Vorher war es nur ein Netz

Wie werden kreative Ideen konzeptionell erarbeitet? Darüber geben Kunde und Planner in unserer Serie ‚Markenwerkstatt‘ Auskunft. Dieses Mal: Die Zusammenarbeit des Netzbetreibers Vodafone mit der Hamburger Agentur Jung von Matt.

Von Peter John Mahrenholz, ehemals Chefstratege bei Jung von Matt (heute: Berlin Strategy Lab) und Anne Stilling, Head of Brand Communication and Media, Vodafone Deutschland

 

Waren Mobiltelefone früher simple Nutzgeräte, sind sie spätestens seit Apple Statussymbol und Ausdruck eines Lebensstils. Und das Netz ist heute der selbstverständliche Nabel dieser modernen, digital vernetzten Welt. So weit so gut. Doch wie kann sich ein Premium-Netzanbieter in der heutigen Zeit noch profilieren und deutlich vom Wettbewerb abheben? Vodafone und Jung von Matt haben sich die Frage neu gestellt: Wie gibt man einer Dienstleistung, die nicht anfassbar ist, ein Gesicht? Und wodurch wird eine technische Notwendigkeit zum Markenmehrwert und zum präferenzbildenden Merkmal?
Die Antwort: Indem man seine eigene Leistung nicht nur schlicht zur Verfügung stellt, sondern im Leben der Zielgruppe eine aktive Rolle einnimmt.

 

Netz ohne Smartphone – Smartphone ohne Netz

Vodafone gab seinen Kunden als „Enabler“ schon immer das nötige Werkzeug an die Hand, mit dem sie alles können: von Selbstdarstellung über Selbstverwirklichung bis hin zum Erleben von einzigartigen Momenten. Die ständigen Möglichkeiten, sich zu informieren, zu verbinden und zu äußern, machen die Welt kleiner und den Platz für die Träume und Wünsche unserer Zielgruppe größer – ganz im Sinne von „Power To You“!
Junge Menschen mit dem Wunsch, sich zu verwirklichen und auszudrücken, sind unsere besten Kunden. Millennials, die in allen Lebensbereichen energisch nach vorne drängen und die Welt aktiv mitgestalten wollen. Sie sind Botschafter der Marke und ihre progressive Haltung unser wichtigstes Merkmal: Vodafone bietet als Premium- und Lifestyle-Marke nicht nur ein Mehr an Netzleistung, sondern eine Netzleistung, die mehr bietet.
Doch diese Positionierung ist Segen und Fluch zugleich. Sie weckt auch Begehrlichkeiten bei der Konkurrenz und brachte uns in ein bedrängendes Wettbewerbsumfeld. O2 versucht mit der „You can do“-Kampagne immer deutlicher, unsere Kernzielgruppe anzusprechen, während die Telekom offensiv mit höchsten Spendigs den Markt bearbeitet.
Was macht man in so einer Situation? Sich auf seine eigenen Stärken zurückbesinnen und die Marke konsequent weiterführen. Sprich: Angreifen! Also die Position stärken und breiter aufstellen.

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Neu interpretieren anstatt neu erfinden

Vodafone ist eine typische Me-Brand inmitten eines sozialen Digital Lifestyles: Crowd-Fundings helfen Start-Ups auf die Beine, politische Ungerechtigkeiten werden mit Hashtags bekämpft und gesellschaftliche Veränderungen starten heutzutage viral. Wie können wir in Zeiten des Miteinanders mit unserer progressiven Ausrichtung und einer jungen Kernzielgruppe, die sich nicht über Gemeinschaft, sondern über Individualität ausdrückt, auch im Leben anderer Zielgruppen eine aktive Rolle einnehmen?
Indem wir uns nicht neu erfinden, sondern unsere Markenidee entsprechend dem herrschenden Zeitgeist neu interpretieren. Wir knüpfen nicht mehr an einen Lebensstil an, der an eine Generation gekoppelt ist, sondern fokussieren uns auf eine Einstellung zum Leben – über demografische Merkmale hinaus. So wird aus einem Empowerment, welches bisher ein eher selbstbezogenes Vorankommen unterstützt, eine Progressivität, die in Zukunft nicht nur mich, sondern auch Dich weiterbringt. Oder anders ausgedrückt: „Me – for a better We.“

 

First things first

Ein besseres Wir braucht auch ein besseres Netz! Premium heißt Schnelligkeit, Sicherheit und hohe Netzabdeckung. Doch vor allem ist Premium keine Lifestyle-Behauptung, sondern lebt von Glaubwürdigkeit. Diese Glaubwürdigkeit war und ist Vodafone vier Milliarden Euro wert: Das Investment in eine noch stärkere Netzleistung.
Diesen Reason to Believe stellten wir in den Mittelpunkt unserer Auftaktkampagne. Der Markenpersönlichkeit entsprechend wird auch dieser Fakt emotional ausgedrückt. Wir fokussierten uns in der Vier-Milliarden-Kampagne nicht auf das Netz im technischen Sinne, sondern ließen die Lebenswelt unserer Zielgruppe mit einfließen und zeigten, in welches Netz wir investieren: In das unserer Nutzer und somit in all die großartigen Dinge, die dieses Netz ausmachen – „Damit Du alles kannst, was Du willst“: progressiv, nach vorne gerichtet, inspirierend.
Wortwörtlich inszeniert haben wir dies mittels User Generated Content, der bei bestehenden Kunden einen Wiedererkennungswert schafft, zudem aber auch mögliche neue Nutzer involviert und aktiviert. Um die prototypischen Inhalte herauszukristallisieren, kommunizierten wir mit mehreren User-Communities. Ob auf Facebook oder Twitter: Wir folgten den Millenials auf Schritt und Tritt, tummelten uns in Foren und scrollten durch Tausende von Posts. Mit dem gewählten Content konnten wir sowohl den Selbstdarstellungsdrang bedienen, als auch Identifikationsmöglichkeiten bieten. Erreicht haben wir damit in diesem Zeitraum den höchsten Cut-Through, also Awareness-Leistung und Branding, sowie die höchste Markendifferenzierung in der Kernzielgruppe.

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Technologie für Menschen

In der Folgekampagne ging es um die Fortentwicklung von Vodafone: Vom bloßen „Me“ hin zum „Me for a better We“. Weg von der Selbstdarstellung, hin zur gemeinsamen Selbstverwirklichung.
Dafür rückten wir noch näher an die Menschen heran und konzentrierten uns darauf, der Zielgruppe alles zu ermöglichen. In einem gemeinsamen Workshop stellten wir uns hierfür die Frage, wie Technologie das Leben bereichern kann und analysierten verschiedenste Fallstudien aus unterschiedlichsten Bereichen. Angefangen bei Smarter Cities von IBM über das Wheelmap.org-Projekt bis hin zu Beauty Inside von Intel. Schnell war klar: Wir müssen weg vom reinen Sharen und Liken, hin zum Erreichen faktischer Ziele.
So wurde aus dem Versprechen „Damit Du alles kannst, wenn Du willst“ die Heraus- und Aufforderung an die Zielgruppe „Was wirst Du tun, wenn Du alles kannst?“ – ermöglicht durch die verbesserte Netzperformance.

 

Alles was wir wollen

Für die kreative Umsetzung setzten wir uns nochmals tief mit der Kernzielgruppe, ihrer Haltung, ihrem Antrieb und ihren Zielen auseinander. Wir stießen auf die Dinge, die wir wollen, aber nie tun – Dinge, die auch Julia Engelmann in ihrem legendären Poetry-Slam-Viral behandelt. Dinge, die auf nie abgearbeiteten To-Do- oder Checklisten stehen.
Mit unserer Bucket-List gingen wir noch einen Schritt weiter und thematisieren das gemeinschaftliche Element. Die Enkelin verwirklicht in unserem Spot in erster Linie nicht die eigenen Träume und Wünsche, sondern hilft dem Großvater, die seinen (mit-) zu erleben – durch beste Netzqualität.
Im Wesentlichen zeigen wir Mini-Abenteuer und Mutproben wie den Sprung ins Wasser aus mehreren Metern Höhe, den Looping-Flug oder das Essen eines Skorpions. Alles Dinge, die auch der Enkelin sichtlich Spaß machen. In diesem Mind-Set treffen sich Jung und Alt, wir erreichen die Öffnung der Zielgruppe und schlagen eine generationenübergreifende Brücke. Vodafone macht nicht nur alles möglich, sondern verbindet uns auch mit allem, was wir lieben. Dieses emotionale Element betonen wir im Spot nochmals als großes Finale: Zum letzten Mal die erste Liebe sehen.
Der Spot zeigt, dass das Erreichen persönlicher Ziele ein zwischenmenschliches Miteinander nicht ausschließt. Der Clou: Wir behalten das Vodafone-typische Markenprofil, ohne auf den bisherigen Protagonisten, den männlichen Einzelkämpfer, zurückgreifen zu müssen bei.


Vodafone Markenwerkstatt Filmausschnitt 2

Netz ist nicht gleich Netz

Mit der Bucket-List inszenierten wir das Mobilfunknetz nicht als Element einer Telefonie-Dienstleistung, sondern etablierten es als Infrastruktur eines aktiven Lebens: Das Netz von Vodafone ist eine digitale Lebensader, die progressive Menschen einlädt, neue Erfahrungen zu machen und Ideen umzusetzen.
Dementsprechend wollten wir uns nicht nur auf die (tendenziell passive) Rolle zurückziehen, die Nutzer nur indirekt zu unterstützen, sondern unsere Markenidee Empowerment noch einen Schritt weiter zu treiben und die Zielgruppe auffordern, aktiv neue Ideen zu entwickeln. Begleitend zum TV-Spot (unter der Social Media-Plattform #Firsts) helfen wir unseren Nutzer dabei, außergewöhnliche Dinge, die sie zum ersten Mal tun, gemeinsam mit Vodafone zu verwirklichen.
Auch wir haben etwas Außergewöhnliches zum ersten Mal verwirklicht: Wir haben eine kühle, technische Funktion zum Leben erweckt und eine Selbstverständlichkeit zum Lifestyle-Faktor werden lassen. Doch vor allem haben wir ein persönliches Netz kreiert: Ein Netz, das Emotionen anstatt Testsiegel für sich sprechen lassen kann.

 

Respekt!

Drei Dinge waren ausschlaggebend für den Erfolg:
Erstens, die Menschen zu respektieren. Ihnen zuzuhören, sie zu verstehen um ihnen eine relevante Botschaft zu geben, eine kleine Wahrheit, die sie berührt und bereichert. Mit genauem Erarbeiten unserer Insights und einer aufwendigen Exekution des Konzeptes sind wir diesem Anspruch gerecht geworden.
Zweitens, die Marke zu respektieren. Also nicht jedem Impuls, jeder Laune des Zeitgeistes hinterherzulaufen, sondern ihren Charakter zu bewahren. Deshalb haben wir uns nicht einem wohligen Gemeinschaftsgefühl hingegeben, sondern Vodafone als Me-Brand bestehen lassen – in einem erweiterten Kontext.
Drittens, das Team zu respektieren. Ständiger Dialog zwischen Unternehmen und Agentur auf Augenhöhe, offene Kritik, kein Beharren auf Standpunkten. Nicht zwei Organisationen die zusammenarbeiten, sondern ein Team, das gemeinsam Ergebnisse schafft.

 

Lessons Learned

 

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Peter John Mahrenholz, Chefstratege bei Jung von Matt

  1. Genaues Verstehen der Zielgruppe ist der Schlüssel zur Strategie.
  2. Jedes Produkt, jede Dienstleistung hat auch eine sozio-kulturelle Dimension.
  3. Am stärksten berühren Stories, die nahe am Leben sind und nicht zu überzeichnet.

 

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Anne Stilling, Head of Brand Communication and Media, Vodafone Deutschland

  1. Eine Marke muss sich treu sein – sich aber im sozialen Context entwickeln.
  2. Eine gute Idee schlägt jedes Budget – auch wenn es immer gut ist, etwas Geld zu haben.
  3. Ein bequemer Kunde ist langweilig – eine bequeme Agentur auch.

 

Markenwerkstatt: Blick hinter die Kulissen

In der Serie ‚Markenwerkstatt‘ stellt der MARKENARTIKEL ab sofort in Kooperation mit der APG Deutschland, dem Verband der Marken- und Kommunikationsstrategen, mehrmals im Jahr kommunikative Ausnahmeideen vor und wirft, gemeinsam mit Kunde und Planner, einen Blick hinter die Kulissen. Das Ziel: Von den Machern erfahren, wie sie die Idee konzeptionell erarbeitet haben, damit Markenartikler und Markenmacher voneinander lernen. Die APG (www.apgd.de) wurde 1997 gegründet und zählt mehr als 500 Mitglieder, die sich beruflich tagtäglich mit der Zukunft von Marken und Kommunikation befassen.

Veröffentlicht im MARKENARTIKEL, Januar 2015

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