Die Zukunft der Werbebranche beginnt mit dem Nachwuchs.

Dem Strategienachwuchs fehlen oft die Grundlagen der Strategiearbeit, weil durch den gestiegen Kosten- und Effizienzdruck immer weniger Zeit für die Ausbildung bleibt.

Von Tim Keil – Head of Strategic Planning bei Philipp und Keuntje, Hamburg

 

Seit einigen Jahren kümmere ich mich (zusammen mit Knut Riedel) um die Aus- und Weiterbildung des Strategienachwuchses. Die Nachfrage nach Strategie-Workshops wie dem zweitägigen Power Planning Camp der Account Planning Group Deutschland (APG) ist ungebrochen und wird immer größer.

Die Workshops beginnen mit der immer gleichen Frage: „Warum bist du hier? Was versprichst du dir von diesem Workshop?“ Und die häufigste Antwort klingt ungefähr so: „Ich arbeite in der Strategie und will jetzt mal wissen, wie das eigentlich so geht.“

Ich finde das erstaunlich und auch ein bisschen erschreckend. Denn in Zeiten, in denen alle darüber klagen, wie schwierig es überhaupt ist, den Nachwuchs für die Arbeit in einer Agentur zu gewinnen, sollte die Ausbildung dieser wenigen und schwer zu bekommenden Talente eigentlich hohe Priorität haben.

 

Der Nachwuchs wurschtelt sich durch

Aber wenn man mit dem Nachwuchs spricht, scheint das leider nicht der Fall zu sein. Viele Junioren haben keine klare Vorstellung davon, was der Job eines Strategen und das grundlegende Handwerkszeug beinhaltet. Dabei mache ich dem Nachwuchs gar keinen Vorwurf, denn es ist ja vor allem Aufgabe der erfahrenen Strategen, das Wissen und die Grundlagen zu vermitteln. Doch nicht selten ist der Nachwuchs auf sich allein gestellt. Am meisten irritieren mich immer die Geschichten von Nachwuchsstrategen, die die einzigen Strategen in ihrer Agentur sind. Wie dort das strategische Handwerkszeug vermittelt wird, ist mir ein Rätsel.

 

Die Zeiten haben sich geändert

Aber das eigentliche Problem ist wohl eher struktureller Natur. Vor knapp 20 Jahren, als ich in der Werbebranche angefangen habe, war die Welt noch eine andere. Dank AE-Provision und aus heutiger Sicht sehr großzügigen Retainern konnten es sich Agenturen gut leisten, den Nachwuchs einfach bei den Senioren mitlaufen zu lassen. Und die Senioren konnten es sich leisten bzw. die Zeit nehmen, den Junioren die grundlegenden Dinge überhaupt einmal zu erklären. Heute herrscht ein ganz anderer Kosten- und Leistungsdruck. Die Retainer sind auf ein Minimum geschrumpft und P&G hat kürzlich erklärt, zukünftig und nur mit wenigen Ausnahmen völlig darauf zu verzichten. Aus Etats sind heute vielfach Projekte geworden, die auf Basis von Stundensätzen kalkuliert werden müssen. Und so ist die betriebswirtschaftliche Notwendigkeit umso größer, jeden Mitarbeiter bestmöglich auszulasten. Auch den Nachwuchs.

 

Die Projekteffizienz geht zu Lasten der Nachwuchsausbildung

Nun ist gegen betriebswirtschaftliche Effizienz erst einmal nichts einzuwenden. Nur übertreiben darf man es eben auch nicht. Denn wenn immer knapper kalkulierte Projekte auf Stundenbasis zu immer größerer Produktivität zwingen, bleibt immer weniger Zeit für die Vermittlung der theoretischen und praktischen Grundlagen. Jeder erledigt seinen Teil und der Nachwuchs wurschtelt sich eben durch so gut er kann.

Nur wie lange kann das noch gut gehen? Der Nachwuchs wird so ja geradezu vernachlässigt und das rächt sich vermutlich mehrfach. Denn wer die Grundlagen nicht kennt und sich durchwurschtelt, tut sich vermutlich mit anspruchsvollen Aufgaben schwer oder erledigt sie ineffizienter. Das frustriert alle Beteiligten: den Nachwuchs, der über Zuarbeiten nicht hinauskommt und sich am Ende eine andere Agentur sucht. Den Vorgesetzten, der sich um Aufgaben kümmern muss, die eigentlich der Nachwuchs hätte erledigen sollen, und seine eigentlichen Aufgaben vernachlässigt. Und am Ende auch den Kunden, dem das zu lange dauert und zu teuer wird. Im schlimmsten Fall stimmt auch die die Qualität nicht mehr.

 

Wer keine Zeit in den Nachwuchs investiert, hat auch keine Zukunft

Die Werbebranche kann nur eine Zukunft haben, wenn auch genügend Zeit in die Ausbildung der Nachwuchswerber und -strategen gesteckt bzw. wenn mehr Zeit kalkuliert wird.

Man darf auch nicht so tun, als ob noch nichts in diese Richtung getan würde. Viele Agenturen verändern ihre Arbeitsprozesse und erweitern ihre Weiterbildungsprogramme. Auch der GWA hat zusammen mit der Hochschule Fresenius einen Bachelorstudiengang für Kommunikationsstrategie ins Leben gerufen.

Aber es geht um mehr als nur die temporäre und theoretische Ausbildung. Das kann immer nur die Basis sein. Auch wenn Googles künstliche Intelligenz schon Bilder „träumt“, mit Algorithmen die besten „Creatives“ automatisch optimiert werden und uns Big Data neue Erkenntnisse präsentiert, bleiben Werbung und auch Strategie vorerst noch ein gutes Stück Handwerk. Und genauso wie man kein guter Tischler wird, wenn man nicht auch einmal praktisch gezeigt bekommt, wie das geht, wird man auch kein guter Werber oder Stratege, wenn man es nicht gezeigt bekommt. Dieses Bewusstsein wünsche ich mir bei den Verantwortlichen in Agenturen. Auch wenn es bei allem Zeit- und Kostendruck schwerfällt, müssen wir uns immer wieder vergegenwärtigen, dass es nur mit einem Nachwuchs, dem wir das theoretische und praktische Handwerkszeug an die Hand geben, in der Werbebranche wieder bergauf gehen kann. Und wenn ich an den Nachwuchs unserer Workshops denke, dann bin ich mir ziemlich sicher, dass es das auch wird.

 

 

new business

Erschienen in: new business   Nr. 12/ 19.03.2018

Quelle Titelbild: Rawpixel.com@shutterstuck.com

 

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