Wider den blinden Fleck im Planning

Von Knut Riedel, freier Planning Director, Hamburg

 

Angeblich tragen Schuster oft selbst die schlechtesten Schuhe, und auch Planner haben häufig einen blinden Fleck: Den Client Insight.

 

Während Planner in Bezug auf die Zielgruppen ihrer Auftraggeber häufig sehr tief in deren (tiefen-)psychologische Befindlichkeiten, ihre Eigenarten in der Informations-Aufnahme und die rationalen, emotionalen und sozialen Facetten ihres Entscheidungsverhaltens einsteigen, so wenden sie derartige Analysen nur äußerst selten auf ihre eigene Kernzielgruppe an: Ihre eigenen Kunden. Dass die Kunden die Genialität einer präsentierten Strategie (und natürlich auch der folgenden Kreation) einfach nicht „verstanden“ hätten oder nicht den „Mut“ gehabt hätten, diese umzusetzen, sind typische Symptome eines fehlenden oder unzureichenden ‚Client Insights‘.

Im Unterschied zum klassischen ‚Consumer Insight‘ stehen beim ‚Client Insight‘ dabei deutlich mehr organisations-psychologische und -soziologische Fragen im Vordergrund als individual-psychologische.

 

Dimension 1: Entscheidungsverhalten des Ansprechpartners

1. Repräsentationssystem (inspiriert vom NLP)
Welches ist die dominierende Sinnes-Modalität des Ansprechpartners? Und darauf aufbauend: Wie bereitet man ihm den eigenen strategischen Ansatz am besten auf? Reagiert er stärker auf ’starke‘ Bilder (visuell) oder ’starke‘ Worte (auditiv)? Arbeitet man lieber mit FlussDiagrammen und Werten (abstrakt) oder mit Metaphern (konkret)?

2.Involvement
Wie stark möchte der Kunde in den Entwicklungsprozess eingebunden werden? Ist er eher der Typ „Blick in die Küche‘ das heißt, möchte er im Schulterblick Weichenstellungen vornehmen, seine eigenen Ideen einbringen und in offener Diskussion weiterentwickeln? Oder ist er eher der Typ „Schlüsselfertige Übergabe’~ das heißt, möchte er briefen und die Lösung dann möglichst perfekt mit maximal einer Korrekturschleife ausgearbeitet bekommen?

3. Rational versus emotional
Entscheidet das Gegenüber eher mit dem Kopf (häufig Entscheider mit akademischem Hintergrund) oder aus dem Bauch (häufig Entscheider mit Praxis-Hintergrund)? Überzeugt man ihn eher mit einer präzise ausgearbeiteten Argumentation oder durch aufrichtige Begeisterung von der Richtigkeit der eigenen Strategie?

 

Dimension 2: Strategischer Kontext

4. Entscheidungsrahmen des Gegenübers
Wofür ist der Ansprechpartner „offiziell“ zuständig? Wofür nicht mehr? Wie weit reicht seine Befugnis in Bezug auf Strategie und die Einbindung anderer Abteilungen? Welche Entscheidungen fällt er hauptverantwortlich, in welche bindet er sein Team ein? Was geht nicht ohne Abstimmung mit seinen Vorgesetzten?

5. Politisches Klima der Organisation
Ist die Organisation als Ganzes eher progressiv oder konservativ? Welche Rolle spielt der Entscheider im Unternehmen (z. B. ‚Innovator‘, ‚Verwalter~ ‚Rammbock‘, ‚Wunderkind‘)? Wie stark und in welcher Form findet Kontrolle statt? Wie wichtig ist “Absicherung nach oben“? Wie bringen sich Vorgesetzte ein? Inwiefern wird der Entscheider von seinen Vorgesetzten unterstützt, allein gelassen oder gar instrumentalisiert?

6. Persönliche Agenda des Gegenübers
Welche Karriere-Ziele verfolgt der Ansprechpartner? Welche Rolle spielt das aktuelle Projekt darin? Welche persönliche Vision hat er für das aktuelle Projekt? Wer sind die zentralen Bezugspersonen für das Gegenüber innerhalb der Organisation (interne Zielgruppe)? Wer ist die interne Konkurrenz im Kampf um Budgets, Ansehen und Aufmerksamkeit?

 

Dimension 3: Agentur- und direkte Beziehung

7. Rolle der Agentur
Wie wird die Kern-Kompetenz der Agentur durch das Unternehmen definiert: Lead- oder Adaptions-, Beratungs- oder Kreativ-Agentur, integrierend-supervidierender Generalist oder Spezialist mit klar abgegrenzter Kern-Kompetenz? In welchem Ausmaß werden Strategie-, Kreations-, Projektmanagement- und Media-Kompetenzen erwartet und vorausgesetzt? Wird die Agentur eher als Innovator oder als Bewahrer des etablierten Marken-Weges angesehen?

8. Haltung zur Agentur
Ist die Agentur etabliert oder muss sie sich noch beweisen? Steht sie gar auf dem Prüfstand? Welche Pläne hat der Kunde mit der Agentur? Will der Kunde saubere Aufgaben-Erfüllung oder erwartet er neue Impulse? Definiert der Kunde die Beziehung zur Agentur eher nach dem Muster „gleichwertiges Team“ oder nach dem Muster „Auftraggeber und Zulieferer“?

9. Zusammenspiel mit dem direkten Ansprechpartner
Welche Rolle spielt der Stratege: ‚inspirierender Paradiesvogel‘, ‚kritischer Advocatus Diaboli‘, ‚weitblickender Ordnungsstifter‘, ‚wohlinformierter Impulsgeber‘? Pflegt man ein intim-vertrautes ‚Du‘ oder ein professionell-distanziertes ‚Sie‘? Wer präsentiert was und wie viel bei Präsentationen in größerer Runde? Soll der direkte Kunde der erste (oder gar einzige) Ansprechpartner in der Organisation sein oder spricht jeder mit jedem?

 

Fazit

Indem man typische Fragen, die man als Planner normalerweise zur Zielgruppe des Auftraggebers stellt, auch auf den Auftraggeber selbst anwendet, bekommt man wichtige und teilweise erhellende Impulse für die (Um-) Gestaltung der Kundenbeziehung.

Perspektive, Erwartungshaltung und Grenze der „anderen Seite“ beim eigenen Vorgehen einzubeziehen, reduziert deutlich das Risiko von Feedbacks a la „Da haben Sie ja anscheinend überhaupt nicht verstanden, was wir eigentlich von Ihnen wollen“ – nicht nur in Pitch-Situationen, sondern auch in bereits bestehenden Kundenbeziehungen.

Genau wie beim ‚Consumer Insight‘ geht es dabei weniger um eine vollständige Analyse, sondern darum, diejenigen Stellschrauben zu identifizieren, die am nachhaltigsten einen positiven Einfluss auf die Beziehung haben.

 

 

Foto: „Kunde ist König“ | chriskuddl | ZWEISAM | photocase.de

 

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