah kommuniziert wird, kann dieses Konzept sehr erfolgreich sein. Häufig werden Mitarbeiter aber quasi als Models genutzt, ohne kulturelle und inhaltliche Substanz.

 

Die „Passung“

„Wir suchen Überflieger!“: Unternehmen formulieren ihre Recruiting-Anzeigen oft so ambitioniert, d ass man ein recht hohes Selbstbewusstsein haben muss, um sich zu bewerben. Dieser Anspruch führt nicht nur dazu, dass offene Stellen vielleicht erst nach langer Zeit besetzt werden können. Die Unternehmen konzentrieren sich teilweise auch auf die falschen Bewerber. Denn die Besten der Besten sind nicht immer die Besten. Gebraucht werden die Richtigen für das Unternehmen, die Funktion, die Region.

Studien von Prof. Dr. David Scheffer zeigen, dass die Selektion potenzieller Mitarbeiter eine „Passung“ in Bezug auf die derzeitigen Mitarbeiter erfüllen sollte. „Passt“ das Team, entstehen Identifikation, konstruktive Reibung und produktive Energie. Falls nicht, besteht die Gefahr von Resignation, Stress und destruktiver Energie. Strategen sollten sich anhand vorab definierter Persönlichkeitsvariablen ein Bild der Mitarbeitertypen verschaffen, um herauszufinden, welche dazu passenden Kandidatensegmente das Unternehmen ansprechen sollte.

Für solche Analysen nutzt Scheffel z.B. NeurolPS, eine Methode, die nicht nur den Persönlichkeitstyp beschreiben kann, sondern auch Empfehlungen liefert, mit welchem Inhalt und welcher visueller Gestaltung man bestimmte Typen überzeugen kann. Jeder kann sich vorstellen, dass etwa Ingenieure anders wahrnehmen als Designer. Selbst zwischen Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern gibt es deutliche Unterschiede.

 

Die „Employer Value Proposition“ (EVP)

Viele Arbeitgeber versprechen in ihrer Mitarbeiterkommunikation tolle Perspekti ven oder Entwicklungsmöglichkeiten in einem netten Umfeld. Das ist zwar für alle Zielgruppen wichtig, wirkt aber leer und austauschbar, wenn man es nicht mit echten „Reasons Why“ untermauern kann, die durch die besondere Kultur des Unternehmens deutlich wahrnehmbar sind.

Um die EVP zu entwickeln, ist es ratsam, Primärforschung zu betreiben und sich von Mitarbeitern Geschichten aus dem Arbeitsalltag oder von spannenden Projekten erzählen zu lassen. Aus diesen Ansätzen entsteht oft eine authentische, relevante und differenzierende Proposition. Zudem eignet sich das Storytelling hervorragend dafür, bei der Zielgruppe einen hohen Grad an lnvolvement zu erreichen und die verschiedenen medialen Kanäle zu bedienen. Je mehr echten Einbl ick ein Bewerber in ein Unternehmen erhält, umso interessanter wird es für ihn.

Employer Branding umfasst natürlich weit mehr als hier dargestellt. In jedem Fall ist es für die Personalabteilungen der Unternehmen eine echte Herausforderung mit großer Bedeutung für die Zukunft. Umso wichtiger, dass sich auf Agenturseite vor allem die strategischen Planer mit dem Thema beschäftigen. Schließlich geht es nicht um „Werbung“, sondern um authentische Kommunikation eines komplexen Themas und um die Kunst der Differenzierung.

 

 

Foto: „Lonesome Worker“ | mickmorley | photocase.de

comments powered by Disqus