Markenikone in unwegsamen Terrain

Die legendäre Offroad-Marke Land Rover entfernt sich zusehends von ihrem Markenkern und unterzieht ihre Klassiker einer höchstwahrscheinlich wenig nachhaltigen Gleichmacherei.

Von Markus Küppers, Geschäftsführer von september Strategie & Forschung, Köln.

 

Eigentlich dürfte es in unseren Breiten kaum SUVs im Straßenverkehr geben. Es spricht alles dagegen, angefangen mit dem fehlenden praktischen Bedarf: Der allergrößte Anteil der SUV-Käufer braucht eigentlich gar keinen Vierradantrieb oder eine spezielle Geländegängigkeit. Erschwerend kommt hinzu, dass SUVs in der Regel überhaupt nicht nachhaltig sind und man sich als Eigentümer argumentativ häufig in der Defensive befindet. Da wird schon mal der eine dünne Schneefall im Dezember zur Naturkatastrophe aufgebauscht, die man ohne sein SUV nicht bewältigt hätte.

 

SUVs sind mächtige Alltagsbewältiger

Dass der Verbraucher nicht „logisch“ kauft, wird am SUV sehr bewusst. Der verborgene emotionale Insight dahinter hat damit zu tun, dass ein SUV im Verkehr, und psychologisch auch im Alltag, ein Stück unverwundbar macht und das subjektive Machtgefühl steigert. Dieses Gefühl wird umso relevanter in einer zunehmend komplexen und unübersichtlichen Welt, über die man sich mittels eines SUVs einfach hinwegsetzt. Es ist einfach leichter, auf der Autobahn links zu fahren, wenn man am Steuer eines SUVs sitzt.

Dabei ist SUV nicht gleich SUV. Wenn wir die Fabrikate unterscheiden, fällt auf, dass es Marken mit und ohne Offroad-Historie gibt. Bei Land Rover hat alles angefangen mit dem kantigen wie kultigen Defender, einer der vier Offroad-Ikonen neben dem Jeep Wrangler, dem Toyota Land Cruiser und der Mercedes G-Klasse. Alle haben sich ihren Ruf in der Praxis über Jahrzehnte erarbeitet: im Gelände praktisch unbezwingbar, dafür eckig und wenig komfortabel. Zielgruppe waren lange nur spezifische Anwender wie Forscher, Bewohner extremer Gegenden oder eben das Militär. Analog zu SUV-Marken gibt es zum Beispiel auch im Heimwerker-Bereich Marken wie Makita, die aus der Profi-Ecke kommen.

 

Marken wie Land Rover leben vom männlichen Nimbus des Unaufhaltsamen

Käufer dieser „Profi“-Marken leihen sich den Nimbus des furchtlosen Entdeckers und Eroberers aus. Ein Defender-Fahrer wäre beleidigt, würde man sein Auto „SUV“ nennen. Land Rover profitiert vom legendären Image des Defenders, aber auch vom Image des mächtigen Discovery mit der Stufe im Dach, bevorzugt bei schweren Anhänger-Lasten (zum Beispiel Pferdeanhänger) und Auto der Wahl naturnaher Berufe wie Förster oder Jäger. Darüber hinaus bietet die Premiummarke Range Rover die Kombi aus Nützlichkeit und vorzeigbarer Noblesse. Wer sich diese Autos nicht leisten konnte oder wem der (gar nicht so teure) Defender zu unbequem war, konnte sich mit dem „kleinen“ Freelander (dem ersten echten SUV des Portfolios) Zutritt zu diesem Universum leisten.

Allerdings ist die geordnete Welt von Land Rover und Range Rover seit einigen Jahren nicht mehr die gleiche. Mit Erstarken der SUV-Welle um die Jahrtausendwende herum gelang zunächst der Range Rover immer mehr in das Blickfeld der Reichen und Schönen, medial unterstützt durch zahlreiche Auftritte im Kontext der Erfolgreichen und Mächtigen (Rapper, Königshäuser etc.). Die unübersehbare Geländewagen-DNA in Kombination mit der High-End-Ausstattung war für die zahlungskräftige Klientel äußerst attraktiv. Mit Einführung des Range Rovers III Anfang des neuen Jahrtausends wurde unter der Ägide von Ford eine gefällige, aber immer noch relativ eckige Designsprache etabliert, die den Range Rover für die Premiumzielgruppe endgültig in eine Liga mit S-Klasse, 7er-BMW und Ähnlichen positionierte. Für die Aufstrebenden gab es zusätzlich den Range Rover Sport als Einstiegsmodell in die automobile Luxusklasse.

 

„Sich neu erfinden und trotzdem der Alte bleiben – bei Land Rover haben sie noch an diesem Brett zu bohren“ (Thomas Geiger, Welt am Sonntag)

Im Laufe der Entwicklung (und mit der Übernahme durch den indischen Tata-Konzern) wuchs der Erfolgsdruck auf den Rest des Land-Rover-Portfolios. Dadurch weist die gesamte Land-Rover/Range-Rover-Modellpalette heute gravierende Defizite auf, vor allem die Verleumdung der Offroad-DNA von Land Rover.

Zunächst entschied das Management, den Defender nicht mehr weiter zu produzieren, ohne einen glaubhaften Nachfolger zu etablieren. Als sich Volkswagen notgedrungen vom Käfer trennte, hatte man immerhin glaubhaft den Golf als echten Volks-Wagen und Bewahrer der Marke. Das Defender-Vakuum führt dazu, dass die Marke keine Offroad-Ikone mehr im Angebot hat. Bis auf die letzten Defender gibt es bald keinen visuellen Proof mehr, wo die Marke ursprünglich herkommt. Somit fehlt ein Reminder, wofür die Marke ursprünglich steht. Ausblicke auf das neue Defender-Modell muten allzu futuristisch und rund an. Als Gegensatz zu diesen Plänen liest sich das Statement von Gunnar Güthenke, Chef der G-Klasse bei Mercedes-Benz, geradezu erfrischend: „Eher wird die Erde eckig, als dass die G-Klasse Rundungen bekommt.“

Man wünscht sich so eine Treue zur Historie auch bei Land Rover. Spaßautos wie der Range Rover Evoque (hedonistisch sogar noch gesteigert als Cabrio), der mit einem Geländewagen so viel Ähnlichkeit hat wie eine Vespa mit einer Harley Davidson, provozieren die Frage, welches Ideal (noch) hinter der Marke steht bzw. welches nicht.

Die Trivialisierung des Discovery als einzig verbliebenem Modell mit ernst zu nehmendem Offroad-Image neben dem Defender wurde in zwei Schritten vollzogen:

  1. Der neue Discovery Sport ist nicht die Einstiegsausführung des Discovery, sondern ein um Klassen niedriger positionierter SUV, der den Premiumcharakter des Discovery stark relativiert. Wer Discovery fährt, möchte um keinen Preis mit dem Discovery Sport in einen Topf geworfen werden.
  2. Die zweite Maßnahme ist noch gewichtiger: Das neue Design des Discovery wird von potenziell Interessierten und diversen Bloggern unter anderem als „weichgespült“ verworfen; die eckigen Formen werden als Reminder der Offroad-Kompetenz vermisst.

Überhaupt stellt die neue Designlinie, die in mittlerweile allen Modellen steckt, zwar ein schickes, aber gänzlich Offroad-entferntes Statement auf. Land Rover und Range Rover sind endgültig ein Beweis für Lifestyle und Ästhetik. Das ist erfolgreich, aber gibt der Erfolg den Auto-Managern deshalb recht? Als Anwalt des Teufels müsste man den Verlust jeglicher Offroad-Rustikalität und jeglicher Ecken und Kanten als Verrat an der Markenhistorie werten.

Nebeneffekt der durchdeklinierten, mainstreamigen Designlinie ist, dass kaum jemand die Modelle unterscheiden kann, der sich nicht intensiv damit befasst hat. Für die Außenwahrnehmung spielt es mittlerweile kaum eine Rolle mehr, ob man Velar, Discovery oder Range Rover bzw. Range Rover Sport fährt. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, wann eine der beiden Marken, Land Rover oder Range Rover, für die jeweils andere Marke aus politischem Sortiments-Kalkül geopfert wird.

 

Frisst der Erfolg seine Kinder?

Getragen vom derzeitigen Erfolg dürfte die Mahnung, an die Offroad-Historie der Marke zu denken, auf keine offenen Ohren stoßen. Bei aller Notwendigkeit des Wandels ist die authentische Transformation der DNA einer Automobilmarke entscheidend für den zukünftigen Erfolg. Letztlich stellt sich die Frage, wie viel Offroad-Gene in einer SUV-Marke noch stecken müssen, um nicht nur erfolgreich zu bleiben, sondern vor allem auch unique. So legt Mercedes-Benz die G-Klasse mit vertrauten Designelementen wieder auf, und auch Jeep hat jüngst die Wiederauflage des Wranglers mit klarer Wiedererkennung angekündigt – Maßnahmen, um bei aller Modernität die Offroad-DNA zu bewahren. Die Gefahr ist real, dass Land Rover und damit auch Range Rover sich dem Mainstream zuliebe nachhaltig verwässern. Wer einen Defender möchte, sollte sich jetzt noch schnell einen alten kaufen.

Eine gekürzte Fassung des Texts erschien in

new business

Erschienen in: new business   Nr. 4/ 22.01.2018

Foto: Nick-Dimbleby, Jaguar Land Rover

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