Das Stiefmütterchen in der digitalen Transformation

Der Begriff Customer Relationship Management sorgt oft für Naserümpfen. Dabei ist er ein Schlüssel zum Aufbau und zur Pflege von Kundenbeziehungen.

Von Lea Stenger, Inhaberin von Granular, Hamburg

 

Das Internet, mobile Technologien und Social Media: Die Digitalisierung unserer Gesellschaft, hat das Marketing verändert, wie nichts zuvor und stellt uns vor komplexe Herausforderungen: Multi-Channel-Kommunikation, Smart-Data, Echtzeitreaktionen und Individualisierung sind nur einzelne Beispiele. Ein einheitliches Marken-Profil zu schaffen, dass auf allen Ebenen gleichermaßen überzeugend ist, wird immer schwieriger, denn eine reine Adaption in alle Kanäle wird ihrer Funktion und der Nutzung durch die User nicht gerecht.

Es gibt viele Einzel-Faktoren, die das Marketing heute maßgeblich beeinflussen. Aber zwei davon stellen die größte Herausforderung dar, denen sich die weiteren unterordnen.

 

Herausforderung 1: Das Aufmerksamkeits-Gap.

Während wir in den 80er-Jahren mit etwa 800 Werbebotschaften pro Tag konfrontiert waren, sind es heute schätzungsweise 10.000. Um die Aufmerksamkeit der Menschen zu gewinnen, muss Kommunikation deshalb heute deutlich mehr können, als noch in den 80ern. Neben der großen Idee, gibt es vor allem einige „technische“ Faktoren, die es zu berücksichtigen gilt – ohne die diese Idee heute nur noch eine bedingte Wirkung erzielt. Gleiches gilt im Produkt- oder Service-Kontext. Hier gewinnt Individualität und Relevanz. Je individueller und relevanter die Nachricht, das Produkt oder der Service für den Einzelnen ist, desto wahrscheinlicher gewinnt es seine Aufmerksamkeit.

 

Herausforderung 2: Die Machtverschiebung.

Der zeitlich und räumlich unbegrenzte Zugang zu Informationen und der unbegrenzte Informationsfluss (many-to-many) über das Social Web verursachen einen Kontrollverlust auf Markenseite und steigern die Macht der Menschen über die Marke. Neben dem veränderten Kommunikationsverhalten, zeigt sich diese Machtverschiebung auch in der veränderten Erwartungshaltung der Menschen. Sie wollen in ihren Bedürfnissen ernst genommen werden und mitbestimmen. Je mehr wir uns auf diese Bedürfnisse fokussieren, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir relevant werden.

Beide Herausforderungen machen deutlich, dass wir uns im Marketing heute viel stärker auf den Menschen und seine Bedürfnisse fokussieren müssen. Dafür haben wir im Marketing auch einen Begriff gefunden – customer-/consumer centricity, zu deutsch Kunden-/Konsumentenzentriertheit – Ich bevorzuge Mensch-im-Fokus. Darunter werden viele Einzelthemen gespielt, wie z.B. Big-/Smart-Data oder User Experience. Bis hierhin ist das alles keine Überraschung. Überraschend ist allerdings, dass diese Einzelthemen immer noch selten in Zusammenhang gestellt werden. Es fehlt scheinbar an einer Klammer.

Dabei gibt es eine Disziplin, die eben genau diese Zusammenhänge herstellt, die häufig unterschätzt wird – Customer Relationship Management, kurz CRM. Der Begriff alleine sorgt für weit verbreitetes Naserümpfen, denn CRM wird häufig gleichgesetzt mit Dialog Marketing on- oder offline oder Kundenbindungsprogrammen, die vorrangig Rewards für die Kunden bereithalten.

Es geht aber um mehr und das trägt der Begriff bereits in sich: Es geht um den Aufbau und die Pflege der Kundenbeziehung. Dabei gibt es keine Kanaleinschränkung – es geht um die Beziehungspflege an allen Touchpoints, an denen der Kunde mit der Marke in Kontakt kommt. Wie im echten Leben, baut sich eine Beziehung über einen längeren Zeitraum auf. Sie wird beeinflusst durch Erfahrungen mit dem Gegenüber. Im Zusammenhang mit Marken bedeutet das, dass sie sich mit den Erfahrungen über den ganzen Entscheidungsprozess hinweg aufbaut – von der Erwägung einer Marke, über die Evaluation, den Kauf und die Nachkaufphase, bis in die Loyalität-Phase – und nicht nur im Bereich der Loyaliäts-Phase, wo das CRM häufig eingeordnet wird. Es geht um die ganzheitliche Gestaltung der Kunden-Beziehung. Das heißt streng genommen, dass das CRM heute alle Touchpoints beeinflusst – klassische- (TV, Radio, Print), digitale- (Web, SEO, Social Web) und stationäre Touchpoints (POS). Es geht um Erlebnisse über alle Kanäle und alle Phasen im Entscheidungsprozess mit der Marke zu schaffen, um eine Beziehung zwischen Marke und Mensch zu formen. Deshalb spricht man heute vermehrt vom Customer Experience Management, kurz CEM.

1_Customer_Decision_Journey

Wie kommt man nun zu den „richtigen“ Erlebnissen, die die Marke-Mensch-Beziehung positiv prägen und nicht genau den entgegengesetzten Effekt erzeugen? Auch hier ist es wie im echten Leben – man muss jemanden besser kennenlernen, um ihm eine Freude zu machen und darüber eine Beziehung aufzubauen. Marken lernen ihre Kunden am besten kennen, indem sie Daten über sie sammeln und es nicht dabei belassen. Die Auswertung und Einordnung der Informationen, die man darüber erhält sind der Schlüssel zum Erfolg. Und das „Kennenlernen“ ist ein unendlicher Zyklus. CEM ist kein starres Konstrukt, man muss aus den Informationen lernen und das Erlebnis stetig optimieren.

 

Für die Strategische Planung ergeben sich daraus veränderte Anforderungen. Ein Planner/Stratege/Consultant muss damit einhergehend sein Profil erweitern und anpassen. Es muss durch drei übergreifende Faktoren beeinflusst sein:

  1. „Lean“ denken – Eine Beziehung ist „always beta“, wir müssen deshalb in einem stetigen Optimierungsfluss bleiben, ähnlich zum Lean-Zyklus: Build —> Measure —> Learn —> Build —> usw.
  2. Touchpoints verstehen – Wir wollen ein „adäquates“ Erlebnis schaffen, dass die Beziehung im positiven beeinflusst. Dafür brauchen wir ein Grund-Verständnis für alle Touchpoints. Wir müssen also auch die Grundprinzipien von z.B. Usability und UX, Search, Mitarbeiter-Verhalten, Unternehmenskultur oder POS-Marketing kennen. Das geht weit über das klassische Arbeitsfeld eines Planners/Strategen/Consultant hinaus.
  3. Verknüpft und mechanisch – Der Beziehungsaufbau läuft mehrkanalig und über alle Kanäle hinweg darf kein Bruch im Erlebnis erzeugt werden, die Erfahrung muss „seamless“ sein. Um das zu erreichen müssen wir verknüpft denken, aber vor allem mechanisch. Die Nutzung eines Kanals sollte immer eine Reaktionskette auslösen, die von dort aus die Beziehungsbildung sinnvoll fortführt. Dafür muss er zwangsläufig auch ein Grundverständnis für die Sammlung und Auswertung von Daten haben.

2_Lean_Prozess

Damit ändert sich die Rolle des Planners/Strategen/Consultant maßgeblich – es transformiert ihn zu einem Berater in unternehmensstrategischen Fragen und macht ihn damit zu einer Schlüsselrolle im Tranformations-Prozess. Und genau dort wollen wir, wie auch unsere Kunden, uns als Profession sehen.

 

 

new business

Erschienen in: new business 47 / 16.11.2015

Foto: meaofoto / Shutterstock.com

comments powered by Disqus