Social-Media-Crashkurs für Firmen

Facebook benachteiligt kommerzielle Interessen prinzipiell. Deshalb ist Content ohne Strategie in den sozialen Medien wirkungslos. Anhand praktischer Beispiele erklärt Sebastian Keil, wie Fehler vermieden und Erfolge planbar werden.

Von Sebastian Keil, Geschäftsführer bei AntTrail, Hamburg.

 

Ich trage gern Schuhe der Marke Hummel. Zu Hause steht ein ganzes Regal davon. Neulich habe ich Hummel an die Facebook-Wall geschrieben: „Hey, ich besitze ein Dutzend Schuhe von euch, aber es ist noch Platz. Welches Modell empfehlt ihr mir?” Hier müssen sämtliche Alert-Glocken schrillen. In Social-Media-Denke bedeutet das nämlich: Hummel ist relevant. Deren Social-Media-Manager sollte mit mir interagieren. Denn Relevanz ist das größte Gut in den sozialen Medien. Ich bin genau das, was sich jeder wünscht: ein freiwilliger Rezipient.

Neben der Relevanz gibt es aber noch einen zweiten wichtigen Aspekt: Schlechte Produkte haben keine Chance. Heutzutage gibt es Reviews, Unboxings und geteilte Inhalte von Freunden. Die perfekte Marktbereinigung. Einem miesen Produkt hilft auch kein TV-Spot im Vorabendprogramm. Online muss es stimmen!

 

Vertrauen muss ich mir verdienen

Wir hätten also geklärt, dass Relevanz und ein attraktives Produkt unverzichtbar sind. Nun folgt Schritt zwei: Zielgruppe kennenlernen. Suchen wir uns ein schwieriges Beispiel. Sagen wir, Herr Müller führt ein mittelständisches Unternehmen im Speckgürtel einer Großstadt und sucht qualifizierte Bewerber. Im Grunde ist es immer ein ähnliches Vorgehen — egal, ob er Schuhe verkauft oder Kollegen einstellt.

Also: Mittelständisches Unternehmen, recht unbekannt, dafür bietet es gute Bezahlung und weitere Vorteile. Das Produkt stimmt, die Relevanz fehlt noch.

Nun geschieht meist das, was viele (falsch) machen: Herr Müller stellt einfach die Stellenanzeige bei Facebook rein. Eine Schweinebauchanzeige. Kein Stück vertrauenerweckend, der gewünschte Effekt bleibt folglich aus. Er ruft also bei uns an: „Der Großauftrag ist da und mir fehlen Mitarbeiter. Helft mir bitte über Nacht!” Das kann er sich direkt aus dem Kopf schlagen. Nicht falsch verstehen, wir werden ihm schon helfen. Aber um im Bereich Social Media erfolgreich zu sein, benötigt Herr Müller eine Community, die ihm vertraut. Erst danach kann er seine Ziele anständig verfolgen. Dafür aber so richtig. Auch für die Krisenkommunikation ist das essenziell. Follower existieren besser schon, bevor etwas Kritisches kommuniziert werden muss. Aber das braucht einfach Zeit. Punkt.

 

Unternehmen werden benachteiligt

Vor fünf bis sechs Jahren hat der Algorithmus noch nicht zwischen privaten und kommerziellen Postings unterschieden, jetzt schon, weshalb Unternehmen grundsätzlich im Nachteil sind.

Erklärt anhand eines Beispiels: Ich selber habe insgesamt 300 „Absender“, also Facebook-Freunde, Gruppen und Fanpages, die in meinem Feed landen könnten. Ein Drittel davon postet täglich. Ich schaue morgens, mittags und abends, was der Feed so hergibt. Alles durchzulesen bedeutet 100-mal gut zehn Sekunden, also 17 Minuten Aufwand. Gleichzeitig wird der Feed aber auch durch meine persönliche Präferenz beeinflusst: Zehn Lovebrands, mit denen Menschen am meisten interagieren, sind Standard.

Damit die anderen 290 „Absender“ oder sogar Herr Müller in meinen Newsfeed kommen, muss einiges passieren. Unternehmen müssen Facebook erstens dafür bezahlen und zweitens muss der Post so gut sein, dass Leute ihn liken (Relevanz!). Sonst fliegen sie wieder raus. Im Selbstexperiment ist das einfach nachzuvollziehen: Ganz simpel mit mehreren Posts von drei Firmen kurz hintereinander interagieren. Schon stehen sie jeden Tag im eigenen Feed. Erst wenn die Interaktion nachlässt, tauchen auch andere Seiten wieder auf.

 

Wie gehe ich richtig vor?

Wie erreicht Herr Müller Relevanz? Wenn er uns von AntTrail engagiert, gehen wir folgendermaßen vor:

  1. Zuerst kommt das Interview. Quintessenz: Herr Müller will erreichen, dass jeden Tag neue Bewerbungen reinkommen. Möglichst vom gleichen Schlag, denn er hat bereits gute Mitarbeiter, genau von solchen Leuten benötigt er nun mehr.
  2. Wie schaffen wir das? An dieser Stelle ist unser Vorgehen individuell abhängig von der Zielsetzung; adaptiertes, cleveres Vorgehen ist gefragt. In diesem Fall sind zuallererst einige Attribute der Kollegen interessant, die bereits für Herrn Müller arbeiten. Alter, Wohnort in Relation zum Firmensitz, Interessen und Familiensituation. Sind es eher Junioren, Senioren und/oder Studierte? Was interessiert sie? Sehr wahrscheinlich ähneln sich Mitarbeiter und die passendsten Bewerber in diesen Punkten. Wir befragen sie also mit einem standardisierten Fragebogen.
    Sind alle wichtigen Informationen analysiert, können wir einschätzen, welche Inhalte gepostet werden sollten und an wen sie gerichtet sein müssen, um relevant zu sein.
  3. Auf welchem Kanal gepostet wird, entscheiden wir zum Schluss. Für das Thema Work-Life-Balance käme beispielsweise ein lockeres „Casual Friday“-Foto auf Instagram infrage. Fachspezifisches ist bei Twitter meist besser aufgehoben. Es sollte einen Content-Mix aus Unterhaltung und interessanten Fakten geben, bis wir das Vertrauen der Rezipienten gewonnen haben.

Anschließend stellen wir direktere Fragen und äußern Wünsche. Beispielsweise: „Bewerbt euch bei Herrn Müller, er ist toll, wie ihr wisst!“ Nun erstellen wir den Redaktionsplan und überprüfen laufend, ob alles nach Plan funktioniert. Eine Strategie muss immer hinterfragt werden, digital geht das in „Echtzeit“.

Exkurs: Weshalb kennen Social Media ihre Nutzer so genau, dass ich angeben kann, wen ich erreichen will? Stichwort Big Data: Wenn jemand 70 Likes abgibt, sagt das mehr über ihn aus, als seine Eltern über ihn wissen. 300 Likes reichen aus, um die Menschenkenntnis zwischen zwei Lebenspartnern zu übertreffen. So können Aussagen über Zufriedenheit, Intelligenz, Berufserfahrung und Führungsqualitäten getroffen werden. (http://www.pnas.org/content/112/4/1036.abstract).

 

Zum Abschluss noch drei Faustregeln:

  1. Experten sind unabdingbar. Social Media werden gern an den Praktikanten gegeben. Fürs Posting selber: kein Problem. Für die Strategie: auf keinen Fall. Ein Flugschüler steuert keinen A380.
  2. Es ist sinnvoll, ausreichend Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um mit Anlauf sechs Monate Programm zu haben, Vertrauen zu erzeugen und anschließend das zu erreichen, was geplant ist. In diesem Fall: Mitarbeiter gewinnen.
  3. Follower alleine sind für den Erfolg nicht entscheidend, sondern Interaktion. Likes, Kommentare und vor allem Shares. Damit kann die Reichweite schnell explodieren.

Um noch mal auf Hummel und meine Schuhmodell-Anfrage vom Anfang zurückzukommen: Die haben mir nicht geantwortet. Stattdessen wurde mein Post sogar gelöscht. Ein geniales Negativbeispiel.

 

 

 

new business

Erschienen in: new business 34/ 21.08.2017

Quelle Titelbild: MichaelJayBerlin@shutterstuck.com

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