Culture beats strategy

Ohne einen nachhaltigen Fokus auf kulturelles Alignement bleiben die meisten Change- und Transformations-Projekte erfolglos. Nicht zuletzt deshalb lohnt es sich, konsequent zu sein.

Von Birgit Käsbeck und Stefan Sven Klung, Geschäftsführer KäsbeckKlung, Essen

 

Das Jetzt war noch nie so instabil wie heute. Wir befinden uns im post-patriarchalischen Zeitalter. Es geht um Auflösung und Neuordnung. Für Unternehmen bedeutet das, sie müssen sich so verändern, dass sie in der Lage sind, mit diesen neuen Realitäten umzugehen, und das erfordert neue Ansätze des Denkens und Handelns. Allerdings kommen die meisten Unternehmen mit ihren Entscheidungssystematiken damit nicht klar. Die Wissenschaft liefert für diese Change-Prozesse zwar unzählige Erklärungsmodelle, aber der Tenor ist immer der gleiche: Veränderung ist machbar, aber sie ist kein Ponyhof-Programm und nichts für Feiglinge.

 

Das Neue und Unbekannte macht Angst.

Um sich weiterentwickeln zu können, müssen Komfortzonen verlassen und kontraproduktive Gewohnheiten erkannt und verändert werden. Beides sorgt dafür, dass eine große Unsicherheit entsteht. Oft wird sich hinter der Floskel „Das haben wir schon immer so gemacht“ verschanzt, die kurzfristig ein vertrautes Gefühl von Sicherheit vermittelt, sich aber wie ein unsichtbarer und lähmender Schleier über das ganze Unternehmen und dessen Mitarbeiter legt. Die Fehlfunktionen des traditionellen Managementsystems sorgen dann dafür, dass sich viele Organisationen in einem dauerhaften Ausnahmezustand befinden, der nur wenig Zeit und Energie für wahre Veränderungen zulässt. In diesem Überlebensmodus gibt es nur drei Handlungsoptionen (Flucht, Totstellen oder Angriff), die die eigentliche Optionsvielfalt und Kreativität für eine nachhaltige Veränderungsstrategie verhindern. Die Gefahr zu scheitern sorgt dafür, dass die Risikobereitschaft weiter sinkt. Man versucht zu steuern, was nicht zu kontrollieren ist, und durch Struktur und Hierarchien, Dinge in den Griff zu bekommen, wo Agilität, Flexibilität und Improvisationen gefragt sind.

 

Tunnelblick zu Fehleinschätzungen

Einen guten Denkanstoß liefert eine, in diesem Kontext etwas ungewöhnliche, Analogie: Ein Ungeborenes im Mutterleib müsste, sofern es ein Bewusstsein seiner selbst hätte und im Voraus wüsste, was bei der Geburt mit ihm geschehen wird, diesen Vorgang für eine absolute Vernichtung halten: Die es umschließende Hülle zerreißt, das Fruchtwasser – sein Lebenselement – fließt fort, die Nabelschnur wird zertrennt und überdies muss es den erstickenden Sturz durch die würgende Enge des Geburtskanals überstehen. Würde ein Ungeborenes diese Option wie eine Führungskraft mithilfe einer SWOT-Analyse beurteilen, ein Überleben müsste für indiskutabel und zu risikoreich eingestuft werden. Das Ungeborene weiß allerdings von all dem nichts. Es analysiert nicht, sondern passt sich den Geschehnissen und der Dynamik an und lässt sich auf den anstrengenden Weg ins Leben ein. Sein evolutionäres Erfolgskonzept besteht darin, dass es die bereits in ihm angelegten Potenziale (sprich Organe) für sein Leben unter neuen Umständen zu nutzen weiß. Unternehmen wie auch das Ungeborene erkennen instinktiv, dass eine Veränderung bevorsteht. Doch statt sich in den „Geburtskanal“ zu stürzen, beginnt der vermeintliche Kampf ums Überleben: Sie klammern sich an Strategie, Optimierungsmaßnahmen, neuen KPIs und kurzfristigen Zielen fest. Wenn das die einzigen Maßnahmen sind, die für eine unvorhersehbare Zukunft getroffen werden, dann ist eine „Fehlgeburt“ vorprogrammiert. Satt groß zu denken und ein Mehr an Handlungsoptionen zu entdecken, sorgt der Tunnelblick für Fehleinschätzungen.

 

Mitarbeiter sind Symptomträger der Dysfunktionen einer Organisation.

Hinzu kommt, dass Unternehmen an sich häufig nur als ein sachliches Konstrukt betrachtet werden. Tatsächlich sind sie amorphe und soziale Organismen mit einem kollektiven Gedächtnis, für die sich selten jemand verantwortlich fühlt. Zwar ist es mittlerweile populär, über die Bedeutung von Visionen, Werten und einer menschenzentrierten Unternehmenskultur zu philosophieren, aber an der praktischen Umsetzung scheitern die meisten. Oftmals bleibt es bei leblosen Strategiepapieren, die meisten davon nur Lippenbekenntnisse, die nicht wahrhaftig gelebt werden. Wer aber die Werte, Einstellungen und Verhaltensweisen der Mitarbeiter ignoriert oder nur oberflächlich touchiert, wird schnell durch die Trägheit und die Widerstandskraft der vorherrschenden Organisationskultur ausgebremst. Jede Unstimmigkeit wird von ihnen erlebt und ausgetragen. Obwohl Unternehmenskultur oft als „vage“, „abstrakt“ und „unfassbar“ wahrgenommen wird, kann keine Strategie längerfristig erfolgreich sein, wenn sie nicht von der Unternehmenskultur getragen wird oder wie Peter Drucker es formulierte: „Culture eats strategy for breakfast.“ Wer längerfristig etwas verändern möchte, muss sich notwendigerweise mit kulturellen Fragen auseinandersetzen. Ist diese Bereitschaft zur Reflektion vorhanden, stellt sich die Frage, welche Haltung dieser Perspektivwechsel erfordert.

 

Problem space is not solution space.

Führungskräfte, die den Wandel vorantreiben wollen, begrenzen ihre Möglichkeiten oft selbst, indem sie zwei subtile Barrieren nicht erkennen: Sie dringen nicht tief genug in sich selbst vor, um herauszufinden, was sie wirklich bewegt, und sie dringen nicht tief genug in die Organisation vor, um festzustellen, wofür sie steht. Es erfordert Entdeckergeist, die Bereitschaft, sich von seiner Intuition leiten zu lassen und zu erkennen, was schon immer da war, aber bislang unsichtbar gewesen ist, das heißt:

  1. Das Augenmerk auf die feinstofflichen Strukturen und informellen Dienstwege legen, die in keinem Organigramm zu finden sind.
  2. Mitarbeiter nicht nur als Kostenfaktor und Einsparpotenzial sehen, sondern als wichtige Treiber des Unternehmenserfolgs.
  3. Lernen mit dem Kern des Unternehmens in Verbindung zu kommen und den Blick bewusst nach vorne zu richten.

matrix

 

Eine von Ken Wilber entwickelte Matrix angewendet auf Unternehmen bildet eine gute Grundlage für den Einstieg, um die Unternehmenswirklichkeit aus einer Helikopterperspektive zu reflektieren.[1] Die vier zentralen Facetten einer Organisation werden dort verortet (siehe Abbildung). Es ist also keine „Entweder-oder“-Entscheidung; die greifbaren Elemente der Struktur UND die ungreifbare Substanz der Kultur werden gemeinsam betrachtet. Das Modell zeigt die systemische Wechselwirkung der vier Quadranten auf und bietet die Möglichkeit, das Zusammenspiel der Felder zu verstehen und zu nutzen, um genau an der Ebene anzusetzen, wo das größte Potenzial besteht.

 

Vision, Mut und Konsequenz führen zum Erfolg.

Große Unternehmen mit komplexen Organisationsformen, die systematisch in gemeinsame Werte und Führungsprinzipien sowie in ihre Mitarbeiter investieren, erzielen oft doppelt so viel Gewinn und Wachstum wie ihre Mitbewerber. Das bestätigen Harvard Business Review und McKinsey Quarterly. Am Ende stellt sich hinsichtlich der Umsetzung aber noch eine entscheidende Frage: Wie konsequent wollen Sie sein?

 

[1] Frederic Laloux (2014): Reinventing Organizations, A Guide to Creating Organizations Inspired by the Next Stage of Human Consciousness, S. 227. Vorwort von Ken Wilber.

 

new business

Erschienen in: new business 44 / 31.10.2016

Quelle Titelbild: Birgit Käsbeck, Stefan Sven Klung

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