Marke, öffne dich!

Von Holger Schmitz, Associate der LEA Leadership Equity Association GmbH, Berlin

 

Es kommt eine Ära offener Marken, die aus einer starken internen Identität heraus erfolgreich werden oder gar nicht.

 

Marken inszenieren sich gerne über anziehende Bilderwelten und eingängige Versprechen. Von „Vorsprung durch Technik“ bis „Leistung aus Leidenschaft“. Klassischerweise werden Marken von Experten in Marketing und Unternehmenskommunikation mit Plan und Strategie geführt. Der Fokus liegt meist auf der Außenwirkung. Doch wenn man hinter die Fassaden der Marken in die Unternehmen hineinschaut, findet man häufig eine graue Ente, wo nach außen ein prächtiger Schwan gezeigt wird. Wo die Marke Leidenschaft für sich reklamiert, herrscht innen reiner Zweckopportunismus, wo nach außen inspirierte Innovation inszeniert wird, schieben die Mitarbeiter innen Dienst nach Vorschrift oder langwierige interne Abstimmungsprozesse stehen Neuerungen im Weg.

 

Im Prinzip ist nichts dagegen zu sagen, wenn es einen Unterschied zwischen „innen“ und „außen“ gibt. Auch viele Menschen geben sich im Kontakt mit Fremden anders als im vertrauten Familienkreis. Nicht wenige räumen die Wohnung nur auf, wenn Besuch kommt, während sonst das Chaos regiert. Warum auch das Wohnzimmer immer auf Hochglanz halten, wenn nur alle paar Monate Besuch kommt? Eine ähnliche ökonomische Haltung steht auch dahinter, wenn Unternehmen im Arbeitsalltag die graue Ente leben und in den prächtigen Schwan nur investieren, wenn es sich auszahlt: nämlich im Kontakt mit Kunden und solchen, die es werden sollen.

 

So weit, so gut. Doch die Umwelt der Unternehmen verändert sich und zwei Entwicklungen machen die „Außen-Schwan-und-innen-Ente-Mentalität“ zunehmend riskant.

 

Zum einen wandelt sich der Arbeitsmarkt. In Zeiten des Fachkräftemangels bewerben sich Unternehmen um qualifizierte Mitarbeiter statt wie früher umgekehrt. Als Reaktion darauf investieren Unternehmen in Employer Branding: Sie wollen als Arbeitgeber eine Marke mit Strahlkraft werden. Doch Employer Branding ist Markenentwicklung unter verschärften Bedingungen. Der Imperativ der Glaubwürdigkeit, dem jede Markenentwicklung unterliegt, erlangt im Employer Branding besondere Bedeutung. Denn neue Mitarbeiter, die mit großartigen Versprechen wie Gestaltungsfreiheit zu einem Unternehmen geholt wurden, nehmen es sehr übel, wenn sie nun von einem autoritären Chef gegängelt werden.

Außerdem kann es keine Arbeitgebermarke unabhängig von der Unternehmensmarke geben. Die Arbeitgebermarke ist eine spezifische Facette der Unternehmensmarke. Potenzielle Mitarbeiter nehmen den Arbeitgeber im Kontext der gesamten Marke wahr und das Verhalten des Unternehmens als Arbeitgeber wiederum prägt das Image der Marke insgesamt. Durch Employer Branding werden alle potenziellen und bestehenden Mitarbeiter zu Zielgruppen der Marke und zu Multiplikatoren, die ihre Markenerlebnisse anderen mitteilen. Jede Situation im Arbeitsalltag eines jeden Mitarbeiters wird zum Touchpoint, an dem die Marke sich bewähren muss. In der Konsequenz heißt das: Es gibt keine Trennung zwischen „innen“ und „außen“. Die Büros der Mitarbeiter sind keine privaten Wohnzimmer mehr, in denen sich ein Unternehmen gehen lassen kann, ohne dass es Einfluss auf das Markenimage hätte. So konnte die mittlerweile insolvente Drogeriekette Schlecker nicht verheimlichen, dass sie ihre Mitarbeiter bespitzelt, und ihr Markenimage litt darunter. Das Wohnzimmer wird zum Open House, in dem sich ständig Gäste aufhalten. So werden aus inszenierten Marken offene Marken.

 

Während durch Employer Branding die privaten Räume der Marke stets allen offen stehen, setzt der Siegeszug von Social Media einen weiteren kraftvollen Hebel an: Alles, was in diesen bisher privaten Räumen der Marke passiert, kann im Handumdrehen mit der ganzen Welt geteilt werden. Ein Beispiel unter vielen ist die Bewertungsplattform „kununu“, auf der Unternehmen von ihren Mitarbeitern benotet werden – für jeden sichtbar. Doch auch die kritische Öffentlichkeit geht mit Unternehmen hart ins Gericht. Marken wie Nestlé oder Adidas waren bereits Opfer sogenannter „Shitstorms“ und wurden aufgrund realer oder vermeintlicher Untaten von Internetnutzern an den digitalen Pranger gestellt. Diese Beispiele sind nur der Anfang einer radikalen Transparenz, der sich Marken stellen müssen. So wie für einzelne Menschen durch Facebook und Co. ein Stück Privatheit schwindet, gilt auch für Unternehmen: Alles, was sie tun, kann schnell für ein großes Publikum sichtbar werden. Es gibt keine Stabsstelle Markenführung mehr, die steuern kann, welche Aspekte des Unternehmens als Marke für die Öffentlichkeit sichtbar wird und welche nicht. Eigentlich ist es ja der Traum aller Kommunikationsstrategen: Die Zielgruppen beschäftigen sich freiwillig mit der Marke. Doch durch die Vielzahl der Dialoge, die Marken über soziale Medien führen, steigt die Zahl ihrer Touchpoints weiter in Richtung unermesslich. Die Geschwindigkeit, mit der Kommunikation in sozialen Netzen abläuft, macht es illusorisch, diese noch durch Markenstrategen in der Chefetage zu steuern. Jeder Mitarbeiter, der im Netz aktiv ist und dort zum Beispiel über sein XING-Profil einer Marke zugeordnet werden kann oder auch anonym seine Erfahrungen mit der Marke teilt, trägt eigenverantwortlich und in Echtzeit dazu bei, das Image der Marke mitzugestalten – und kann durch wenige unbedachte Worte massive Reaktionen im Netz auslösen, die der Marke schaden. Deswegen formulieren Unternehmen Social Media Guidelines für ihre Mitarbeiter wie zum Beispiel Tchibo mit dem sympathischen Film „Herr Bohne geht ins Netz“.

 

Unterm Strich bleibt die Feststellung, dass Marken sich öffnen müssen. Offene Marken kennen keine Trennung mehr zwischen „innen“ und „außen“. Jede Handlung eines jeden Mitarbeiters prägt das Markenimage und kann durch die Hebelwirkung von Social Media in das Rampenlicht einer öffentlichen Diskussion gebracht werden. Die Trennlinie zwischen Unternehmenskultur und Marke löst sich auf.

 

Kluge Unternehmen haben das schon erkannt und profitieren von einer starken internen Markenidentität, die konsistent zur Positionierung der Marke auf den Absatzmärkten passt. IKEA ist so ein Beispiel. Die beliebte Marke wird getragen von einer markanten und einzigartigen Unternehmenskultur, in der das konsequente „Du“ die Nähe von Führungskräften und Mitarbeitern fördert und skandinavischer Pragmatismus das Engagement der Mitarbeiter unterstützt. IKEA hat wohl erkannt, welcher Schatz diese starke interne Markenkultur ist und dass das Unternehmen davon profitiert, wenn Mitarbeiter auch extern sichtbar werden. Die Kampagne „PS 2012“ gab den neuen Einrichtungsgegenständen der Saison 2012 ein Gesicht und eine Geschichte. IKEAs Designer berichten, wie sie einen Einrichtungsgegenstand entworfen haben und was sie bei ihrer Arbeit inspiriert hat. Diese Einblicke bietet IKEA über Kanäle wie Anzeigen oder YouTube-Videos, in denen die Designer sich und ihre Arbeit vorstellen. So macht IKEA durch die Statements der Designer ein Stück seines Innenlebens sichtbar und setzt seine internen Schätze gezielt ein, um Kunden zu begeistern. Die Kundenbeziehung wird so in das Innenleben des Unternehmens hineinverlagert. Konsequent zu Ende gedacht, können die Mitarbeiter, die so sichtbar werden, dann auch in den direkten Dialog mit den Kunden gehen, zum Beispiel über IKEA-gebrandete, aber persönliche Facebook-Accounts. Klar ist: Im Rahmen der Kampagne kann der Auftritt der Testimonials kontrolliert mit geplanten Botschaften funktionieren. Doch die Sichtbarkeit der Designer wird über die Kampagne hinaus bestehen bleiben, zum Beispiel durch ihre Profile auf Facebook oder LinkedIn. Diese Kampagne wird sich für IKEA nur auszahlen, wenn sich jeder der beteiligten Designer auch in ungeplanten Kontakten mit der Außenwelt im Sinne der Marke IKEA verhält – idealerweise auch dann, wenn er gar nicht mehr bei IKEA arbeitet.

 

Was braucht ein Unternehmen, um die Chancen offener Marken zu nutzen und ihre Herausforderungen zu meistern? Eine Unternehmenskultur, die zur Marke passt! Außen Schwan und innen Ente funktioniert nicht mehr. Die Idee der Marke muss im Unternehmen am Arbeitsplatz tagtäglich spürbar werden. Passen Einzelbüros mit einer Kultur der geschlossenen Tür zu einer kommunikativen, dynamischen Marke? Würden Endlosmeetings ohne Entscheidung zu einer Marke passen, die sagt „Just do it“? Neben der Gestaltung des Arbeitsplatzes und der Unternehmenskultur spielt Führung eine zentrale Rolle. Führungskräfte entscheiden, worauf die Mitarbeiter ihre Aufmerksamkeit lenken und an welchen Werten sie sich orientieren. Deswegen sollte Führung in einem Unternehmen markenspezifisch sein. Damit eine Marke konsistent in allen Handlungen eines Unternehmens gelebt wird, braucht es eine Führungsmannschaft mit einem gemeinsamen Führungsverständnis im Sinne der Marke. Nur wenn alle Führungskräfte die Marke konsistent in jeden Winkel des Unternehmens tragen, sind die Chancen offener Marken größer als ihre Risiken. Denn für die Glaubwürdigkeit einer Marke wird eine passende und konsistente Unternehmenskultur immer wichtiger.

 

Foto: „come in…“ | C/L | photocase.de

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