Wie lern- und wandlungsfähig sind Werbeagenturen?

Die Arbeit an einer zukunftsfähigen Positionierung

Von Dietlinde Paetzelt, Brand Consultant, Partnerin und Geschäftsführerin CN St. Gallen I The Refresh Company

 

Keine Frage, das Geschäftsfeld der Kommunikationsagenturen steckt in einem tiefgreifenden Umbruch. Veränderte Vergütungsstrukturen und steigender Kostendruck stellen ein jahrelang erfolgreiches und liebgewonnenes Geschäftsmodell infrage. Und der mit den neuen Medien verbundenen Paradigmenwechsel in Marketing und Kommunikation fragt nicht nur nach anderen Angeboten, sondern auch nach neuen Qualitäten der Dienstleister. Der Werber als kreativer Unternehmensberater (Amir Kassaei, DDB) will daraufebenso Antwort geben, wie z.B. das Modell der Wertschöpfungspartnerschaft zwischen Agentur und Kunde (Mathias Valentin, PACT Communication Group).

Derartige Vorstöße und Impulse werden von der Branchenöffentlichkeit dankbar aufgenommen und heiß diskutiert. Die Qualität dieser Diskussion und die Bandbreite der Positionen machen deutlich, wie nötig die Branche sie hat und wie tief die Verunsicherung bezüglich der eigenen Rolle ist. Sicher ist: Nur wer die Realitäten des neuen Kommunikationsmarktes mit gestaltet, kann von ihr profitieren. Dabei geht es um mehr als kreatives Labeling. Nämlich um die Bereitschaft, die eigenen Talente und Kompetenzen zu nutzen und konsequent weiter zu entwickeln.

 

Neue Kernkompetenzen

Das Ende der Alleskönner-Agenturen wird von Branchenexperten schon lange prognostiziert. Empfohlen wird unisono Fokussierung und Spezialisierung. Allerdings sollte es dabei um mehr gehen als kosmetische Korrekturen am Portfolio oder die Behauptung von Nischen. Denn tatsächlich braucht die Komplexität des Kommunikationsmarktes die Alleskönner mehr denn je.

Glaubwürdig abbilden und bearbeiten kann das Spektrum der erforderlichen Kompetenzen aber nicht ein einzelner Player, sondern nur ein Konglomerat von Experten. Etliche Unternehmen haben das längst verstanden und arbeiten mit erheblichem Aufwand am Arrangement und Management ihres Agenturportfolios. Ob es dabei immer gelingt, die Qualität des Kommunikationsproduktes zu verbessern, sei dahingestellt. Klar wird aber, dass Agenturen im Rahmen einer marktgerechten Positionierung nicht länger nur auf die Exklusivität ihrer fachlichen Expertise setzen können. Gefragt sind vielmehr belastbare Modelle und Prozesse der Zusammenarbeit, die (jenseits taktischer Allianzen oder politischer Netzwerkelei) echten Mehrwert produzieren. Hier liegt viel Potenzial für einen zukunftsfähigen USP.

 

Anschlussfähigkeit zählt

Denn was für die netzwerkgetriebene Kommunikation gilt, gilt zunehmend auch für die Herstellung der Kommunikationsprodukte: Dialog, Interaktion, Partizipation werden zu GestaItungsprinzipien eines Marktes, in dem der profitiert, der am besten kooperiert. Gefragt ist hier nicht nur ein neues Selbstverständnis der Dienstleister, sondern auch spezifische Kompetenz und Know-how. Die Fähigkeit, Prozesse der Zusammenarbeit – intern, mit Partnern oder mit Kunden – zu initiieren, zu gestalten und erfolgreich zu steuern wird immer mehr zur Voraussetzung des eigenen Erfolgs. Dieser Realität müssen sich Agenturen mit der Entwicklung ihrer Angebote und ihrer Organisation stellen.

Da ist noch jede Menge Potenzial, denn noch reagieren viele mit Parolen, Aktionismus und Rihlalen der Selbstbehauptung auf die veränderten Anforderungen. Solange die Suche nach passenden Antworten vom Streit um das Privileg des Leads und die Deutungshoheit in der neuen Kommunikationsrealität bestimmt ist, wird die Arbeit an der Pass-und Anschlussfähigkeit des eigenen Angebots nicht vorankommen.

 

Positionierung ist Entwicklungsarbeit

Eingespannt in die hoch frequente Taktung und die Eigendynamik des operativen Geschäfts rückt die Frage nach der eigenen Positionierung meist dann erst in den Fokus der Agenturverantwortlichen, wenn die Performance unübersehbar nicht mehr stimmt, und dann ist schnelle Abhilfe gefragt. Aber ohne geschärften Sinn für die Entwicklungen und Potenziale des Marktes, die realistische Einschätzung der eigenen Ressourcen und ein tiefes Verständnis für die Bedingungen des eigenen Erfolgs, bleibt der Gestaltungsraum ebenso begrenzt wie die Wirksamkeit von Maßnahmen.

Die Arbeit an der Zukunftsfähigkeit der eigenen Positionierung ist kontinuierliche Entwicklungsarbeit – und zwar nicht (nur) im kommunikativen, sondern im unternehmerischen Sinne. Sie braucht Instrumente der (Selbst)Wahrnehmung, Routinen der Reflektion und Bewertung, Methoden der Strategie- und Ressourcenentwicklung. Der Mehrwert dieser Arbeit liegt nicht primär im Zuwachs von Erkenntnissen, sondern im Zuwachs von Optionen, die eigene Rolle erfolgreich zu gestalten.

 

Der Schuster und seine Leisten

Über das nötige Denk- und Handwerkszeug verfügen die meisten Agenturen. Gefragt ist das Commitment, sie (auch) in eigener Sache viel konsequenter zu nutzen.

 

 

Foto: „whiteoffice #6″ | kamirika | photocase.de

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