Ein weiter Weg zur Weltklasse

Von Niklas Wecker, Grabarz & Partner, Hamburg

In keinem anderen Land sind so viele Weltmarktführer beheimatet wie in Deutschland. Wieso eigentlich nicht in der Werbung?
Ein Thesenpapier.

Deutschland ist Weltklasse
Wenn es um die Anzahl der Weltmarktführer geht, führt Deutschland das globale Feld an. Und das, obwohl Deutschland nicht mal die größten Unternehmen stellt – der Fortune Global 500-Index listet viermal mehr US-amerikanische Unternehmen auf als deutsche. Es kommt also nicht auf die Größe an.

So sind es gerade mittelständische Unternehmen, die besonders erfolgreich am Markt agieren und den Wettbewerb weltweit übertrumpfen. Von Unternehmen der Messtechnik bis hin zur Uhrenmacherei. Die Deutschen sind gut in dem, was sie machen. Ein Blick auf die Exporte bestätigt dies: In den letzten 25 Jahren war Deutschland zehnmal Exportweltmeister.

Deutsche Werbung ist noch nicht an der Weltspitze
Als Werber drängt sich einem die Frage auf, wieso wir eigentlich nicht auch Weltmarktführer in der Werbung sind. Zugegeben: In den letzten Jahren hat die deutsche Werbung sicherlich viel richtig gemacht, aber ganz nach oben haben wir es dennoch nicht geschafft. Wie kommt es also, dass Deutschland in so vielen Branchen führend ist und nicht in der Werbung? Immerhin sind wir doch ein Volk der Dichter und Denker – was ja im Prinzip Textern und Plannern entspricht …

Um dem auf den Grund zu gehen, muss man sich zunächst einmal fragen, woran man einen Weltmarktführer der Werbung überhaupt festmachen könnte. An schierer monetärer Größe, bspw. dem Gross Income? Wohl kaum. An Kreativ-Rankings? Die aktuelle Ranking-Diskussion zeigt, dass man schlecht beraten wäre, an der Anzahl der Kreativ-Awards einen Weltmarktführer auszumachen. An besonderer Effizienz? Eine wichtige Kenngröße, aber ebenfalls als Indikator für einen Weltmarktführer nicht geeignet.

Per Innovation nach ganz oben
Ein aussagekräftigerer Indikator ist da schon die Innovationskraft einer Branche. Betrachtet man die oben erwähnten Weltmarktführer, zeichnen sich diese vor allem durch außergewöhnlich viele Innovationen aus. Kaum ein anderes Land produziert mehr Patente pro Kopf als Deutschland. Nun gibt es zwar keine „Werbepatente“, aber die Innovationskraft der Werbung lässt sich z.B. an der Anzahl der Integrated Lions in Cannes bemessen, die, vereinfacht gesagt, besonders innovative Werbung prämiert. Ein Award von besonderer Qualität also. Die deutsche Bilanz in dieser zukunftsweisenden Kategorie fällt seit ihrem Bestehen ziemlich dünn aus.

Weltmarktführer sein ist kein Selbstzweck
Nun könnte man natürlich fragen, warum es überhaupt relevant ist, Weltmarktführer zu werden. Da wäre es zu einfach zu sagen, man wolle Weltmarktführer des Weltmarktführers wegen werden. Die Anreiz lässt sich vereinfacht wie folgt darstellen: Als Weltmarktführer verbessert die gesamte deutsche Werbebranche ihr Standing gegenüber ihren Auftraggebern, was positive Auswirkung auf Stundensätze und Wertschöpfung von Agenturen hat. Der Entwicklung der letzten Jahre könnte so Einhalt geboten werden. Dies wiederum führt dazu, dass die Rahmenbedingungen in Agenturen verbessert werden können, was wiederum gute Leute in die Werbung zieht, die für mehr Innovationskraft der Branche sorgen. So schließt sich der Kreis zur Weltmarktführerschaft.

Werbung ist People Business
In einer Branche, deren Produkt nicht von Maschinen, sondern ausschließlich von Menschen erdacht und erbracht wird, sind gute (!) Mitarbeiter die wichtigste Ressource. Wenn also das Erreichen der Weltmarkführerschaft von der Innovationskraft abhängt und wenn diese Innovationskraft wiederum von Menschen abhängt, dann wird ein Weltmarktführer der Werbung von Menschen gemacht. Aus diesem Grund sollten, ja müssten, die Rahmenbedingungen für Mitarbeiter und solche, die es werden wollen, verbessert und tradierte Paradigmen über Bord geworfen werden.

Folgende Thesen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) zeigen, an welchen Schrauben, das Personal betreffend, die Branche drehen kann.

 

Der demografische Wandel in Deutschland trifft die Werbung mit besonderer Härte
Unsere Gesellschaft altert. Immer weniger Kinder werden geboren. Die aktuelle Studie ‚(Keine) Lust auf Kinder?’ des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung hat dies gerade wieder bestätigt. Der Werbenachwuchs gerät ins Stocken. In einer chronisch jugendlichen Branche, in der sich die Generation 40+ auf die Chefsessel beschränkt, ist diese Entwicklung besonders fatal.

Ältere Arbeitnehmer sind neben der größeren Erfahrung auch entgegen dem allgemeinen Vorurteil nicht weniger leistungsfähig als Jüngere, so Wirtschaftspsychologe Prof. Jürgen Deller von der Universität Lüneburg. Die Branche sollte sich also am Arbeitsmarkt vermehrt älteren Bewerbern öffnen und so dem demografischen Wandel Rechnung tragen.

 

In der Werbung herrscht institutionalisierter Fachkräftemangel
Es wachsen in Deutschland nicht nur nicht genügend junge Kräfte nach, sie werden auch nicht gut genug ausgebildet. Das liegt auch an der mangelnden Institutionalisierung der Werberausbildung. Texterschmiede, Miami Ad School & Co. schön und gut, aber dabei handelt es sich um Eigengewächse der Branche. Werber, die Werber züchten. Man dreht sich im Kreis und ebnet so nicht gerade den Weg für innovatives Denken.

Leider stellen Positivbeispiele wie die Berlin School of Creative Leadership der Steinbeis Universität oder die School of Design Thinking des Hasso-Plattner-Instituts immer noch Ausnahmen dar. Ein dem breiten Publikum zugängliches Studienfach ‚Werbung‘ fehlt an deutschen Universitäten. Werbung wird immer noch an den meisten Hochschulen als Untergebiet des Marketingstudiums gelehrt, was der Spezialisierung der Profession Werber nicht gerecht wird und werden kann.

 

Lebenslanges Lernen ist nur eine Worthülse
Alle Welt propagiert heutzutage lebenslanges Lernen. Stillstand ist Rückschritt. Doch im Gegensatz zu anderen Unternehmen aus der Wirtschaft engagieren sich viele Werbeagenturen in Deutschland immer noch zu wenig für die Fortbildung ihrer Mitarbeiter. Die Bedeutung der Personalentwicklung scheint immer noch nicht fest in den Köpfen verankert zu sein.

Natürlich gibt es hier positive Ausnahmen, die die Personalentwicklung in Form von eigens dafür eingestellten Mitarbeitern und kontinuierlichen Personalentwicklungsprogrammen institutionalisiert haben. An diesen Positivbeispielen sollten sich Werbeagenturen orientieren.

 

Werbeagenturen verschlafen den Wertewandel
Ein Blick auf das aktuelle Forsa-Beliebheitsrankings von Berufen dokumentiert: In Deutschland sind wir Werber nicht mehr die begehrenswerten, leichtfüßigen Halodris, die mit Kreativität und Charme die Herzen (und Portemonnaies) der Menschen erobern. Der Beruf des Werbers ist nicht mehr sexy. Die Strahlkraft wie zu Zeiten Don Drapers aus ‚Mad Men’ ist verlorengegangen.

Dies lässt sich u.a. auch mit dem Wertewandel weg vom klassischen Karrierestreben hin zu mehr ‚Work-Life-Balance’ erklären. Dass Werbeagenturen nicht gerade als Positivbeispiel für die Ausgewogenheit von Arbeit und Leben herangezogen werden können, hat Prof. Dr. Björn Bloching von Roland Berger Strategy Consultants bei der ‚apg Open Source 2011’  in seinem Vortrag ‚Warum die Guten nicht in die Werbung wollen’ ausgeführt. 44% der Befragten glauben, dass sich Werberberuf und Familie nicht miteinander vereinbaren lassen. Die Branche, die Markenillusionen inszeniert, ist selbst desillusioniert.

 

Fluktuation lässt Agenturen ausbluten
Werbeagenturen zeichnen sich im Vergleich zu anderen Branchen durch eine besonders hohe Fluktuation aus. Dies stellt eine große Bedrohung für Werbeagenturen dar, denn mit jedem Mitarbeiter, der das Unternehmen verlässt, geht wichtiges (Kunden-)Wissen verloren. Die nachrückenden Mitarbeiter auf den Wissensstand des Vorgängers zu bringen, frisst Ressourcen auf. Ressourcen, die sinnvoller in die eigentliche Arbeit gesteckt werden könnten.

Dem wissensmäßigen Ausbluten sollten Agenturen mit verstärkten Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung entgegenwirken, um die Produktivität langfristig auf einem konstant hohen Level zu halten.

 

Leistung muss sich lohnen – auch in der Werbung
In jedem Vorurteil steckt leider ein Stück Wahrheit. Auch in dem, dass in der Werbung viel Arbeit vergleichsweise wenig Gehalt gegenüber steht. Grundlegende Umwälzungen wie die Digitalisierung der Welt bringen automatisch höhere Anforderungen an die Mitarbeiter (und damit auch ein Mehr an Arbeit) mit sich. Gleichzeitig steigt jedoch nicht der monetäre Gegenwert in Form des Gehalts, das damit nicht mehr als adäquate Kompensation für die gestiegenen Anforderungen dient, wie Prof. Dr. Björn Bloching ausführt.

Überflüssig zu erwähnen, dass man Weltmarktführer nur durch Höchstleistungen wird. Aber Höchstleistungen werden nicht nur durch die Aussicht auf Kreativ-Awards oder ein unkonventionelles Arbeitsumfeld hervorgerufen, sondern eben auch (noch) durch den schnöden Mammon. Leistung kann man zwar nicht kaufen, aber fördern – auch finanziell. Das betrifft nicht nur die bestehenden Mitarbeiter, sondern auch die Rekrutierung besonders leistungsfähiger High Potentials.

 

Und los!
Es ist ein weiter Weg zur Weltklasse. Die Thesen zeigen, dass die Herausforderungen vielschichtig und komplex sind. Die eine Patentlösung zum Weltmarktführer der Werbung existiert nicht.

Fest steht jedoch: In Zeiten, in denen sich Kommunikation und Rahmenbedingungen radikal ändern, muss sich auch die Branche radikal ändern:

Weg von isolierten Lösungen, hin zu vernetztem, integriertem Denken. Innovative Kommunikationslösungen bestimmen die Zukunftsfähigkeit und Daseinsberechtigung unserer Branche.
Weg von Paradigmen von gestern, hin zu einem neuen Selbstverständnis im Umgang mit (potenziellen) Mitarbeitern. Ändern wir nicht den Umgang mit unserem Personal, geht uns über kurz oder lang unsere wichtigste (ja einzige) Ressource aus: gute Mitarbeiter.

Diesen grundlegenden Wandel kann und muss die Branche nutzen, um noch wettbewerbsfähiger zu werden. Dann kann Deutschland auch in der Werbung Weltmarktführer werden. Mehr deutsche Integrated Lions in Cannes wären ein sichtbares Resultat dieses Transformationsprozesses.

 

 

Foto: „dann werden wir eben siegen“ | jock+scott | photocase.de

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