Breaking News: Bot beißt Hund

Über die Auswirkungen von digitalen Technologien wie Bots oder Künstlicher Intelligenz auf unsere Kommunikation.

Von Ingo Waclawczyk, Leiter Strategie und Konzeption, anyMOTION, Düsseldorf

 

„Wie viele Tiere jeder Art nahm Moses mit in die Arche?“ Die Anzahl der Testpersonen, denen spontan auffällt, was an dieser Frage nicht stimmt, ist so gering, dass dieses psychologische Experiment den Namen „Moses-Illusion“ erhalten hat. Die meisten antworten auf die Frage mit „zwei“ und übersehen, dass es Noah und nicht Moses war, der die Arche baute. Die Schlussfolgerung der Forscher: Wenn in einem Satz ein Begriff durch einen semantisch korrekten, aber inhaltlich falschen Begriff ersetzt wird, fällt es Menschen spontan schwer, diese Verzerrung zu erkennen. Der Psychologe Daniel Kahneman erklärt das mit der Konstruktion des menschlichen Gehirns, in dem nach seiner Theorie zwei Systeme mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Aufgaben interagieren. „System 1“ reagiert „automatisch und schnell, weitgehend mühelos und ohne willentliche Steuerung“, während „System 2“ bei anstrengenden mentalen Aktivitäten wie z.B. einer komplexen Berechnung zum Einsatz kommt. Seine Forschungsarbeiten hat Kahnemann in dem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ zusammengefasst. Man könnte fast meinen, dass die Autoren von „Hybriden News“ oder „Alternative Fakten“ das Buch gelesen haben und es quasi als Anleitung benutzen. Aber nicht nur von Menschen gemachte Falschinformationen sind dazu geeignet, Verwirrung zu stiften.

 

Wenn Computer Nachrichten schreiben und lesen

Vor allem in sozialen Netzwerken sind automatisierte Computerprogramme als getarnte Nutzer unterwegs. Eine aktuelle Studie geht davon aus, dass bis zu 15% der Twitter Accounts von Bots betrieben werden. Das wären weltweit ca. 48 Millionen Bot Twitter Accounts. Diese Situation hat gravierende Auswirkungen auf die private und öffentliche Meinungsbildung. Experten gehen davon aus, dass es ausreicht, wenn 10.000 Twitter Follower in Deutschland über ein Thema diskutieren, damit es ein „Trending Topic“ wird. Wenn Bots ein beliebiges Thema durch automatisiertes Posten und Teilen pushen, kann auch ein bis dahin eigentlich unwichtiges Thema die Wahrnehmung beeinflussen und überlagern.

Seit einiger Zeit werden auch in Redaktionen Computersysteme und „Künstliche Intelligenz“ genutzt, um Texte zu produzieren. Die so erstellten Texte nutzen eine relativ einfache Syntax, die sich im jeweiligen Kontext immer wiederholt. So folgen z.B. Berichte über Sportereignisse oder die Veröffentlichung von Geschäftsberichten der gleichen Struktur und sind daher perfekt geeignet, um „KI“ für die Texterstellung einzusetzen. Software Tools wie „Wordsmith“ wandeln dafür Daten aller Art durch „Natural language generation“ in Texte um. Die flexiblen Bausteine sind vordefiniert und der Algorithmus ergänzt die Stellen mit den Daten, mit denen er „gefüttert“ wurde.

Computerprogramme erstellen heute aber nicht nur digitale Inhalte, sie konsumieren sie auch. Mehr als die Hälfte des Internet Traffics wird heute schon durch Bots erzeugt. Zu diesem Ergebnis kommt der „Bot Traffic Report 2016“ von Incapsula, für den über 16 Milliarden Visits auf 100.000 zufällig ausgewählten Domains ausgewertet wurden. Die Bots machen zusammen ca. 52% des Traffics aus und werden in „Gut“ und „Böse“ unterteilt. Gute Bots wie z.B. die von Google, Bing oder Yandex stehen für 23% des Traffics, „böse“ Bots wie Cyclone machen 29 % des gesamten Internet-Traffics aus. Man kann also davon ausgehen, dass heute schon ein relevanter Anteil der Inhalte auf Nachrichtenseiten und in den sozialen Netzwerken von Bots erstellt und dann von anderen Bots gelesen, kommentiert, geliked und verbreitet wird.

Dabei ist die KI, die heute mit Bots zum Einsatz kommt, sogenannte „Einfache“ oder „Spezialisierte KI“ und (noch) weit davon entfernt, selbstständig zu denken oder das Niveau des menschlichen Gehirns zu erreichen. Bis zur „allgemeinen Künstlichen Intelligenz“, so wie sie mit HAL 9000 im Film „Odyssee im Weltraum“ dargestellt wurde, ist es wohl noch ein weiter Weg.

 

Von der Verblendung zur Erleuchtung

Über Einsatz und Umgang mit Bot-Traffic und -News gibt es aktuell viele Diskussionen und unterschiedliche Ansätze, die vom kompletten Verbot über freiwilligen Selbstverzicht bis hin zum Rat, einfach cool zu bleiben, reichen. Was sich aber durch die Kombination aus „Hybriden News“ und Bot Traffic verändert: die Glaubwürdigkeit von Nachrichten insgesamt wird erschüttert. Die Folgen sind überall zu spüren: Verunsicherung, Überforderung und oft genug auch die Entscheidung, nur noch Quellen zu nutzen, die die eigene Meinung bestätigen – willkommen in der Filter Bubble.

In diesem komplexen, unsicheren und dynamischen Umfeld Markenkommunikation zu platzieren, ist eine neue Herausforderung für Unternehmen, Werbe- und Mediaagenturen und strategische Planer. Grundlage für einen „vernünftigen“ Umgang mit der digitalen Wirklichkeit könnte eine neue Haltung sein, die von Digitaler Achtsamkeit, Bewusstsein für die Komplexität und „Digitaler Erleuchtung“, so wie es das Zukunftsinstitut beschreibt, geprägt ist.

Noch befinden wir uns in der Phase des Hypes, des kollektiven Durchdrehens, die der Phase der Krise vorausgeht. Um die eigentlichen Möglichkeiten der digitalen Technologien zu erkennen und die Potentiale zu nutzen ist nach Meinung der Experten vom Zukunftsinstitut ein mentaler Neustart notwendig, der aus der aktuellen Verblendung zur angestrebten „Digitalen Erleuchtung“ führt.

 

Geschichten aus dem wahren Leben

Bei aller Faszination für digitale Trends: Bots und KI haben (noch) eine Schwachstelle. Aktuell können sie nur „Mainstream-News“ mit vorhersehbarer Syntax erstellen und auch nur solche Mainstream News konsumieren. Was einfache KI (noch) nicht kann: Unvorhergesehenes, Überraschendes, Neues oder Spontanes selbst erstellen oder darauf angemessen „menschlich“ reagieren. Eine kreative Schlagzeile wie „Mann beißt Hund“ würde einer KI noch nicht einfallen.

In dieser Erkenntnis liegt eine Chance. Wenn Medien und Marken überraschende, spannende, authentische Nachrichten und Geschichten mit Bezug zum richtigen Leben anbieten, werden die von Bots erstellten Mainstream-Inhalte vielleicht weniger attraktiv erscheinen. Und noch etwas unterscheidet den Menschen von Bots: Wir können eine Meinung und Haltung zum Ausdruck bringen und andere Menschen anregen zu reflektieren. Wir können mit unserer Meinung neue Diskussionen anregen, bereichern und eigene Denkansätze entwickeln.

Vielleicht wird Künstliche Intelligenz eines Tages „lernen“, wie man Neues erschafft und eine eigene Meinung vertritt. Viele Experten gehen davon aus, dass Computer früher oder später genauso „intelligent“ sein werden wie HAL 9000. Über den Zeithorizont gibt es unterschiedliche Prognosen. Manche gehen vom Jahr 2030 aus, andere bis zum Ende dieses Jahrhunderts. Egal wann es soweit sein wird – die Zeit bis dahin sollten wir nutzen, um unsere Kommunikationsfähigkeiten weiterzuentwickeln. Und falls wir eines Tages die Schlagzeile „Bot beißt Hund“ lesen sollten, wissen wir, dass ein neues Zeitalter begonnen hat.

 

new business

Erschienen in: new business 14/ 03.04.2017

Quelle Titelbild:tony4urban

 

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