Führt Firmen, nicht Marken.

Warum Strategen Unternehmen wieder als Zweck und Marken als Mittel begreifen sollten.

Von Gerald Hensel, Partner Digital Leadership & Brand Safety, PLOT, Hamburg.

Es gibt sicher im Umfeld von Marken und Unternehmen Themen, mit denen man sich inhaltlich mehr Freunde machen kann. Aber das Vertrauen zwischen Kunden, AdTech-Anbietern und Agenturen war schon einmal größer.

Im letzten Jahr sorgten die Video-Zählmetriken von Facebook für große Verunsicherung bei Unternehmen. Google musste sich im Rahmen eines sehr stattlichen Shitstorms einige äußerst unangenehme Fragen rund um seine Brand Safety stellen lassen und verlor dabei viel Geld. Und 77 Prozent aller Unternehmenskunden und 58 Prozent aller Agenturen führen derzeit nach der GWA-Studie „Agentur-Kunden-Beziehungen von morgen“ an, dass ihre Beziehungen fremdbestimmter und komplexer werden. Kein Wunder.

Zurück zu souveränen Unternehmensentscheidungen

Woran liegt es, dass scheinbar auf allen Ebenen modernen Marketings eine tiefe Verunsicherung bezüglich der Zuverlässigkeit der Dienstleister existiert? Eine These: In einer immer komplexer werdenden Welt fällt es denen, die führen, immer schwerer, klare Entscheidungen zu fällen. Die Lösung des Problems liegt nicht am nächsten Dienstleister, der erfolgreich seinem Kunden glauben macht, dass seine Kampagne oder die neue App die Lösung aller Probleme bedeutet. Entscheider müssen wieder in der Lage sein, selbstständig und möglichst begründet zu entscheiden, ob sie überhaupt eine Kampagne oder einen neuen Partner benötigen.

Nie war die Führung von Unternehmen im Markenkontext so komplex wie heute. Je mehr Interessen und Verantwortlichkeiten sich den Kuchen in einem komplett dynamischen Markt teilen müssen, desto mehr Zentrifugalkräfte wirken auf das souveräne Unternehmen ein. Je weniger Dinge klar sind, desto schwieriger wird Führung. Selbst die Studie, die wir eben zum Vertrauensverlust zitiert haben, werden Sie mit anderen Augen anschauen, wenn wir Ihnen sagen, dass ihr Initiator sein Geld mit der Optimierung von Kunden-Agentur-Prozessen verdient.

Wesentlich hierfür: der digitale Wandel. Die Zeit der vermeintlich guten alten Medienwelt war eben vor allem auch eine Zeit der Kontrolle und der Berechenbarkeit für die, die Marken aufbauen. „Above the Line“ und „Below the Line“ boten klare Anhaltspunkte, wo oben und unten war. Über die Frage, ob man auf YouTube zufällig den IS querfinanziert, musste man sich ebenso wenig Gedanken machen wie über die eigene Snapchat-Strategie – oder ob man überhaupt eine Snapchat-Strategie braucht.

Führen in der Zeitenwende

Aber was passiert wirklich in einer Welt, in der 16-jährige Kosmetikbloggerinnen die Arbeit von ganzen Werbeagenturen ersetzen? In einer Welt, in der selbst in Cannes die sichtbarsten Marken Facebook, Google und Snapchat sind? In einer Welt, in der Media-Agenturen Content-Units gründen und sich Tech-Plattformen Inhouse-Kreativteams leisten? „Müssen wir auf Pinterest sein?“ waren ebenso mal Sätze, die wir in unseren Agentur-Karrieren von Kunden gehört haben wie „Müssen wir auf Snapchat sein?“. Nicht, dass wir uns da falsch verstehen: Wir verstehen die Verwirrung. Und wir haben eine Idee, wie wir es besser machen.

Eine der zentralen Herausforderungen modernen Führens liegt darin, Fragen wieder zusammenzuführen, die jahrelang getrennt waren. Durch die Trennung von Kreativ- und Media-Wirtschaft, Publishern und Erfolgsanalysten hatte sich in der alten Welt eine Abfolge von Dienstleistern mit klaren Rollen etabliert. Nicht dass das sehr sinnvoll war. Aber wir beobachten eben die Auflösung genau dieser klaren Rollen und eine Fusion hin zu „Superanbietern“, die alles machen und können unter einem Dach. Google, Facebook und Snapchat schicken sich an, alles in einem zu sein: Technische Plattform sowieso. Media-Partner und Analysehub in einem. Und viele große Tech-Companies bieten zumindest Schnittstellen für Kreativdienstleister und Kreativteams an – Kreativteams, die mit Agenturen künftig konkurrieren werden. Es findet eine große Fusion statt.

Neue Konservativität in einer Welt im Wandel

Wandel ist gut. Wandel ist das, worauf wir als Leadership Agency abzielen. Wir glauben aber, dass Wandel etwas braucht, um gelingen zu können: echte Führung. Nicht im Sinne von Markenführung, sondern im Sinne von richtigem unternehmerischen Handeln. Gerade hier glauben wir, dass die neue Rolle des Strategen sich künftig wieder konservativer anfühlen müsste als in den letzten Jahren. Strategen müssen Komplexität reduzieren können und in einer Welt im Wandel die Entscheidungen vorbereiten helfen, die echten Unterschied machen. Das bedeutet zwar immer mit viel Neugier in die Welt zu blicken, in denen sich Unternehmen bewegen. Es bedeutet aber auch, dass der Stratege Informationen synthetisieren und vereinfachen muss, um Entscheidungen zu ermöglichen. Weniger Quatsch, mehr Fokus aufs Wesentliche.

Was konservativ klingt, ist gerade in unserer sich wandelnden Zeit entscheidend. Unternehmen müssen sich die Fähigkeit zum Führen zurückholen. Wo die unabhängigen Einzeldienstleister der Vergangenheit zunehmend durch riesige Tech-Kreativ-Plattform-Hybriden oder durch Kooperationsverbünde von Dienstleistern ersetzt werden, gilt es mehr denn je, das Unternehmen als Souverän wiederaufzubauen. Wir glauben, dass es für die, die führen wollen, heute dabei vor allem um vier Fragen geht:

  • Welchen Zweck haben wir? Wie machen wir diesen Zweck so eindeutig, dass wir damit als Organisation weiterkommen?
  • Wie gehen wir mit Innovationen um? Wie schaffen wir eine Kultur, die echten Fortschritt ermöglicht?
  • Wie gestalten wir gemeinsam die Gesellschaft und den öffentlichen Raum, dessen Teil wir sind?
  • Wie können wir uns als Unternehmen richtig, sinnvoll und dauerhaft erfolgreich im digitalen Raum aufstellen?

Diese Fragen sind es, deren konsequente Beantwortung für uns heute Führungsfähigkeit ausmachen. Die eigentliche Kunst des Führens liegt dabei immer in der Fähigkeit, gerade unbequeme Fragen zuzulassen, zu reflektieren und auf deren Beantwortung zu reagieren. Organisationen müssen eben gerade auf mittlerer Führungsebene Entscheidungen erlauben, die Organisationen in Echtzeit formen. Die Rolle von Leadership ist es, einen dauerhaften Rahmen für diese Entscheidungen zu bilden: Die Frage, wie sich Digitalisierung konkret im Wandel eines Unternehmens manifestiert, kann hier ebenso auf Management-Ebene eine Frage sein wie die Suche nach der Integrationsfähigkeit neuer Verkehrsleitsysteme in der Führung einer Stadt.

Nur wer Strukturen hinterfragt, kann sich verändern. Und nur wer denen, die wirklich Entscheidungen treffen, Fragen stellt, ist dazu in der Lage. Wir sind uns sicher, dass es noch viel zu verändern gibt, wenn wir uns eingestehen, dass es oft nicht Media- und Produktionspläne, Projektplanungen oder Markenpyramiden sind, die für Organisationen Herausforderungen darstellen. Es geht um die wirklich strategische Fähigkeit, mit Weitblick zu führen. Alles andere ist Umsetzung.

 

 

 

new business

Erschienen in: new business / 07.08.2017

Quelle Titelbild: drepicter@shutterstuck.com

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