Mediaplanung D.0 // Von der passiven Planung der Exposure zur aktiven Beeinflussung des Verhaltens

Vier Thesen für eine vollkommen neue Mediaplanung, die das überkommene Modell mit demografischen Daten, Reichweite und Schaltpreise ablösen könnte.

Von Felix Stöckle, Prophet

 

Wer immer sich mit dem Thema Mediaplanung bereits in der pre-digitalen Phase auseinandergesetzt hat wird sich noch gut erinnern: Es gab die MA, die VA und einige andere Studien und Datensammlungen, die von den Verlagen und Sendern erhoben wurden und bei denen schlicht die Mediennutzung von Menschen mit ihren demographischen Daten und grundsätzlichen Interessen korreliert wurden. Bezog man die Auflagen, Anzeigenpreise, etc. mit ein, ließen sich Reichweiten und GRPs berechnen, und so ein Mediaplan erstellen. Diese Welt erscheint uns heute wie ‚Jurassic Parc’. Trotzdem haben sich einige der Grundprinzipien auch in der post-digitalen Welt von Paid, Earned & Owned Media nicht grundsätzlich verändert. Damit stellt sich die Frage, ob es ggf. an der Zeit ist, das Thema Mediaplanung einmal vollkommen neu zu denken? Im Sinne einer Streitschrift haben wir hierfür 4 Thesen formuliert:

 

#1 // Customer Insights vs. Behavioral Logs // Soziodemographie, Psychographie und Ethnographie bieten Erklärungsmuster, bilden aber kein Verhalten ab

Die klassische Medienplanung baut auf dem Segmentierungsgedanken auf: Für welche Zielgruppen bin ich mit meinem Angebot relevant, und wie erreiche ich diese Zielgruppe am effizientesten? Dafür wurden zunächst demographische Daten und Interessen verwendet. Mit der Erkenntnis, dass Motivationen, Bedürfnisse und Einstellungen bessere Segmentierungsansätze bieten, wurde die Psychographie integriert. Da Menschen aber oft in künstlichen Situationen befragt werden und Antworten durch sozial-erwünschtes Verhalten verfälscht werden, hielten ethnographische Ansätze Einzug in die Marktforschung. Diese lassen zwar nur eine Ausschnittbetrachtung zu, kommen dem Gedanken von situations-bezogenen Bedürfnissen (occasion-based need states) aber am nächsten. Ohne eine genaue Betrachtung der realen Customer Journeys von Menschen ist deren Erhebung aber nicht möglich. Hierbei wird jede Interaktion und jeder Kontaktpunkt in seinen zeitlichen und kausalen Zusammenhängen betrachtet und in eine chronologische Ordnung gebracht. Hieraus entsteht, was wir im Folgenden einen ‚Behavioral Log’ nennen wollen. Ein solcher ‚Behavioral Log’ ist natürlich ohne die Digitalisierung nicht denkbar, und die notwendige Nutzung von Behavioral Data (= Big Data) unumgänglich.

Schlussfolgerung #1: Die Mediaplanung der Zukunft muss zu 100% aus Sicht der Customer Journey und den zugrunde liegenden Behavioral Logs denken. Im Sinne einer sinnvollen Aussteuerung der medialen Touchpoints gilt es dafür Big Data möglichst präzise mit Customer Insights zu verbinden um das „Wie verhält sich der Kunde?“ mit dem „Warum verhält er sich so?“ zu verbinden. Gleichzeitig bedeutet dies, dass klassische Segmentierungen oder Personas immer mehr zu Archetypen für die Ausgestaltung von Botschaften und Content werden, deren mediale Distribution sich jedoch immer mehr dem Ideal einer vollständigen Personalisierung nähert.

 

#2 // Media Touchpoints vs. Customer Journeys // Mediaplanung kann sich nicht mehr nur am Mediennutzungsverhalten ausrichten

Die klassische Mediaplanung baut auf dem medialen Nutzungsverhalten von Menschen auf. Natürlich ist es richtig, dass jemand der keinen ‚Spiegel’ liest, auch nicht über eine Anzeige im ‚Spiegel’ erreicht werden kann. Gleiches gilt für eine mobile InApp-Anzeige die sich an jemanden richtet, der gar kein Smartphone besitzt. Trotzdem springt die Beschränkung auf das Mediennutzungsverhalten zu kurz. Warum? Im Rahmen der Mediaplanung werden i.d.R. nur mediale Touchpoints berücksichtigt, nicht aber der Kontext in der diese Mediennutzung stattfindet bzw. welche Aktivitäten im Sinne der Customer Journey unmittelbar vorausgehen bzw. folgen. Ohne diesen Kontext ist eine gezieltere Mediaplanung aber nicht möglich.

Schlussfolgerung #2: Die Mediaplanung der Zukunft muss entsprechend kontextbezogen erfolgen. Dies hat Auswirkungen auf die Inhalte, den Kanal, die Dareichungsform wie auch das Timing. Auch hier spielt die Nutzung von Big Data eine wesentliche Rolle, da sich der reale Kontext der Mediennutzung über traditionelle Marktforschung nicht ausreichend abbilden lässt. Ziel muss es daher sein, die Bedeutung des jeweiligen Media-Touchpoints im Rahmen der Customer Journey zu verstehen und über eine kontextbezogene Aussteuerung dessen Wirkung zu maximieren.

 

#3 // Call for Action vs. Shaping the Journey // Mediaplanung sollte eine aktive Beeinflussung des Kundenverhaltens zum Ziel haben

Die Klassische Mediaplanung ist darauf ausgerichtet, entweder die Wahrnehmung von Menschen zu verändern oder ein intendiertes Verhalten zu beeinflussen. Diese Beeinflussung findet aber eher indirekt statt. Gleichzeitig gehen bestehende Customer Journey Ansätze von einer archetypischen Abfolge von Interaktionen aus. Hierzu werden die einzelnen Touchpoints i.d.R. entlang des Sales Funnels ‚zwangslinearisiert’, um sie visuell abbildbar zu machen. Reale Customer Journeys von Kunden sind aber hochgradig non-linear und von Sprüngen, Loops und Brüchen gekennzeichnet. Aufbauend auf der Idee der ‚Behavioral Logs’ macht es also mehr Sinn, die Customer Journeys von Kunden als komplexen, multidimensionalen ‚Behavioral Decision Tree’ zu betrachten. Der zugrunde liegende Gedanke ist, dass wir auf unserer Customer Journey als Kunden permanent Entscheidungen treffen, in denen sich zwar Muster finden lassen, die aber gleichzeitig extrem kontext- und situationsabhängig sind. Konkret muss man sich zum Beispiel nach einem Online-Research entscheiden, ob man einen möglichen Kauf im Online-Store abschließt, oder lieber in die Stadt in ein Geschäft fährt. Damit stellt sich die Frage, wie diese Entscheidung aktiv beeinflussbar ist?

Schlussfolgerung #3: Die Mediaplanung der Zukunft sollte den Gedanken der Customer Journey als komplexen und andauernden Entscheidungsbaum menschlichen Verhaltens verinnerlichen und sich gezielt auf die Beeinflussung dieser Entscheidungen fokussieren, anstatt sich darauf zu beschränken, einen möglichst guten Zeitpunkt für einen Mediakonsum zu identifizieren, der möglichst wenig intervenistisch und von möglichst hohem Nutzwert für den jeweiligen Adressaten ist.

 

#4 // KPI Monitoring vs. Predictive Modelling // Vorrausschauende Wirksamkeitsbewertungen erfordern komplexe Modelle

Die Klassische Mediaplanung ist ex-post orientiert. Nutzungsdaten und Mediapräferenzen beziehen sich auf die Vergangenheit. Die Erfolgskontrolle erfolgt ebenfalls rückwirkend. Die Digitalisierung führt aber auch hier dazu, dass eine Messung von Verhalten und KPIs zusehens in Realtime erfolgt. Spinnt man die Idee einer gezielten Beeinflussung der im Rahmen der Customer Journey zu treffenden Entscheidungen konsequent weiter, wird es in der Mediaplanung zunehmend darum gehen, voraussagen zu können, durch welche Maßnahmen zu welchem Zeitpunkt diese Entscheidungen beeinflussbar sind. Dazu ist es im Sinne von Behavioral Economics notwendig, besser zu verstehen, warum sich Menschen wann wie entscheiden. Auf dieser Basis lässt sich über Predictive Modelling eine gezielte Verhaltensbeeinflussung realisieren. Wir sprechen hier also über die nächste Stufe des Media Mix Modelling, das wir aus der heutigen Mediaplanung kennen, bei dem über die gezielte Intervention in Entscheidungssituationen das Verhalten entlang der Customer Journey aktiv beeinflusst wird.

Schlussfolgerung #4: Die Mediaplanung der Zukunft muss sich in ganz anderem Maße als heute der vorhandenen Erkenntnisse, Methodologien und Modelle der Behavioral Economics bedienen, um über prädiktive Modelle zukünftige Entscheidungssituationen zu antizipieren und durch eine gezielte Mediasteuerung aktiv zu beeinflussen.

 

 

 

 

 

Foto: „direktionless“ | STOCKWER23 | photocase.de

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