Strategen und Kreative – Team Up for the Digital Transformation

Diese Zeilen sind ein Manifest für Co-Kreation und interdisziplinäres Durcheinander und gegen getrennte Units, Stockwerke und Süßigkeitenvorräte.

Von Tina Spießmacher, Senior Innovation Strategist, STURM und DRANG Hamburg und Viktor Szukitsch, Kreation, Scholz und Friends Hamburg.

 

In vielen Agenturen hört man Strategen murren: “Die Kreation lässt uns nicht mitspielen! Sie wirft unsere Briefings auf dem Weg aus dem Konfi in die Tonne und macht dann, was sie für richtig hält.“ Auf der anderen Seite beschweren sich die Kreativen, dass die detailliert ausgearbeiteten creative briefs einschränkend seien und echte Kreativität im Keim ersticken würden.

Irgendwie passt da was nicht zusammen. Dabei scheint es in der Theorie so einfach: Strategen vermitteln zwischen Kunde, Marke und Kreation. Sie sammeln Informationen über die Bedürfnisse und Sehnsüchte der Zielgruppe, formulieren Konsumenten-Insights und befähigen Kreative, Ideen zu entwickeln, die diese Insights passend zur Markenstrategie ansprechen.

Leider operieren hier in der Praxis getrennte Abteilungen oder sogar verschiedene Agenturen mit entsprechenden Schwerpunkten, die sich gegenseitig kritisch auf die Finger schauen. Jeder meint, selbst im alleinigen Besitz der Lösung zu sein.

Kreativität wird zum Beispiel noch immer als etwas wahrgenommen, das möglichst viel Freiraum braucht, um sein Potential zu entfalten und das erstickt, wenn man versucht, es zu gängeln. Die Wirksamkeit von Werbemechaniken – so denken viele Kreative – sei eh kaum messbar und ob man mit Markt- und Konsumentenforschung die Zielgruppe wirklich besser träfe, sei bestenfalls fraglich. Also gehen sie lieber nach dem eigenen Gefühl.

Da die Kreation meist vor allem aus Männern zwischen 20 und 40 besteht (die in der Stadt leben und in der Werbung arbeiten), ist sie als selbsternannte Fokus-Gruppe allerdings nur effektiv, solange das betreffende Produkt genau solche Leute ansprechen möchte. Rentnerinnen auf dem Dorf werden sich von der Werbung, die so entsteht, wohl eher weniger angesprochen fühlen. Die Best-of-Effie Liste macht einen guten Punkt für diese These – mit Bier, Banken, Autos, und einem gewissen Baumarkt bestimmen vor allem eher männliche Marken und Produkte das Bild.

Der Großteil der Award-Industrie tut mit seinem Fokus auf Kreativität und Originalität (im Gegensatz zu Wirksamkeit und Relevanz) seinen Teil dazu, dass dies so bleibt. So sind dann auch oftmals die Agenturen oben in den Rankings, deren Kreation unbehelligt von strategischen Einwänden kreative Feuerwerke erdenkt. Und Werbemittel, die extra für Awards entstehen, werden oft ganz selbstverständlich in Abwesenheit der Strategie erdacht.

 

Sinnvolle Strategie zieht die Spielfeldbegrenzung

Aber kreative Pyrotechnik und Kauf-Argumente von ganz unten in der Bedürfnispyramide können nicht die Zukunft sein. Natürlich stimmt es, dass Insights keine exakte Wissenschaft sind. Es gibt auch viel oberflächliche Strategie. Doch es bedarf, um die Bedürfnisse einer Zielgruppe anzusprechen, eines Feingefühls, für das Strategie unabdingbar und allzu aufdringliche Kreativität nicht immer zuträglich ist.

Nur ist gekonnte, Kreation unterstützende Strategie leider auch keine Selbstverständlichkeit. Häufig beschränkt sie sich darauf, abstrakte Zielgruppen zu beschreiben und die vielen Vorteile eines neuen Produktes aufzulisten. Mit Zielgruppen-Beschreibungen, die sich auf soziodemographische Merkmale fokussieren, können Kreative oft wenig anfangen. Produkt-Features andererseits können sie sich auch selbst zusammenstellen.

Sinnvolle Strategie bietet dagegen eine Basis, von der aus die Kreation starten kann. Sie zieht die Spielfeldbegrenzung – das eigentliche Spiel geht dann erst los. Aber die Spielfelder basieren heutzutage nicht mehr einfach auf Sinus-Milieus, weil wir es mit Menschen zu tun haben, die vieles gleichzeitig sein wollen und ihre Identitätsanker nicht aus einer einzigen soziodemographischen Schicht beziehen.

Eine zeitgemäße Segmentierung, die dann auch für ein Kreativbriefing taugt, beschreibt Mindsets, die Menschen in ihrem jeweiligen Konsumkontext beschreiben. Sie bilden die Irrationalitäten zwischen Handeln, Denken und Fühlen ab.

Ein strategisch begleiteter Kreationsprozess muss nicht Einschränkung bedeuten, und es heißt auch nicht, dass Kreativität künftig enge Regeln auferlegt werden. Um David Ogilvy zu zitieren, der dies früh erkannte: “I hate rules. All I do is report on how consumers react to different stimuli.”

 

Wie die Agentur der Zukunft aussieht

In Zukunft wird eine enge Zusammenarbeit zwischen den beiden Abteilungen unverzichtbar sein. Denn die digitale Welt bringt eine Werteverschiebung vom Materiellen ins Immaterielle mit sich. Konsumenten suchen immer mehr nach Selbstverwirklichung in sozialen Verbindungen. Für Marken geht es daher in Zukunft darum, Teil dieser Beziehungsnetzwerke zu werden, anstatt sich strikt auf das (physische) Produkt zu konzentrieren.

So zwingt die digitale Transformation alle Beteiligten zum Umdenken. Wenn Produkt, Kommunikation und Services nahtlos in einen Erfahrungsraum verschmelzen, braucht man alle Fähigkeiten, um weiterhin von Bedeutung zu sein.

Digitale Inhalte müssen darum direkt an die Lebenswelt der Konsumenten anknüpfen, um Interaktionen zu provozieren. Denn was keinen persönlichen Mehrwert verspricht, wird abgelehnt. Marken müssen Orientierung geben in einer Welt, in der die menschliche Persönlichkeit sich als ständig wandelnde Collage beschreiben lässt und Selbstnarration eine überlebenswichtige Eigenschaft geworden ist. Marken mit Charakter, mit vielseitiger Persönlichkeit, aber klarer Einstellung, die unterschiedlichste Themen in sich vereinen – das sind deshalb die Marken der Zukunft. Ihre spannenden Geschichten werden es sein, die letztendlich gekauft werden.

Kreative können sich dieser Entwicklung genauso wenig verschließen wie Strategen. Wenn der Konsument selbst nach dem für ihn Bedeutungsvollen sucht, wird eine kreative “Verpackung” einer nicht relevanten Botschaft schnell entlarvt. Sinnstiftende Erlebnisse kann man eben nur erschaffen, wenn man Sehnsüchte, Bedürfnisse und Lebenskontext der Konsumenten versteht, zur richtigen Zeit und am richtigen Ort die richtigen Geschichten erzählt und so relevante Anknüpfungspunkte schafft.

Die Strategie ist hier besonders in der Pflicht: Erstens muss sie näher an die Konsumenten heranrücken, um überraschende und inspirierende Einblicke in ihre Welt zu erhalten und um zu identifizieren, was bedeutungsvolle Botschaften sein können. Zweitens muss sie einen Weg finden, diese Konsumenten-Insights für die Kreation anschlussfähiger zu machen. Sie muss sich aktiv in den kreativen Prozess einbringen und kreative Arbeit befähigen, anstatt sie mit Detailvorgaben einzuschränken.

Enger Austausch ist der einzige Weg, in dieser neuen Konsumwelt zu bestehen. Wissen teilen, gemeinsam arbeiten und sich spontan vernetzen – so sollte der Alltag in der Agentur der Zukunft aussehen. Das gefällt dann bestimmt auch der Gen Y.

 

 

 

 

Foto: „Drei Fachexperten“ | AllzweckJack | photocase.de

 

 

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