Der vergessene Star des Markenerfolgs: Das „Was“

Das „Warum“ einer Marke steht in der Markenführung zu Recht im Rampenlicht. Doch stellt man etwas ins Rampenlicht, bildet sich auch immer ein Schatten, der Erfolgsentscheidendes verschwinden lassen kann.

Von Marle Janßen, Head of Strategy bei MUTABOR, Hamburg.

 

Marke ist die Manifestation einer übergeordneten Idee, einer Haltung, einer Vision. Und – wie wir von Simon Sinek gelernt haben – genau das ist es, was Menschen kaufen. Sie kaufen nicht, was ein Unternehmen tut. Sie kaufen nicht die Leistung eines Produkts. Sondern warum ein Unternehmen etwas tut. Die größere Idee, die das Unternehmen mit dem Produkt verfolgt. Sie kaufen mit einem Tesla die Beschleunigung des Übergangs zu nachhaltiger Energie.

Das „Warum“ ist der unternehmerische Antrieb, die Daseinsberechtigung am Markt und das kommunikative Vehikel der Marke. Diese Überzeugung hat sich nicht nur auf der beratenden Seite etabliert, sondern wird auch überwiegend von den Unternehmen und Markenverantwortlichen selbst getragen. (Für die, die sich mit dieser Aussage schwertun: Zumindest das Verständnis dafür ist auf der Unternehmensseite gewachsen.)

 

Im Markenkern steht das „Warum“

Konsequenterweise wird diese Überzeugung auch in der Herangehensweise von Markenstrategien sichtbar. Sowohl im Prozess als auch im resultierenden Markenmodell, welches die Elemente einer Marke zusammenfassend abbildet und als operatives Steuerrad dient.

Zu beobachten ist, dass immer mehr Markenmodelle ein „Warum“ in den Modellkern stellen – beschriftet beispielsweise mit „Mission“, „Why“ oder „Purpose“. Immer häufiger trifft man auch auf das Golden-Circle-Konzept von Simon Sinek mit den Kreisen „Why“ (im Kern), „How“ (mittlerer Kreis) und „What“ (äußerster Kreis), eingesetzt als Markenmodell.

 

Es bildet sich ein Schatten

Den Fokus in der Markenentwicklung auf ein prägnantes „Warum“ zu legen, aus dem sich Kommunikation und Design ableiten lassen, ist folgerichtig und notwendig. Jedoch birgt es auch eine Gefahr, die sich nicht nur negativ auf den Markenprozess, sondern auch auf die Langfristigkeit und Operationalisierung der Markenstrategie auswirken kann.

Auch wenn das „Warum“ den Markenkern bilden soll, dürfen die anderen Elemente des Markenmodells nicht zum schnell ausgefüllten Beiwerk verkommen. Markenwerte werden zwar meistens noch als wichtig und wechselwirkend für den Kern gesehen, doch andere Elemente, die sich auf Kompetenzen oder Leistungen beziehen, ordnet man oft als weniger bedeutend oder rein funktional ein. Beispielsweise wird das „What“ im Modell von Sinek oft mit einer reinen Auflistung des Produktportfolios ausgefüllt. Das ist verschenktes Potenzial.

 

Ohne Fundament besteht Einsturzgefahr

Ein gutes „Warum“ braucht immer auch ein Fundament aus relevanten und differenzierenden Kompetenzen. Sie bilden das Kapital, welches den Weg zur Realisierung der Vision überhaupt erst ermöglicht und Markenwerte anwendbar macht. IKEA beispielsweise kann einen besseren Alltag für die vielen Menschen („Warum“) nur deshalb schaffen, weil sie in ihrem Einrichtungsportfolio sehr „geschmacksbreite“, immer wieder wechselnde Designlinien anbieten (1. Kernkompetenz), die sich durch Formschönheit und kontextbezogene Funktionalität von anderen Möbelhäusern differenzieren (2. Kernkompetenz). Und vor allem, weil IKEA, durch maximale Effizienz an jedem Punkt der Wertschöpfungskette, erschwingliche Preise anbieten kann (3. Kernkompetenz).

Kompetenzen geben dem „Warum“ Substanz und Erdung, machen es realisierbar und glaubwürdig.

 

Die Kernkompetenz der Strategen

Jetzt könnte man behaupten, dass die Aufgabe eines Marken- oder Kommunikationsstrategen nicht darin besteht, die Kompetenzen oder die Geschäftsidee eines Unternehmens zu formulieren. Richtig und falsch.

Richtig ist, dass Unternehmen und Markeninhaber die eigenen Kompetenzen kennen und formulieren können sollten. Falsch ist, dass genau hierin ihre Kernkompetenz liegt.

Strategen wiederum besitzen die Fähigkeit, auf die relevante Essenz zu reduzieren sowie hinsichtlich Differenzierung, Relevanz und Glaubwürdigkeit zu überprüfen und verständlich und unternehmensspezifisch zu formulieren.

Unabhängig von der Formulierungsfähigkeit ist entscheidend, dass die Kompetenzen produktunabhängig identifiziert werden. So sollte sich die Kernkompetenz von Porsche nicht auf das Bauen von ästhetischen Sportwagen beziehen, sondern auf die Übersetzung von Rennsporttechnologie in Straßen- und Alltagstauglichkeit.

 

Übung zur Identifizierung von Kernkompetenzen:

Man stelle sich vor, das Unternehmen fängt Feuer und man hätte nur Zeit, lediglich eine Kompetenz aus dem Unternehmen zu retten, damit aus dieser eine beliebige Person das Unternehmen wieder erfolgreich aufbauen könnte. Welche Kompetenz würde man retten?

 

Ein Vehikel zum Prozesserfolg

Die Formulierung von Kompetenzen ist aber nicht nur für den Erfolg des „Warums“, sondern für den gesamten Markenprozess entscheidend. Am Anfang eines Prozesses ist es essenziell, dass Agentur und Kunde Vertrauen zueinander aufbauen. Die gleiche Sprache zu sprechen, ist dabei ein wichtiges Vehikel. Oft fällt es leichter, nicht direkt über pathosreiche „Warum-Sätze“ zu diskutieren, sondern sich zunächst über eher rationale Themen auszutauschen.

Durch den Formulierungsprozess der Kompetenzen bekommt die Agentur einen tiefen Einblick in das Unternehmen, lernt, wie das Geschäftsmodell funktioniert, und versteht die Treiber im Markt. Spiegeln die Formulierungen dieses gewonnene Wissen wider, wird das Vertrauen in die Agentur weiter gestärkt. Und letztlich kann erst durch dieses aufgebaute Wissens-Fundament ein substanzreiches „Warum“ entstehen, welches mehr als nur eine wohlklingende Formulierung ist. Erst dann wird ein „Warum“ ein Sinnstifter und ein Relevanztreiber – für Marke, Unternehmen und Zielgruppe.

Zu einem späteren Zeitpunkt im Projekt bilden die Kompetenzen zusätzlich eine dienliche Basis, um Kernbotschaften für die Kommunikationsstrategie abzuleiten.

Ein weiterer wichtiger Aspekt für die Agentur-Kunden-Beziehung ist, dass sich Agenturen durch das tiefe Unternehmensverständnis nicht nur als Marken- und Kommunikationsexperten, sondern auch als Sparringspartner für Produkt- oder Service-Neuentwicklungen positionieren können.

 

Eine Quelle der Überlegenheit

Natürlich profitiert nicht nur die Agenturseite von dem Festhalten der Kompetenzen. Wenn sich jeder im Unternehmen der Kernkompetenzen bewusst ist, sind sie eine Quelle der langfristigen Überlegenheit. Denn in sich ständig verändernden Marktgegebenheiten dienen die eigenen Kompetenzen als mögliche Anknüpfungspunkte, um neue Produkte, Services oder sogar ein neues Geschäftsmodell zu identifizieren.

Bose übersetzte beispielsweise die eigene Kompetenz, Schwingungsprobleme zu lösen, in eine revolutionäre Federungstechnologie für Lkw-Sitze („Bose Ride® System“), um Fernfahrer vor schädlichen Fahrbahnvibrationen zu schützen.

 

Dass für den Erfolg einer Markenidentität ein „Warum“ gebraucht wird, wurde bereits ausreichend belegt. Nun sollten wir den Lichtkegel des Scheinwerfers wieder größer ziehen, damit nicht nur das „Warum“ im Spotlight steht, sondern auch die hauptrollenverdächtigen Kompetenzen.

Deshalb sollten wir Agenturen wieder mehr Fokus auf die Analyse der Kernkompetenzen eines Unternehmens legen und von unseren Kunden einfordern, einen umfänglichen und tief gehenden Einblick ins Unternehmen bekommen zu dürfen.

 

 

new business

Erschienen in: new business   Nr. 48/27.11.2017

Quelle Titelbild: WhoisDanny@shutterstuck.com

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