Open Source 2013 – Sous les pavés, la plage*

Von Vincent Schmidlin, Vorstandvorsitzender Account Planning Group Deutschland (APG)

 

Ein Interview mit Rebellen: Maya Jribi (Generalsekretärin der tunesischen demokratischen Partei Al Joumhouri), Cornelius Kölblin (Comunication Strategist BMW i), Steffan Heuer (‚Brand-Eins‘- Korrespondent und Autor von ‚Mich kriegt ihr nicht!‘) und Anastasia Umrik (Gründerin anderStark e.v.)

*Unter dem Kopfsteinpflaster, der Strand

 

Mai 1968: In den Straßen von Paris bauen Studenten die Straßen ab, um Barrikaden zu errichten. Der Sand, in dem das robuste Kopfsteinpflaster eingebettet ist, kommt zum Vorschein. So wird der anonyme Slogan „Unter dem Kopfsteinpflaster, der Strand“ geboren, mit dem die 68er- Generation vor 45 Jahren Paris und Europa nachhaltig aufwühlte.

Keine der zahlreichen utopischen und lyrischen Wortkreationen, die damals die Mauer schmückten und die Demonstrationen rhythmisierten, destilliert so kraftvoll die Vielschichtigkeit der ideologischen Motivationen eines jeden Rebellen: Bruch und Aufbruch, Abbau des Alten und Aufbau des Neuen, Sehnsucht und Sinnsuche.

Diesen Motivations-Cocktail werden Sie in den Antworten unserer Interview-Partner und Redner bei der diesjährigen ‚Open Source‘ der APG am 13. Juni in Hamburg wiederfinden: Maya Jribi, Claudia Langer, Anastasia Umrik, Laurence Rilly, Cornelius Kölblin, Steffan Heuer und Micael Dahlén.

Ob aus politischen, ökonomischen oder gesellschaftlichen Gründen – sie alle engagieren sich mit Mut und Leidenschaft und suchen die konstruktive Konfrontation. Lernen Sie ihre Rebellion kennen und lassen Sie sich inspirieren – hier und auf der Open Source 2013

 

Schmidlin: Frau Jribi, Sie werden bei uns im Rahmen der Open Source einen Vortrag zum Thema Rebellion halten. Wogegen rebellieren Sie?

Maya Jribi: Ich rebelliere gegen Ungerechtigkeit, Machtmissbrauch, regionales Ungleichgewicht und Arbeitslosigkeit – vor allem von jungen Akademikern und Akademikerinnen. Ich setze mich ein für Freiheit, Würde und ein gutes Miteinander unserer Bürger – durch Beschäftigung und freie Teilnahme am öffentlichen Leben.

Schmidlin: Mit welchen Maßnahmen provozieren Sie Veränderungen?

Jribi: Zunächst mit ganz „klassischen“ Mitteln: viel Pressearbeit, Versammlungen, Meetings. Wir gehen aber auch neue Wege mit dem Internet, E-Mails und mobilisieren die sozialen Netzwerke. Sie spielen tatsächlich eine entscheidende Rolle in unserer Revolution! Dazu kommen noch Sit-ins und Hungerstreiks. Tunesien wurde mal als „Hauptstadt des Hungerstreiks“ bezeichnet. Ein Hungerstreik ist nicht einfach durchzuhalten, aber sehr effizient, um den Staat in Verlegenheit zu bringen.

Schmidlin: Wie erfolgreich sind Sie damit bis dato?

Jribi: Wir haben in den letzten zwei Jahren die Meinungsfreiheit, die Unabhängigkeit der Justiz und die Gewaltentrennung in Tunesien etablieren können, sodass man sich von der Justiz wieder beschützt fühlt. Außerdem haben wir ein sehr aktives Verbands- und Vereinswesen.

Schmidlin: Welche besonderen Faktoren begünstigen dabei den Erfolg Ihrer Rebellion?

Jribi: Ausschlaggebend für den Erfolg unserer Aktivitäten ist vor allem das Gefühl, das sich in der tunesischen Bevölkerung verbreitet hat: Seit der Revolution verweigert der Bürger, als Untertan betrachtet zu werden. Er will jetzt als vollwertiger Bürger anerkannt und behandelt werden – und handeln können. Somit entwickelt sich eine unglaublich lebhafte Zivilgesellschaft. Eine starke nationale Solidarität, unterstützt und genährt von der Macht der Medien, hilft uns auch. Die Garanten der Revolution sind aber die Frauen: ihr Elan, ihre Energie und ihr Optimismus tragen uns weiter und weiter. Unsere Rebellion für die Demokratie ist aber noch nicht an ihrem Ende und Ziel. Die Situation kann jederzeit kippen.

Schmidlin: Und was erschweren Ihre Rebellion?

Jribi: Unsere stärksten Dämonen sind religiöser Extremismus und Fanatismus, Terrorismus, Armut und Investitionsrückgang. Die allergrößte Gefahr besteht jedoch in der Verlangsamung des Übergangs zur Demokratie und der mangelnden Sichtbarkeit des politischen Prozesses.

 

Schmidlin: Herr Koelblin, auch Sie werden bei der Open Source einen Vortrag zum Thema Rebellion halten. Wogegen rebellieren Sie?

Cornelius Kölblin: Mit BMW i haben wir uns bewusst  außerhalb der traditionellen Denkweisen und Prozesse bewegt, um etwas wirklich Neues zu schaffen und einen bedeutenden Innovationssprung zu vollziehen.

Schmidlin: Mit welchen Maßnahmen provozieren Sie konkret Veränderungen?

Kölblin: Mit BMW i revolutionieren wir individuelle Mobilität: Freude am Fahren – emissionsfrei. BMW i ist ein ganzheitliches Konzept, bei dem das Prinzip der Nachhaltigkeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette eine zentrale Rolle einnimmt. Der BMW i3 wird das erste konsequent nachhaltig und von Beginn an als Elektrofahrzeug gestaltete Fahrzeug für ein urbanes Umfeld sein: maßgeschneidert für emissionsfreien Elektroantrieb und intelligente Fortbewegung in der Stadt und beim Pendeln. Wir verstehen das Automobil als Teil der gesamten Mobilitätsinfrastruktur unserer Städte und bieten daher eine Reihe von komplementären Dienstleistungen an, die Mobilität in unseren Städten schneller, einfacher und effizienter machen. BMW i will das Verständnis von individueller Mobilität neu definieren.

Schmidlin: Wie erfolgreich sind Sie bislang damit?

Kölblin: Weltweit verlangen immer mehr Menschen nach innovativen, nachhaltigen Formen der Fortbewegung. BMW i trifft den Nerv der Zeit und stellt sich wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen in einer sich verändernden Welt. BMW i hat bereits mehr als 1,2 Millionen Facebook-Fans weltweit, mit denen wir ständig im Dialog stehen. DriveNow, der Premium Car Sharing Service von BMW i, Mini und Sixt, hat in Deutschland bereits mehr als 120.000 registrierte Nutzer und wächst weiter.

 

Schmidlin: Herr Heuer, auch Sie rebellieren – wogegen genau?

Steffan Heuer: Ich rebelliere gegen den großflächigen und unkontrollierten Ausverkauf und Missbrauch von persönlichen Daten online, die uns alle zu maschinenlesbaren Größen reduzieren. Während die Gesetzgebung den technischen Entwicklungen beim Data-Mining und Tracking von Verbrauchern und Bürgern hinterherhinkt. schaffen Unternehmen immer größere Datenbanken und Werkzeuge – unterm Strich also vollendete Tatsachen, was deren Missbrauch angeht. Dem Normalverbraucher fehlen die notwendigen Informationen, um zu erkennen und zu entscheiden, wer wann in welchem Kontext Zugang zu seinen/ihren persönlichen Daten hat.

Schmidlin: Und mit welchen Maßnahmen provozieren Sie Veränderungen?

Heuer: Meine Ko-Autorin Pernille Tranberg und ich haben ‚Fake It!‘ – der deutscher Titel lautet ‚Mich kriegt ihr nicht!‘ – geschrieben, um Bewusstsein für das Problem zu schaffen und konkrete Hilfestellungen für eine sinnvolle digitale Selbstverteidigung zu bieten. ‚Fake It!‘ plädiert dafür, den Datenschutz in die eigene Hand zu nehmen und Sand ins Getriebe zu streuen. Dazu gehören: Pseudonyme zu benutzen, Tracking-Codes im Browser zu blockieren, bewusst falsche Daten zu streuen oder Daten wegzulassen sowie Web-Dienste, mobile Apps bzw. deren Zugriffsrechte sorgfältig zu kontrollieren. Diese Botschaft – ‚Fake It!‘ – kommunizieren wir online und offline sowie auf Veranstaltungen in Europa und den USA, etwa TEDx und SXSW.

Schmidlin: Wie erfolgreich sind Sie damit bislang?

Heuer: Unsere Argumente finden Beachtung in Medien und auf Veranstaltungen. Ermutigend ist, dass sich eine Vielzahl von Start-ups mit der Frage des Datenschutzes beschäftigen. Unter Verbrauchern und Politikern wächst generell langsam das Bewusstsein, dass das unkontrollierte Sammeln, Speichern, Auswerten und der Weiterverkauf persönlicher Daten Probleme nicht nur wirtschaftlicher Art schafft. Wer an Daten verdient, muss den Datensubjekten mehr Mitspracherechte einräumen und der Aufsicht sowie effektiver Ahndung bei Missbrauch unterworfen sein – Perspektiven, die unter anderem die neue EU-Direktive aufzeigt. Neue Gesetze und die öffentliche Debatte thematisieren außerdem stärker den Wert der persönlichen Daten in einer Welt, die von Big Data und dem Internet der Dinge geprägt sein werden.

Schmidlin: Erschwert auch etwas den Erfolg Ihrer Rebellion?

Heuer: Erschwert und gebremst wird eine offene und ehrliche Debatte durch Lobbying-Anstrengungen der großen Technologiefirmen und Werbenetzwerke sowie durch irreführende bzw. vage Beschreibungen der Datenverwendung durch die meisten Online-Anbieter.

 

Schmidlin: Frau Umrik, auch Sie werden bei im Rahmen der Open Source einen Vortrag zum Thema Rebellion halten. Erzählen Sie uns: Wogegen rebellieren Sie?

Anastasia Umrik: Ich rebelliere nicht ‚gegen‘, sondern ‚für‘: Für mehr Akzeptanz von behinderten Menschen, für mehr Barrierefreiheiten. für mehr Normalität. Dafür, dass jedes Individuum sich nicht für das Sein entschuldigen und rechtfertigen muss. Meine Rebellion könnte man wohl eher als Revolution bezeichnen. Frei nach Hannah Arendt: Während das Ziel der Rebellion die Befreiung ist, ist Revolution die Gründung von Freiheit.

Schmidlin: Mit welchen Maßnahmen provozieren Sie Veränderungen?

Umrik: Die Kunst, meine Projekte und der Versuch, als positives Beispiel voranzugehen, ist meine Art der Rebellion. Und unermüdlich wiederholen: ‚Es gibt keine blöden  Fragen – stellen Sie sie!‘ Erst dann merkt man, wie viel die Menschen wissen wollen, sich aber selten auszusprechen trauen.

Schmidlin: Wie erfolgreich sind Sie? Welche besonderen Faktoren begünstigen den Erfolg Ihrer Rebellion, welche erschweren sie?

Umrik: Meine Arbeit ist bisher sehr erfolgreich. Speziell der ‚anderStark Bildband‘, der neben mehr als 60 Fotos auch begleitende Texte enthält, die den Leser an das Thema Muskelerkrankung heranführen, ihn zum Nachdenken, Schmunzeln, aber auch zum Grübeln bringen sollen. Ich konnte bereits über 200 Bücher verkaufen, die noch nicht gedruckten Kalender werden vorbestellt und auch das neue Projekt ‚inkluWAS‘ ist gut angelaufen. Diverse Medienberichte und die sonstige Informationsverbreitung machen die Menschen auf meine Projekte aufmerksam und treiben den Veränderungsprozess in den Denkstrukturen voran. Dennoch wird der Erfolg auch gebremst, indem Projekte nicht ausreichend Aufmerksamkeit bekommen.

 

Schmidlin: Zum Abschluss noch eine Bitte: Vervollständigen Sie, wenn Sie mögen, das folgende Zitat von Thomas Jefferson: A little rebellion now and then is a necessary medicine for…

Umrik: a some diversification, for a new world.

Heuer: shaking up the established powers and to make sure citizens have a say in how we will all live in the hyperconnected world.

Jribi: … damit sich jeder als vollwertiger, würdiger Bürger anerkannt fühlt. Damit die Welt wirklich zu EINER Welt wird – einer Welt von Rechten und Freiheiten – egal, wo man ist und wo man lebt.

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