Wunderbarer Werkzeugkasten für kreative Wissensarbeiter

Von Ingo Waclawczyk, Leiter Strategie und Konzeption, anyMOTION – Neue Medien, Düsseldorf

 

Eine Betrachtung über Peter F. Druckers Buch „Was ist Management?“

 

Wir leben in einem wirklich spannenden Abschnitt der Geschichte, denn es gab noch nie so viele grundlegende Veränderungsprozesse in einem so kurzen Zeitraum. Das gilt auch und ganz besonders für die Kommunikations- und Werbebranche sowie deren Mitarbeiter und Kunden. All diese Veränderungen bringen unterschiedliche Reaktionen mit sich: Auf der einen Seite die Angst vor dem Neuen und der ungewissen Zukunft, auf der anderen die Chance für eine Veränderung zum Besseren.

 

Die Zukunft gestalten durch Management?

Auf der Suche nach Theorien und Wissen zum Thema „Zukunft gestalten“ stellt man schnell fest, dass sie organisiert, sprich „gemanagt“ werden muss, um die Komplexität der Aufgaben zu reduzieren. Doch das Angebot an Seminaren, Vorträgen, Workshops und Literatur zum Thema Management ist so vielfältig und unübersichtlich, dass es schwerfällt, das „Richtige“ zu finden. Vielleicht gibt Google eine Hilfestellung? Wenn man dort nach den besten Management-Büchern sucht, stößt man schnell auf das Buch „Was ist Management? Das Beste aus 50 Jahren“ von Peter F. Drucker. Kundenrezensionen bei Amazon bewerten das Buch als „nützlich und praxistauglich“ und als „Standardwerk“. Bei Wikipedia erfährt man, dass der Autor „als Pionier der modernen Managementlehre und als origineller und unabhängiger Denker“ gilt. Außerdem hat er wichtige Denker und Autoren wie Philip Kotler und Fredmund Malik entscheidend beeinflusst.

 

Komplexität versus Einfachheit

Nach der Lektüre steht für mich fest, dass ein Fachbuch selten so inspirierend war wie dieses. Denn Peter F. Drucker erklärt mit verblüffend einfachen, plakativen und geradezu weisen Worten seine Sicht auf so komplexe Systeme wie Management, Mensch und Gesellschaft und zeigt auf fast jeder der 400 Seiten vielfältige, nachvollziehbare und effektive Handlungsoptionen auf, mit denen sich das Wirken jedes Einzelnen verbessern lässt.

 

Das Besondere an diesem Buch: Es ist eine kompakte Zusammenfassung der wichtigsten Gedanken aus mehr als 30 Büchern, die Peter F. Drucker in über 50 Jahren seines langen Wirkens zum Thema Management geschrieben hat, und behandelt dennoch alle relevanten Bereiche dieses großen Feldes. Die Aktualität seiner Gedanken ist ebenso bemerkenswert wie seine Visionen für die zukünftigen Entwicklungen. Drucker definiert im Unterschied zu anderen das Management als eine wichtige Funktion innerhalb der Gesellschaft, die weit über die eigentliche Organisation eines Unternehmens, wie zum Beispiel einer Agentur, hinausgeht.

Zudem ist das Buch ganz gezielt auch für junge Menschen geschrieben, die sich über grundlegende Managementthemen informieren wollen, selbst aber (noch) keine „Manager“ sind.

 

Werkzeugkasten und Inspirationsquelle

Das Buch ist in drei große Kapitel unterteilt, die sich mit den Themen Management, dem Menschen und der Gesellschaft befassen. Über das Handwerk des Managements gibt Druckers Buch zahlreiche praktische Tipps und Anregungen, die vom Erreichen von Ergebnissen, dem Umgang mit den eigenen Stärken, richtigem Zeitmanagement, effektiven Entscheidungen bis hin zur funktionierenden Kommunikation reichen. Wer allerdings konkrete Handlungsanweisungen erwartet, wird enttäuscht. Drucker beschreibt eher die „Werkzeuge“, wie er seine Gedanken nennt, und führt Beispiele an, die zur Verdeutlichung dienen. Die Transformation in die eigene, spezifische Situation bleibt dem Leser überlassen.

 

Drucker hat sich selbst als einen „historischen Schriftsteller“ bezeichnet – daher setzt er viele der heutigen Herausforderungen in Bezug zur Vergangenheit, um so Aussagen über zukünftige Entwicklungen abzuleiten. So erfährt der Leser zum Beispiel, wie und wo Management ursprünglich entstanden ist, wie sich die Bedeutung und Aufgaben des typischen Managers im Laufe der Zeit verändert haben und welche Herausforderungen in Zukunft auf ihn warten.

 

Der Mensch im Mittelpunkt

Für Drucker steht ganz eindeutig der Mensch im Mittelpunkt. Sein zentraler Satz lautet daher: „Die Aufgabe des Management besteht darin, Menschen in die Lage zu versetzen, gemeinsam Leistungen zu erbringen. Es muss ihre Stärken nutzen und ihren Schwächen die Bedeutung nehmen.“ Und auf die Frage, welche Rolle ein Manager idealerweise einnehmen sollte, gibt Drucker folgende Antwort: „Der Manager ist ein Diener. Sein Herr ist die zu führende Einrichtung …“ Die Notwendigkeit dieser dienenden Haltung betont Drucker immer wieder. Auch die Bedeutung der gesellschaftlichen und sozialen Verantwortung von Management und Unternehmen spielt in seinem Werk eine große Rolle.

 

Der Zweck des Unternehmens

Auch auf die Fragen, die Organisation und Tätigkeiten von Unternehmen betreffen, hat Drucker immer seinen sehr eigenen Blick. Für ihn hat das Unternehmen nur einen Zweck und eine Existenzberechtigung: einen Kunden zu finden. Daher definiert der Kunde – und nicht das Unternehmen selbst – die Unternehmenstätigkeit. Nicht die Frage: „Was wollen wir verkaufen?“, sondern „Was möchte der Kunde kaufen?“ sollte daher im Mittelpunkt aller Überlegungen stehen. Wenn man diesen Gedanken auf die aktuell in der deutschen Werbebranche laufende Diskussion um den Wert von „Gold-Ideen“ überträgt, könnte man mit dieser Fragestellung zu einem Ansatzpunkt für eine Veränderung zum Besseren gelangen.

 

Was wirklich zählt: der Nutzen für den Kunden

Die Antwort auf die Frage, was denn der Kunde kaufen möchte beziehungsweise wofür er bereit ist, Geld auszugeben, ist nach Drucker ganz einfach: für einen Nutzen. Worin dieser Nutzen besteht, kann allerdings sehr unterschiedlich und jedes Mal anders sein. Abhängig von der Qualität des Nutzens für den Kunden steigt oder fällt seine Wertschätzung – und damit auch der Preis, den er bereit ist dafür zu bezahlen.

 

Welchen Nutzen der Kunde benötigt und bezahlen wird, kann man vielleicht erahnen. Drucker empfiehlt aber, nicht darüber zu spekulieren, sondern den Kunden ganz einfach direkt zu fragen. Innerhalb des Unternehmens – zum Beispiel in einer Agentur – sollte die Frage: „In welchem Geschäft sind wir tätig?“ durch die Frage: „In welchem Geschäft werden wir in Zukunft tätig sein?“ ergänzt werden, um einen Ausgangspunkt für die zukünftige Entwicklung zu erhalten.

 

Das Konzept des Wissensarbeiters

Ganz besonders interessant für Menschen, die in Werbung und Marketing tätig sind, ist das Konzept des Wissensarbeiters, das Drucker bereits 1959 zum ersten Mal beschrieben hat. Die vielen Gedanken, die er sich über das Zusammenspiel zwischen Wissensarbeitern und der Organisation, für die er tätig ist, gemacht hat, gehören für mich zu den interessantesten Stellen des Buches. Denn Drucker beschreibt sehr anschaulich das Spannungsfeld, in dem sich gerade kreative Wissensarbeiter in Agenturen befinden, und man erfährt quasi vom „Erfinder“ dieses Konzeptes, welche Aufgaben und Bedürfnisse den typischen Wissensarbeiter ausmachen. In „Was ist Management?“ kann man viele „Werkzeuge“ entdecken, die eine effektivere Arbeit in einer Agentur möglich machen. Die „Effektivität“ – das Nutzbarmachen seines spezialisierten Wissens – ist für Drucker die Hauptaufgabe des Wissensarbeiters.

 

Lebenslanges Lernen

Ein weiteres zentrales Element in den Lehren Peter F. Druckers nimmt das Wissen und das Lernen ein. Dabei geht es nicht um die Ausbildung, sondern um die Weiterbildung der Wissensarbeiter, die sich permanent weiterentwickeln müssen. Denn die zukünftigen Unternehmen sind mehr denn je auf kreative, innovative Wissensarbeiter angewiesen, die bereit sind, ihr Wissen zur Verfügung zu stellen. In seinem Buch führt Drucker einige Beispiele an, die zeigen, wie einst mächtige und wichtige Branchen die Weiterentwicklung verschlafen oder verpasst haben und so viel weniger anziehend für hoch qualifizierten Nachwuchs oder Fachkräfte wurden. Eine „schwindende Attraktivität“ in diesem Bereich ist für Drucker ein „erstes Anzeichen für den Niedergang eines Wirtschaftszweiges“.

 

Modernes Management: verantwortungsvoll und sozial

Druckers Anregungen helfen den Blick darauf zu lenken, worauf es wirklich ankommt: Ein Management, das die Fähigkeiten des einzelnen Menschen fördert, sich in den Dienst der Organisation stellt und somit innovative Leistungen ermöglicht. Motivierte Wissensarbeiter, die ihr spezialisiertes Wissen effektiv nutzbar machen und sich ihrer enorm wichtigen Rolle in der Gesellschaft bewusst sind. Und eine Gesellschaft, die bereit ist, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln und jedem einen Platz bietet, auf dem seine Fähigkeiten optimal zur Geltung kommen.

 

Peter F. Drucker: Was ist Management? Das Beste aus 50 Jahren. Econ 2002. Die amerikanische Originalausgabe erschien 2001 unter dem Titel „The Essential Drucker“ bei HarperCollins Publishers, New York.

 

Foto: Eisenglimmer / photocase.com

 

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