Storytelling ist tot. Es lebe Narrative Branding!

Jede Marke erzählt heute Geschichten. Zeit, damit aufzuhören und zu verstehen, dass sie selbst eine Geschichte ist, die kontinuierlich weitergeschrieben wird. Mit allen. Immer. Überall.

Von Bastian Goldschmidt, Strategist, Grabarz & Partner Werbeagentur GmbH, Hamburg.

 

Spätestens seit Simon Sinek haben wir verstanden, dass Konsumenten weniger die Produkte als vielmehr die Geschichte hinter dem Produkt und ihrer Marke kaufen. Bei immer mehr Interaktionen zwischen Marke und Konsument wird es aber zunehmend schwieriger, diese Geschichte aktiv zu steuern – Marken definieren sich immer weniger über das, was sie erzählen möchten, sondern vielmehr über die Geschichte(n), die sie tatsächlich erzählen und die über sie erzählt werden. Dabei entsteht häufig ein Bruch im Storytelling der Marke – in genau der Geschichte, die wir doch so viel lieber kaufen als reine Produktfeatures.

Prominentes Beispiel Apple: Die Magie und damit die Geschichte der Marke scheint zu bröckeln. Es fehlen die revolutionären Produktinnovationen und kommunikativen Statements wie „1984“, die die magische Geschichte weiter befeuern. Immer kürzere Schlangen bei Produktlaunches und immer kritischere Kommentare zu neuen Produkten – anstatt ihrer Begeisterung drücken die „Jünger“ ihre Unzufriedenheit aus, weil die Story vom disruptiven Heilsbringer der Consumer Electronics nicht richtig weitererzählt wird – ein bisschen so, als ob man es bei der Gute-Nacht-Geschichte mit der Handlung nicht ganz so genau nimmt.

Was müssen wir tun, damit wir die Geschichte in den Köpfen der Menschen besser weitererzählen und damit unsere Marke aktiver führen können?

 

„Narrative Branding“ als möglicher Lösungsansatz

Immer häufiger taucht in diesem Zusammenhang das „Narrative Branding“ als mögliche neue Form der Markenführung auf. Es legt den Fokus auf die übergeordnete Geschichte der Marke, die in den Köpfen der Menschen als Klammer für alle Markenerlebnisse steht [Narrativ = eine Erzählung, die Erlebtes in bekannte Kategorien bringt]. Das klingt in Zeiten von Storytelling erst mal nicht revolutionär. Entscheidend ist aber, dass diese Geschichte erstens kein Ende hat und zweitens (unweigerlich) kollaborativ von Marke und Konsumenten weitergeschrieben wird.

Die Herausforderung für alle Marketeers: Das kontinuierliche Entwickeln, Inspirieren und Kuratieren von selbst- und fremdgesteuerten Markenerlebnissen über alle Touchpoints hinweg, die am Ende auf das Marken-Narrativ einzahlen. Und wie macht man das?

Zunächst einmal sollte man das Narrativ der eigenen Marke identifizieren und es dann in Anknüpfungspunkte für Markenerlebnisse herunterbrechen, mit denen wir selbst und in Kollaboration mit Konsumenten die große Geschichte kontinuierlich weitererzählen können. Und hierfür haben wir heute sehr viel mehr Möglichkeiten, als das berühmte „Why?“ in eine emotionale Haltungskampagne zu verpacken.

 

Große Geschichten weitererzählen

Einen ersten Ansatz, diese Möglichkeiten zu entdecken, bietet der „Social Code“ von Patrick Hanlon. Er hat folgende sieben Bestandteile von Narrativen erfolgreicher Marken entschlüsselt:

  1. Wie hat alles angefangen? (Offensichtlich ist hier die Gründungsgeschichte gemeint – jede Marke hat schließlich irgendwann und irgendwie einmal angefangen.)
  2. Wofür stehe ich? (Uns allen bereits bekannt: Haltung, Belief, Purpose, Mission, Antwort auf das „Why?“.)
  3. Woran erkennt man mich? (Neben einem Logo könnte hier zum Beispiel auch die Burger-King-Krone oder der charakteristische Duft einer Subway-Filiale ein Erkennungsmerkmal sein.)
  4. Welche Rituale nutze ich? (Polarisierende, tagesaktuelle Social-Media-Posts von Sixt, der Oreo-Twist oder auch der handgeschriebene Name auf dem Starbucks-Becher.)
  5. Welche Sprache nutze ich? (Zum Beispiel das charakteristische Produktnaming von IKEA oder die frühere Begrüßung durch die Synchronstimme von Kevin Spacey in einem car2go.)
  6. Wer oder was bin ich nicht? (Porsche bezieht zum Beispiel klare Stellung zum Thema „autonomes Fahren“: „Das ist so verlockend wie eine Rolex fürs Eierkochen. Einen Porsche will man selbst fahren.“)
  7. Wer führt mich an? (Leidenschaftliche Persönlichkeiten wie ein Steve Jobs, Elon Musk oder Brian Chesky.)

 

Sind diese Punkte das neue Patentrezept, mit deren Ausgestaltung wir alle endlich zu einem Apple, Tesla oder Airbnb werden können? Vermutlich nicht, zumal viele der Punkte nicht neu sind. Die Liste bietet uns allerdings konkrete Anknüpfungspunkte, mit denen wir zielgerichtet Content im Sinne der großen Geschichte unserer Marke anstoßen können.

 

Marken-Narrativ als Basis für vielfältige Markenerlebnisse

Bestandteile wie die Gründungsgeschichte, die Haltung der Marke oder ihre Führungspersönlichkeiten definieren den langfristigen Rahmen des Narrativs und sorgen für Konsistenz, Glaubwürdigkeit und Differenzierung der großen Geschichte. Spannend wird es bei den Punkten 3–5. Hier steckt bei vielen Marken großes Potenzial, jeden Tag aufs Neue Erlebnisse und Momente zu schaffen, die die eigenen Konsumenten in die große Geschichte der Marke integrieren und sie damit befeuern und fortführen.

Markante Eigenschaften können beispielsweise über verschiedene Touchpoints Teil von Konversationen werden: Googelt man die Burger-King-Krone, stellt man fest, dass Menschen sich mit ihr fotografieren und diese Fotos teilen. In der Interaktion zwischen Marke und Menschen entstehen Rituale, die wir nutzen können: Wie beim Oreo-Twist findet sich auch bei der „Prinzen Rolle“ ein ganzer Kult um die Verbindung aus Keks-Schokocreme-Keks. Über das Öffnen eines neuen Nutella-Glases gibt es ganze YouTube-Videos und Starbucks inspiriert zu Galerien der besten Namens-Transformationen zwischen Bestellung und Becher. Auch die Sprache der Marke bietet Potenzial: Menschen denken sich beispielsweise IKEA-Produkte mit den skurrilsten Namen aus – selbst ein IKEA-Wörterbuch gibt es im Internet zu finden.

Diese Potenziale sollten wir erkennen und mit den langfristigen Bestandteilen des Marken-Narrativs für uns nutzen. Das bietet uns die Chance, nicht mehr nur Sender einer guten Antwort auf ein „Why?“ zu sein, sondern zu einem Ko-Autor einer unendlichen Geschichte zu werden, die die tiefe und nachhaltige Verbindung zwischen Marke und Mensch erzählt – magisch, glaubwürdig und trotzdem immer wieder überraschend.

 

new business

Erschienen in: new business 50/ 12.12.2016

Quelle Titelbild: K.Narloch-Liberra/shutterstock.com

 

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