Die digitale Chance der Klassik

Vor 10 Jahren galten TV oder Kino für viele Kreative noch als Königsdisziplin. Planerisch und kreativ viel spannender sind aber die Sozialen Netzwerke, allen voran Facebook. Vielleicht liegt im Umgang mit ihnen sogar die Chance für eine Rückbesinnung auf die eigentliche Aufgabe der Klassischen Werbung, die Markenführung.

Von Alexander Ellhof, Geschäftsführer Dritte Kraft GmbH – Institut für Markenführung, Hamburg.

 

Eine aktuelle GWA-Studie[1] zeugt von gestörten Agentur-Kunden-Beziehungen in der Klassik: Kunden beklagen sich über „keine gute Kreation“ und „mangelnde Beratungskompetenz“. Agenturen stört die „kreative Besserwisserei“ und die „Wer bezahlt, sagt an“-Mentalität ihrer Auftraggeber.

Im Vorwort zur Studie heißt es: „In unserer Selbstwahrnehmung sind wir heute schneller und flexibler denn je. Trotz allem sprechen internationale Daten von einem rapiden Vertrauensverlust der Kunden in ihre Agenturpartner.“[2]

Die systemische Perspektive liefert für die Entstehung des gegenwärtigen Zustands eine plausible Erklärung: Klassische Werbung führte jahrzehntelang ein Dasein ohne nennenswerte äußere Einflüsse. Rückkopplungsschleifen existierten, wenn überhaupt, nur zeitverzögert und gefiltert durch die Marktforschung. Im Laufe der Evolution passten die Agenturen, unter gestiegenem Selektionsdruck, sich selbst und die Kreation immer stärker den Wünschen der Auftraggeber an und verloren so den Endkunden aus den Augen.

Wenn aber, auch aus Mangel an geeigneten Erfolgsindikatoren[3], Werbung nicht mehr primär für den Endkunden Relevanz entfalten muss, dann hat das negative Einflüsse auf die Qualität. Auf der Gestaltungsebene manifestieren sie sich in „Lautstärke statt Gefühl“, „Abverkauf statt Markenaufbau“ und „Preis statt Wert“. Niemand möchte angeschrien werden. In der Klassischen Kommunikation, die in ihrer Struktur hierarchisch-linear ist und sich in einem geschlossenen System entwickelt, mag dies dennoch eine ganze Weile funktionieren. „Wer bezahlt, sagt an“ gilt nicht nur für die Agentur-Kunden-Beziehung, sondern auch für den Umgang mit den Endkunden.

 

Relevanz bringt Reichweite

Die Sozialen Medien hingegen, mit ihrer hierarchiefreien, vernetzten Kommunikationsstruktur, bestrafen die Fokussierung auf die Wünsche der Werbungtreibenden sofort. In einem offenen System zählt die Relevanz für die Nutzer. Sie bestimmen selbst, welche Botschaften sie wahrnehmen. Wer ihre Wünsche ignoriert, muss hohe Preisaufschläge in Kauf nehmen. Wer es hingegen schafft, die Menschen von einer Idee zu begeistern, sie zur Interaktion zu bewegen, wird mit kostenloser organischer Reichweite und erstaunlich niedrigen Kosten für Werbung belohnt.

Insbesondere für Strategen spannend ist das detaillierte Wissen, das Facebook von den Nutzern hat. Bei der Strategieentwicklung führt das zu ganz neuen Optionen. Das Credo lautet: Besser relevant für wenige als irrelevant für (fast) alle. Zentral ist die Frage: Mit welcher Botschaft wird in welcher homogenen Nutzergruppe die höchstmögliche Relevanz erzielt?

Wer Relevanz schafft, wird von Facebook, wie bereits erwähnt, mit deutlichen Kosteneinsparungen belohnt. Und wie ist das tatsächliche Ausmaß der Einsparpotenziale? Um eine Zahl zu nennen: Allein durch die richtige Strategie ließ sich bei einer Kampagne im Wellness-Bereich eine Kostenreduktion von über 80 %, gegenüber den von Facebook vorhergesagten Kosten, erzielen.

 

Marke vor Produkt

Die eingangs geäußerte Einschätzung, die Sozialen Medien könnten dazu beitragen, die Klassische Werbung zu verbessern, nährt auch eine interne, kürzlich durchgeführte Studie des Autors. Mittels eines Social-Media-Monitoring-Tools wurden über einen Zeitraum von zwei Monaten insgesamt 920 Posts der Facebook-Seiten von 17 Tourismusmarketing-Organisationen untersucht.

Als abhängige Variable wurde die Interaktion mit einzelnen Posts gewählt. Das ist schlüssig, denn Interaktion führt bekanntlich zu Reichweite. Überraschend dagegen mag die Auswahl der unabhängigen Variable erscheinen. Die Entscheidung fiel für Kriterien, nach denen man auch TV-Werbung kategorisieren könnte: „Marke“, „Produkt“ oder „Promotion“.

Abbildung 1: Prozentuale Häufigkeitsverteilung der Posts nach Kategorien

 

Wie in Abbildung 1 deutlich wird, nehmen Posts über Produkte eine herausragende Position ein. Betrachtet man nur Marken- und Produktposts, die für ca. 90 % aller Posts stehen, dann haben 2/3 Produkte und nur 1/3 die Marke zum Gegenstand. Das kann man als Ausdruck der Relevanzeinschätzung durch die Seitenbetreiber betrachten. Produkte werden von ihnen, auch auf Facebook, für relevanter gehalten als Marken.

 

Abbildung 2: Interaktionsraten mit Posts nach Kategorien, bezogen auf die Fanzahl der jeweiligen Seite

 

Ein ganz anderes Bild ergibt sich, wenn man die Reaktionen der Nutzer betrachtet. Abbildung 2 zeigt, dass durchschnittlich 1,7 % aller Fans einer Seite mit Markenposts interagieren, aber nur 0,4 % mit Produktposts. Markenposts werden außerdem viermal häufiger geteilt und erhalten viereinhalbmal mehr Likes als Produktposts. Markenposts sind also für die Fans deutlich relevanter.

Facebook als heimliches Leitmedium?

Dieser Beitrag lässt sich in vier Thesen zusammenfassen:

  1. Die Klassische Werbung hat den Endkunden – und damit die Markenführung – aus dem Blick verloren. TV kann daher nicht länger als Königsdisziplin gelten.
  2. Das detaillierte Wissen über die Nutzer, ein Alleinstellungsmerkmal des Mediums Facebook, lässt sich zur Steigerung der Relevanz von Werbung nutzen.
  3. Relevanz für den Endkunden ist der Schlüssel zum Erfolg in den Sozialen Medien.
  4. Facebook ist ein ideales Medium für die Markenführung. Marken sind – auch auf Facebook – relevanter als Produkte.

Daraus ließe sich für Facebook die Rolle als neue Königsdisziplin ableiten. Da aber die Sozialen Medien in vielen Unternehmen noch „unter dem Radar fliegen“, empfiehlt es sich, Facebook als heimliches Leitmedium zu verstehen und die hier zu gewinnenden Erkenntnisse nur in kleinen Schritten in die Klassik zu übertragen.

 

[1] Dirk Bathen, Jörg Jelden: Agentur-Kunden-Beziehungen von morgen, in: www.gwa.de/Insights/StudienundRankings/GWAStudien, Zugriff am 06.02.2017, S. 12 f.

[2] Ebenda, S. 3.

[3] Alexander Ellhof: Erfolgsindikatoren als Währung einer Agentur-Kunde-Beziehung, in: apgd.de/2015/07/20/erfolgsindikatoren-als-waehrung-einer-agentur-kunde-beziehung, Zugriff am 06.02.2017.

 

 

new business

Erschienen in: new business 8/ 20.02.2017

Quelle Titelbild:everything possible/shutterstock.com

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