All the world’s a stage.

Oder: Wie die Planner manchmal sogar Kreativdepartments helfen, in denen zukünftige Oscar-Gewinner sitzen.

Von Paul Smith und Dr. Gordon Euchler

 

Dramatis Personae:

Gordon: immer leicht verunsicherter Planner.

Paul: Creative Director, der nicht nur Englands beliebtesten Werbefilm schrieb, sondern auch drei spätere Oscar-Gewinner einstellte. Deutlich weniger glamourös, wurde er auch Mentor von Gordon.

Maik: APGD-Präsident, der den Planner-Flohzirkus immer wieder dazu bringen muss, die monatliche Seite in der Fachpresse zu füllen.

Emailkorrepsondenz im Original.

 

‚The dark underbelly of planning‘

 

Gordon (in einer E-Mail an Paul):

frohes neues jahr! ich hoffe, du hattest einen großartigen start! ich melde mich, weil ich wieder einmal mit deiner erfahrung glänzen will.

ich schreibe gerade einen vortrag, ‚the dark underbelly of planning‘. der ist für die kreativen in meiner agentur und ich würde sie gerne davor warnen, wie wir planner immer wieder auf ihre kosten glänzen: mit einer moodboard-strategie ohne ziel, wenn wir unseren insight-fetisch ausleben, an headlines rumstümpern oder propositions ohne produkt schreiben. all die dinge, die gut auf powerpoint und in meetings aussehen, aber auf kosten der kreativen gehen. wenn letztere nämlich aus so viel wischiwaschi und verwirrung dann eine idee machen müssen.

was sind die besten (oder schlechtesten) beispiele von planning, die dir dazu einfallen? kannst du mir die vielleicht schicken?

cheers

g

 

Paul:

ich schicke morgen ein paar zeilen, HNY paul

 

Gordon:

bin sehr gespannt. das ist eine untertreibung.

 

Paul:

Zuerst Heineken: Heineken war ein Witz von einem Bier in England. Um es genau zu sagen, folgender Witz: „What is the similarity of a couple making love next to a stream and Heineken? They are both fucking close to water.“

Denn die englischen Ales waren alles schwere Biere. Heineken war vergleichsweise leicht. Aber Heineken wurde trotzdem als Ale positioniert.

Die Verkäufe waren dementsprechend schlecht. Ein Planner entschied, Heineken nicht länger als Ale zu positionieren, sondern als Erfrischung.

Der Brief bestand aus einem Wort: Refreshment. Kein Versuch, eine Endline zu schreiben, kein ‚stay hydrated with Heineken‘, keine Lifestyle-Beispiele. Kein einziges Wort mehr. Sondern die absolute Verdichtung zu einem Brief, der es dem Kreativdepartment überließ – oder besser: sie zwang –, auf diesem Wort aufzubauen und es in eine Werbeidee zu verwandeln. Eine Idee für mehr als 30 Jahre weltberühmter Kommunikation: ‚Refreshes the parts other beers cannot reach.‘

Rule 1: So never write your idea of an idea, that’s not your job!

Auf Basis dieses Erfolges gewannen wir den Etat von Stella Artois. Ein Bier, das überall in Europa Käufer verlor und kurz davor stand, aus den Supermarkt-Regalen zu verschwinden. Der Kunde wollte es direkt neben Heineken als ‚Session-Bier‘ positionieren – so nennt man in England Biere für jeden Tag. Der Kreativbrief des Planners an das Team war: Wenn Heineken ein ‚Session-Bier‘ ist, dann muss Stella Artois ein ‚Premium‘ sein. Und sollte auch genau so verkauft werden. Brief: Macht Stella Artois zu ‚the UK’s most premium Lager‘. Keine Szenarios aus dem Leben erfolgreicher Menschen (nur um sicherzugehen, falls die Kreativen nicht wissen, wie so ein Leben aussieht). Keine Endline. Keine Empfehlung, was für eine Idee der Kunde gerne sehen möchte. Der Brief sagte einfach nur: Macht Stella Artois zum absoluten Premium. ‚Reassuringly Expensive‘ erblickte das Licht der Welt. Der Gedanke: Wenn du ins Pub gehst, verdienst du etwas mehr als irgendein Lager-Bier … Der Kunde kaufte den Satz und eine ordentliche Preiserhöhung. Weil er nichts zu verlieren hatte. Und gewann so alles – ‚Reassuringly Expensive‘ wurde die globale Positionierung für Stella Artois und Stella Artois Marktführer in England.

Die Hilfe des Planners? Anders als bei Heineken, wo er einen anderen Grund zum Trinken fand, fand er hier eine besondere Positionierung. Aber auch bei Stella Artois überließ er es den Kreativen, diese Positionierung zum Leben zu erwecken.

Rule 2: When you write a brief don’t expect your brief to come back, expect the unexpected.

Und schließlich Beck’s, eine weitere Biermarke, die damals Probleme im Vereinigten Königreich hatte. Kein Budget und erst recht keine Kunden.

Nach monatelangen Versuchen, den Engländern in einem ohnehin überfüllten Markt einen Grund zu geben, ein sehr teures und damals zudem unbekanntes deutsches Bier zu trinken, hatte ein Planner namens John Wood zusammen mit dem Kreativdirektor eine Idee, was sie mit dem Brief machen sollten: Sie warfen ihn in den Müll. Und fanden einen Mann namens Anthony Fawcett. Der war einst John Lennons Assistent. Diesen Mann beauftragten sie, Beck’s einen Platz bei den coolsten Events Londons zu verschaffen: beim Rolling-Stones-Konzert oder einer David-Hockney-Ausstellung in der Kasmin Gallery. Und in Fashion-Magazinen sah man Rockstars auf fast jedem Foto Beck’s trinken.

Und was ist daran jetzt so clever? Ist das nicht einfach Product Placement? Clever war, den Kunden zu bitten, das Bier für sechs Monate vom Markt zu nehmen und die nächsten sechs Monate nur an ausgesuchten Locations verfügbar zu machen. Die Marke Beck’s wurde so mit kleinem Geld und einer guten Idee gelauncht und zu dem was sie heute ist. Die Rolle des Planners im Beck’s-Launch war, zu zeigen, dass es manchmal andere Wege gibt, ein Problem zu lösen.

Rule 3: Never be afraid to admit a brief isn’t working and start again.

In zwei dieser Ideen spielte der Planner eine große Rolle, die Positionierung zu finden, aber nicht die Idee. Das ist die Rolle des Kreativen. Die Daseinsberechtigung des Planners ist es, Raum zu schaffen, wo die Kreativen spielen können. Planner können natürlich versuchen mitzuspielen, aber sie sollten dafür klare Regeln setzen, denn …

Rule 4: There are no rules.

 

Gordon:

paul, die beispiele sind fantastisch. würde es dich stören, wenn ich bei der veröffentlichung deinen namen erwähne? dich vielleicht sogar als co-autor nenne?

 

Paul:

lass mich das ganze an meinen freund mike everett schicken. wenn es veröffentlicht werden soll, möchte ich alle fakten bestätigt haben.

 

Paul:

mickey stimmt meinen erinnerungen zu. somit denke ich, es ist okay. paul

(Januar 2018)

 

(…)

 

(Januar 2019)

 

Maik (in einer E-Mail an Gordon): gordon, hast du lust, in Q1 eine APG strategy corner für die new business zu schreiben? deadline ist in drei tagen.

 

Gordon: hmmmm.

 

Gordon: paul, frohes neues wieder einmal. ich hab es endlich geschafft, den artikel zu schreiben und wir könnten es veröffentlichen. ich hoffe, du magst den text? das einzige problem ist, dass der titel ‚the dark underbelly of planning‘ nichts mehr mit dem text zu tun hat. irgendeine idee? ich dachte an etwas, das ein wenig gewichtiger als werbung klingt und planner daran erinnert, dass sie für die kreativen arbeiten. oder besser noch: dass die beste unterstützung für kreative nicht kreation ist, sondern ihnen eine bühne zu bauen. irgendeine idee?

g

 

Rule 5: It’s the creatives who get things done. 

 

Paul Smith war bis Februar 2019 Co-Chairman von Ogilvy & Mather EAME.

Dr. Gordon Euchler ist Head of Planning von BBDO Group Germany, Düsseldorf.

 

Erschienen in: new business Nr. 8/18.02.2019

Quelle Titelbild: Von Vadim Georgiev@shutterstuck.com

 

 

 

 

 

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