Usability und User Experience: Erfolgsfaktoren für Marken im digitalen Zeitalter

Die effektive, zufriedenstellende Bedienbarkeit von interaktiven Touchpoints einer Marke ist ein zentrales Element der Markenkommunikation und sorgt für positive Auswirkungen auf die Markenwahrnehmung.

Von Ingo Waclawczyk, Leiter Strategie und Konzeption, anyMOTION – Neue Medien, Düsseldorf

 

Egal ob „Digitale Transformation“, „Industrie 4.0“ oder „Digitale Agenda“ – jeden Tag begegnen uns diese und andere Begriffe, die auf unterschiedliche Art und Weise deutlich machen: Wir leben in Zeiten fundamentaler Änderungen, die vor allem durch digitale Technologien ausgelöst und angetrieben werden. Dieser Wandel betrifft auch die Bedeutung von Marken und Markenkommunikation, da die Deutungshoheit über Marken durch die zunehmende Digitalisierung und Dezentralisierung von Gesellschaft und Wirtschaft nach und nach in die Hände der Nutzer (sprich: Konsumenten) gewandert ist.

Die „neuen“ Unternehmen und Organisationen, die den digitalen Wandel auslösen und vorantreiben, entwickeln ihre Produkte und Services oft mit einem wesentlichen Unterschied zu „alten“ Unternehmen: Sie haben eine klare Mission, die auf einen Mehrwert für die externen Kunden abzielt und entwickeln die Produkte in enger Abstimmung mit ihren potentiellen Kunden.

Die Qualität der neuen Produkte und Marken hat eine Dynamik entfacht, der sich viele traditionelle Unternehmen und Organisationen stellen müssen. Um in der „Großen Transformation 21“  – wie der Wirtschaftswissenschaftler Fredmund Malik diesen Prozess genannt hat – nicht den Anschluss und die Existenzberechtigung zu verlieren, wenden sie unterschiedliche Methoden an, die sich teilweise an den Prozessen der erfolgreichen digitalen Unternehmen (wie z.B. Google oder Uber) orientieren.

 

Usability und User Experience unterscheiden

Ein Begriff, der in diesem Zusammenhang immer wieder auftaucht ist „Usability“. Übersetzt bedeutet es „Gebrauchstauglichkeit“ und beschreibt laut den deutschen UX Experten, die in der German UPA organisiert sind, das „Ausmaß, in dem ein interaktives System durch bestimmte Benutzer in einem bestimmten Nutzungskontext genutzt werden kann, um festgelegte Ziele effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen“. Bei Usability geht es nur um die eigentliche Benutzung einer Benutzeroberfläche in einer ganz bestimmten Situation. So ist zum Beispiel das Erstellen eines Tickets am Fahrkartenautomaten die Benutzung – sprich „Usability“.

Ein weiterer Begriff, der immer wieder genutzt wird, ist „User Experience“ – auf Deutsch etwas sperrig „Benutzererlebnis“. Die offizielle Definition der UX/UI Experten lautet: „Wahrnehmungen und Reaktionen einer Person, die aus der tatsächlichen oder erwarteten Benutzung eines interaktiven Systems resultieren“. User Experience umfasst außerdem Gefühle, Meinungen, Bevorzugungen und Auffassungen der Benutzer, die vor, während und nach der Benutzung eines interaktiven Systems entstehen.

Usability ist das zentrale Element der User Experience, das Zusammenspiel zwischen beiden hat weitreichende Folgen für das Markenimage. Das gesamte Benutzererlebnis ist im besten Fall positiv und kann zum Aufbau einer starken Marke genutzt werden. Der Onlinehändler Zalando hat das mit seiner „Schrei vor Glück“-Kampagne beispielhaft umgesetzt. Eine negative Usability kann aber auch sehr direkte und nur schwer zu korrigierende Auswirkung auf das Image der Marke haben – wie zum Beispiel eine komplizierte Bedienung eines Fahrkartenautomaten auf das Image der Bahn. Die eher „funktionale“ Usability ist daher der entscheidende Baustein für die „emotionale“ User Experience.

Ein Fazit aus dieser Situation: Um positive Auswirkungen auf die Markenwahrnehmung zu ermöglichen, muss die effektive, effiziente und zufriedenstellende Bedienbarkeit von interaktiven „Touchpoints“ einer Marke (wie z.B. Webseiten oder Apps) als zentrales Element der Markenkommunikation betrachtet werden  – und nicht nur als „Add On“.

 

Internationale Standards nutzen

Im Gegensatz zur Marketing-Branche, bei der fast jeder seine eigenen Methoden entwickelt und mit eigenen Begriffen vermarktet, hat sich im digitalen Bereich ein internationaler Standard etabliert, um die komplexen Prozesse der Mensch-Computer-Interaktion zu beschreiben und zu definieren. Diese sind in der Norm ISO 9241 unter dem Titel „Ergonomie der Mensch-System-Interaktion“ zusammengefasst. Eigentlich ist es eher eine Sammlung von Normen (aktuell sind es 26 verschiedene), die aber alle ein Ziel verfolgen: Einen gültigen, zuverlässigen Standard zur möglichst objektiven Bewertung von „Usability“ zu gewährleisten.

Der Standard wird immer wieder erweitert und an aktuelle Entwicklungen angepasst. Eine Forderung stand und steht aber immer im Mittelpunkt: Das Interface (d.h. die Benutzeroberfläche) der Anwendung muss sich am Menschen orientieren und nicht an den gegebenen technischen Möglichkeiten bzw. Beschränkungen.

Um herauszufinden, ob das Interface den Fähigkeiten und Erwartungen der späteren Benutzer entspricht, sieht die „Menschenzentrierten Gestaltung“ vor, das interaktive System in enger Zusammenarbeit mit den späteren Benutzern zu entwickeln. So gibt es u.a. Interviews und Usability-Tests vor, während und nach der Entwicklung von digitalen Produkten. Von Experten im laufenden Prozess durchgeführt liefern diese Benutzer-Befragungen schon mit wenigen Testpersonen wertvolle Hinweise zur Optimierung der Usability.

Die Wahrscheinlichkeit, dass das fertige digitale Produkt von den Benutzern optimal genutzt werden kann – also eine gute Usability besitzt – steigt mit dieser Methode enorm. Dabei ist der Prozess des Testens mit Hilfe der User eigentlich nie abgeschlossen, sondern wird idealerweise permanent fortgeführt, da sich die digitalen Technologien ebenfalls fortlaufend weiterentwickeln.

 

Nicht spekulieren, sondern fragen

Die Fokussierung auf den Nutzer bzw. den Kunden findet sich interessanterweise auch in den Werken und Theorien von Peter F. Drucker wieder, der lange vor dem Durchbruch des Internets seine grundlegenden Arbeiten geschrieben hat. Für ihn existiert eine Organisation nur aus einem Grund: Um einen Kunden zufriedenzustellen. Und um herauszufinden, was der Kunde von der Organisation erwartet, empfiehlt er sich keineswegs auf seine eigenen Annahmen zu verlassen, sondern den Kunden ganz einfach und direkt zu fragen.

In Deutschland schient sich die Wirksamkeit einer solchen Art der Kundenbefragung noch nicht überall herumgesprochen zu haben. In anderen Ländern, wie z.B. in England, wird der Kunde fast immer und überall nach seiner Meinung zu einem Service gefragt. Ganz egal ob an der Informationstafel im Flughafen, einem Café oder einem Museum: dem Nutzer werden ständig Möglichkeiten für qualifiziertes Feedback angeboten, das für die Weiterentwicklung der Services genutzt wird.

 

Optimale Usability = Investition in die Marke

Überhaupt gibt es in England sehr viele gute Beispiele, wie Online-Services konsequent auf den Bedarf der Benutzer ausgerichtet werden. Wer z.B. die Webseite der Britischen Regierung (www.gov.uk) mit der Seite der Deutschen Bundesregierung vergleicht (www.bundesregierung.de) erkennt sofort den unterschiedlichen Ansatz: Die eine Seite bietet Service und Inhalte für den Kunden (= Bürger), die andere transportiert ein Image, wie man gesehen werden möchte.

Nun sind Regierungen zwar keine typischen Marken, aber viele erfolgreichen Unternehmen wie z.B. Google, Amazon oder Uber agieren genau nach diesem Prinzip: Eine optimale Usability des Online-Service führt zu positiver User Experience und damit zu positiver Markenwahrnehmung – und so letztendlich zu der gewünschten emotionalen Bindung. Im Rahmen einer digitalen Markenstrategie ist es daher sinnvoll in die Usability-Optimierung der digitalen Touchpoints zu investieren.

 

 

 

Erschienen in: new business 44 / 26.10.2015

Foto: Tim Roberts Photography / Shutterstock.com

 

 

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