Marketer in Goldgräberstimmung

Wie Big Data modernes Marketing verändert. Eine Bestandsaufnahme.

Von Sven Grammes, Syzygy AG

 

Allein 2012 werden 2,7 Zettabyte Daten in unterschiedlichster Form generiert werden. Zur Verdeutlichung: Um 1 Zettabyte zu speichern, brauchen wir physischen Speicherplatz, der so groß ist wie die zehn fache Fläche der Alster in Hamburg (ca. 18 km²) . Um diese unvorstellbare Menge zu verstehen, hilft es zu wissen, woher diese riesige Masse überhaupt kommt. Welche Faktoren sind dafür verantwortlich? Wie kann Marketing von Big Data profitieren? Und was bedeutet die Datenflut für Markenstrategen? Welchen Herausforderungen müssen sich Marketer auf Unternehmens- und Agenturseite stellen?

 

Woher kommen diese riesigen Datenmengen?

Es sind vor allem die technologischen Innovationen der letzten Jahrzehnte, die das Schaffen und Speichern von Daten vorangetrieben haben. Noch 1980 kostete 1 Terabyte Speicherplatz 14 Millionen US-Dollar, wenn wir heute in den Elektromarkt um die Ecke gehen, gibt es 1 Terabyte schon für 80 Euro. Die Folge ist, dass es noch nie einfach er war, Daten zu speichern und jederzeit verfügbar zu machen. Günstige Prozessoren und allgegenwärtiger Internetzugang geben jedem Menschen die Möglichkeit, seine Gedanken und Ideen quasi umsonst und weltweit zu verbreiten. Und die Menschen nutzen diese Möglichkeiten: sie kreieren und sammeln ihre Musik, ihre Fotos, ihre Filme, ihr Wissen, also quasi alles online!

Vor zehn Jahren war Joggen noch eine völlig datenfreie Angelegenheit. Ambitionierte Läufer nutzten bestenfalls eine Stoppuhr und Stift und Papier, um ihre Zeiten und Strecken festzuhalten. Heute quantifizieren Millionen ihre Fortschritte mithilfe von Smartphone-Apps und Pulsuhren. Sie fotografieren dabei, streamen Musik, lassen sich von ihren Freunden über Social Media anfeuern und posten ihre Leistungen auf Facebook und/oder Twitter.

Und die Entwicklung ist noch lange nicht zu Ende: Das Internet der Dinge steht auf unserer digitalen Türschwelle und wartet nur darauf hineingelassen zu werden. Schon heute sind Schuhe, Fernseher und sogar Autos mit dem Internet verbunden. Die Zahl der Geräte, die Daten über das Internet schaffen und austauschen, wird in den nächsten Jahren exponentiell zunehmen. In Zukunft werden auch Geräte vermehrt miteinander kommunizieren – völlig ohne menschliches Zutun.

An diesem Beis piel lassen sich die drei wichtigsten Faktoren von Big Data ablesen (3 Vs): Die reine Datenmenge nimmt stetig zu wird in den kommenden Jahren noch dramatischer anwachsen (Volume). Außerdem liegen diese Daten in Echtzeit vor und können ebenso schnell verarbeitet werden (Velocity). Schließlich generieren und bekommen wir diese Datenmengen aus immer unterschiedlicheren Quellen, Formaten und Kanälen (Variety). Nur: Was fangen wir damit an?

 

Welche Chancen bietet Big Data?

Laut einer Studie von McKinsey ist Big-Data-Analyse für mehr als die Hälfte der befragten Manager eine Top-Priorität der nächsten Jahre. Und auch die deutsche Fachpresse berichtet immer häufiger über das Thema; Bücher zu dem Thema werden heiß diskutiert.

Ein viel zitiertes Beispiel hat die New York Times recherchiert. Target, der zweitgrößte Einzelhändler der USA, versucht bereits seit Jahren mithilfe von Big Data mehr über seine Kunden zu erfahren und dieses Wissen zu monetarisieren. Dazu hat das Unternehmen schon 2002 Datenanalysten eingestellt. Laut Recherche der New York Times stieg zwischen der Etablierung des Datenanalyse-Teams 2002 und 2010 der Umsatz von Target von 44 Mrd auf 67 Mrd US-Dollar. Natürlich ist die Entwicklung nicht allein auf die Datenanalyse zurückzuführen, aber die Chancen sind auch nicht kleinzureden. Wie andere Einzelhändler hofft auch Target darauf, Konsumenten an bestimmten Wendepunkten in ihrem Leben zielgenau anzusprechen und so vom veränderten Konsum- und Einkaufsverhalten zu profitieren: Statistisch gesehen wechseln z.B. Männer nach Scheidungen ihre Lieblings-Biermarke. Oder Paare greifen nach ihrer Hochzeit häufiger zu neuen Müslisorten. In diesen Momenten die Bedürfnisse der Kunden zu befriedigen, kann zufriedene Konsumenten zu langfristig loyalen Kunden machen.

Der – für Händler – profitträchtigste Wendepunkt im Leben von Konsumenten ist die Geburt eines Kindes – damit können Millionen verdient werden. Klar: Sobald Kunden Kinderbetten und Windeln kaufen, ist der Wendepunkt in ihrem Leben offensichtlich. Target nutzte Daten jedoch, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen und früher zu erfahren, wann ein Wendepunkt im Leben seiner Kunden ansteht. Mit den existierenden Daten von unterschiedlichsten Touchpoints (Kundenkarten, Kreditkarteninfos etc.) konnten die Analysten von Target 25 Produkte identifizieren, die (miteinander in Verbindung gesetzt) eine sehr verlässliche Vorhersage treffen konnten, ob eine Kundin schwanger ist oder nicht. Noch wichtiger ist, dass Target auch den Zeitpunkt der Geburt relativ sicher benennen konnte und so je nach Phase und Bedürfnis relevante Angebote machen konnte.

Bei einer Kundin geschah die Vorhersage so früh, dass Target noch vor ihrem Vater wusste, dass sie schwanger war. Der Vater der jungen Frau hatte sich über die personalisierten Prospekte mit auffällig vielen Babyaccessoires beschwert. Nachdem er erfuhr, dass seine Tochter zu diesem Zeitpunkt bereits schwanger war, entschuldigte er sich bei Target und das Unternehmen hatte den ersten Beweis für die realen Erfolgschancen der Datenanalyse.

 

Big Data = Big Insights?

Man muss kein Datenschutzfanatiker sein, um hier ein ungutes Gefühl zu bekommen. Und genau das ist ein wichtiger, grundsätzlicher Punkt für uns Marketer: Wir dürfen den Bogen nicht überspannen, der Kunde muss den Mehrwert seiner Datenabgabe spüren.

Im Kern dreht sich strategische Markenführung darum, die Ziele der Unternehmen und die Bedürfnisse der Kunden in Einklang zu bringen. Insofern ist es eine unserer Hauptaufgaben zu verstehen, wie die Konsumenten ticken – dazu gehört eben auch abzuwägen, ab wann eine Zielgruppenansprache „creepy“ oder beängstigend ist. Datenanalyse half uns zwar schon immer dabei, Zielgruppen zu identifizieren, zu analysieren und Kundenmehrwerte oder lnsights zu finden. Die Digitalisierung hat unsere Zielgruppenanalyse aber auf  in ganz neues Niveau gehoben und stellt uns vor ganz neue Herausforderungen. Früher haben wir auf Basis von Befragungen (Marktforschungen, Vox Pops etc. ), Fokusgruppen und Berichtsbänden Zielgruppen analysiert. Heute nutzen wir noch mehr Analysetools: Web-Analytics, Usability-Labs, Social-Media-Monitoring und sogar MarktforschungsBots, die Nutzerverhalten automatisch simulieren .

Die Kunst besteht heute nicht mehr darin, Informationen zu bekommen, sondern erstens die richtigen Fragen zu stellen und zweitens für jede Fragestellung, für jeden Business-Need die richtigen Tools zu nutzen und die relevanten Informationen herauszufiltern, Zusammenhänge zu erkennen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Ein Selbstläufer ist Big-Data-Analyse jedenfalls nicht.

 

Herausforderungen durch Big Data

1. Sammeln und Analysieren.
a. Big Data braucht eine ausgefeilte technologische Infrastruktur, ist aber kein Thema nur für Tekkies.
b. Big Data ermöglicht heute einen Wettbewerbsvorteil. Morgen wird der Verzicht darauf ein Wettbewerbsnachteil sein (für Unternehmen und Agenturen).

2. Verstehen.
a. Nicht Zahlen an sich, sondern Insights, relevante Zusammenhänge oder ein tieferes Kundenverständnis sind das Ziel.
b. Je komplexer die Daten werden, desto wichtiger wird es, die Ziele und Fragen im Vorfeld der Analyse sorgfältig zu formulieren.

3. Machen.
a. Überlegt und transparent mit den Daten der Menschen umgehen. Datenmissbrauch kann schnell mehr zerstören als einbringen.
b. Die Kunden müssen den Mehrwert für sich erkennen – das schafft Vertrauen und stärkt die Marke und/oder das Unternehmen.

„People used to say that information is power but that’s no longer the case. lt’s analysis of the data, use of the data, digging into it – that is the power.“ Let’s dig for gold!

 

 

Foto: „Gold pflücken“ | Gabriela Gattaneo | photocase.de

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