GWA Effie – Alles bleibt anders

Jean-Remy von Matt und Erich Sixt erhalten den Grand Prix in der Kategorie „Evergreen“ für ihr jahrzehntelanges, gemeinsames Immer-noch-besser-werden-Wollen. B2C, B2B und Health kommen sich näher. McKinsey und die Werber auch. Die FDP hat die coolsten T-Shirts und die BVG die hippsten Sneaker.

Von Maik Hofmann, Geschäftsführer bei hauser lacour kommunikationsgestaltung GmbH, Vorstandsvorsitzender der APG und Moderator des „GWA Effie Kongresses“.

 

Wenn es draußen langsam kühler wird und die Bäume ihre Blätter verlieren, zieht es Deutschlands Werber ins Warme. Genauer gesagt in den Frankfurter Palmengarten. Da rückt man zusammen, isst, trinkt, quatscht und feiert (sich). Es ist Effie-Zeit.

The same procedure as every year?

Erstmals wurden der „B2B Effie“ und der „Health Effie“ in den Hauptwettbewerb integriert. In Summe gab es 2018 genau 30-mal Metall: 7-mal Gold, 15-mal Silber und 8-mal Bronze. Und tatsächlich schafften es zwei B2B-Arbeiten, Gold zu gewinnen: Vodafone Enterprise und Scholz & Friends mit „One Business Net Läuft!“ sowie Reinsclassen mit ihrer eigenen „Corporate Language Qualitätsoffensive“.

Ein Effie in Gold ist an sich schon genug Grund zum Feiern. Immerhin muss die Arbeit zuvor in Vor- und Hauptjury der kritischen Prüfung durch Agentur- und Kundenvertreter standhalten. Darüber hinaus eröffnet ein Goldgewinn auch noch die Chance, sich auf dem „GWA Effie Kongress“ der Grand Jury und den in diesem Jahr über 300 Teilnehmern (Rekord!) zu präsentieren. Diese Chance, die Aktualität und Relevanz der eigenen Arbeit noch einmal leidenschaftlich persönlich darzulegen, nutzte vor allem Veronika Classen, Gründungsmitglied der Texterschmiede Hamburg, auf besonders dialogische Weise. Wer „Corporate Language“ eben noch für gähnend langweilig hielt und sich fragte, was das in der Zeit von programmatisch ausgelieferten, snackable Instas bringen soll – der fand sich plötzlich in einer lebendigen und teils sehr profunden Diskussion über Alexas Stimme, Voice-User- und Non-Graphic-Interfaces wieder. Quer durch den Raum und unter reger Beteiligung des Publikums schien durchaus das ein oder andere Aha-Erlebnis zu entstehen.

Zuvor inspirierte Sophie Kleber von Huge, New York, und bereitete das Sprach-Themenfeld vor: „A well-defined voice user interface is a personified brand extension that serves as the most intuitive and interactive touchpoint for a brand.“ Das ließ bei aller User-Zentriertheit tatsächlich auch die Frage aufkommen, wie eigentlich die eigene Marke spricht, wenn eigentlich nur noch Alexa spricht. Und Sprachsteuerung, so viel dürfte inzwischen jedem klar geworden sein, ist ein ausgewachsener Trend und nicht bloß eine Modeerscheinung.

Not so last year

Aufklärung in Bezug auf Mode gab es hingegen von Heimat und Jung von Matt: Entgegen anderslautender Medienberichte wurde Christian Lindner in Heimats goldprämierter FDP-Kampagne niemals im Unterhemd gezeigt! Es handelte sich um ein blütenweißes T-Shirt. Hat trotzdem Spaß gemacht, kam cool rüber und hat hervorragend funktioniert. Nicht funktioniert hat hingegen Christian Lindners Versuch, von Alexa Klarheit über die Berufsausbildungsvorbereitungsbescheinigungsverordnung oder über den Zweck des Katasterfortschreibungswiedereinführungsgesetzes zu erlangen. Hoffnung im Bürokraten- und Technokraten-Gewirr stiftete Dr. Martell Beck, Bereichsleiter Marketing und Vertrieb der Berliner Verkehrsbetriebe. Er schaffte es tatsächlich, die Berliner Kontrolleure davon zu überzeugen, dass man die BVG-Sneaker mit integrierter Jahreskarte nicht entwerten muss. Zumal die extrem limitierten Modelle ohnehin eher in Sammler-Vitrinen denn an S-Bahn-Fahrerfüßen zu finden sein dürften. So wird auch das exaltierte Muster der typischen Sitzbezüge geschont, das laut Adidas aktuell als „Urban Camouflage“ voll en vogue ist.

Through all of these years

Die wahren Werbetreiber, was Werbung wirkungsvoll macht, versuchen derzeit McKinsey, der GWA und BBDO mit Unterstützung von YouGov und der ISM International School of Management zu ergründen. Dafür haben sie 200 mit einem Effie ausgezeichnete Kampagnen der letzten 10 Jahre analysiert und mit Nichtgewinnern verglichen. Die Ergebnisse sind als Zwischenstand zu verstehen. Sie sollen Anstoß geben, als Branche mit vereinten Kräften daran zu arbeiten, künftig noch deutlich gewissenhafter Erfolg zu messen und daraus zu lernen.

Die bisherigen Erkenntnisse stellen zwar das Weltbild erfahrener Branchenteilnehmer nicht gerade auf den Kopf – sie erfreuen aber doch: Effie-prämierte Arbeiten performen systematisch und über die Jahre hinweg deutlich besser als Kampagnen, die nicht mit einem Effie ausgezeichnet wurden. Und zwar zwischen 3- und 5-mal so gut! Etwas überraschender kommt für viele wohl die Erkenntnis, dass sich die maximale Wirkung auf den Kaufeffekt erst 4 Monate nach Kampagnenende einstellt. Bis dahin ist die Markenbekanntheit schon wieder auf 55 Prozent ihres Maximalwertes abgeschmolzen, der in erwartbarer Weise direkt zum Kampagnenende hin erreicht wird.

Für die Zunft hoffnungsfroh stimmt die Beobachtung, dass erfolgreiche Werbung eine solide strategische Basis benötigt: glaubwürdige Nutzenversprechen, Konsistenz und Markenpassung. Darüber hinaus ist Krawall subtiler Kreativität unterlegen: „Der Marktschreier hat ausgedient. Kreativität schlägt Krawall“ lässt sich die Studie zitieren. Darf es da als Augenzwinkern des Kosmos verstanden werden, dass der diesjährige Grand Prix an Sixt geht? In den über 30 Jahren Werbegeschichte, die Jung von Matt mit Sixt geschrieben hat, war durchaus immer wieder gehörig Krawalliges dabei. Vielleicht bestätigt hier nur die Ausnahme die Regel. Vielleicht gehört Krawall bei Sixt-Kampagnen aber auch schon so zur Markenpassung, dass es eben jene Regel bestätigt.

 

 

Erschienen in: new business Nr. 48/26.11.2018

Quelle Titelbild: chainfoto24@shutterstuck.com

 

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