Artenvielfalt im Markenreich

Warum gelungene Markenauftritte von der Art der Produktbeziehung abhängen.

von Ingo Grosch, Brand Strategist, Leo Burnett, Frankfurt

 

Marken sind nur dann erfolgreich, wenn sie den Alltag der Menschen wirklich bereichern. Damit dies gelingt, wird in Agenturen und Marketingabteilungen häufig versucht, eine möglichst intensive und weitreichende Beziehung zwischen Mensch und Marke zu kreieren. Als Universalrezept gilt dabei stets das Maximum: an Emotionalität, Aufmerksamkeit oder auch an Interaktivität. Aber lassen sich wirklich alle Marken und Produkte derart über einen Kamm scheren?

 

Reine Beziehungssache

Was einen Markenkontakt zu einem gelungenen Markenerlebnis macht, hängt davon ab, welche Rolle eine Produktkategorie im Leben der Menschen spielt Die Beziehung zum Produkt entscheidet darüber, wie sich Kaufentscheidungsprozesse und Produktnutzung ausgestalten und anfühlen. Nicht bei allen Produkten will ein Verwender diese Beziehung intensiviert wissen.

Die Frage nach der Beziehung zwischen Mensch und Marke ist keineswegs neu – aber im digitalen Zeitalter spannender denn je. Häufig wird behauptet, dass unsere Beziehungen zu Marken allesamt interaktiver und dadurch intensiviert wurden. Der Fall ist aber, dass sich die Beziehungsarten kategorie- und segmentspezifisch umso stärker ausdifferenzieren.

Um Produktbeziehungen differenziert zu betrachten, bietet sich als Unterscheidungskriterium das mit einer Kaufentscheidung verbundene Risiko an. Zum Beispiel durch finanzielle oder soziale Risiken bei der Entscheidung etwa für Versicherungen oder Bekleidung. Wichtig ist, dass hierbei die Zuwendung zu einer Produktkategorie eher notgednmgen erfolgt. Demgegenüber können wir uns für Küchenrollen, Feuerzeuge, Eiscreme und Musiksender dank ihrer finanziellen und sozialen Risikofreiheit recht unbeschwert entscheiden.

 

Reine Gechhmacksache

Allerdings sind die Beziehungen, die wir mit Eiscreme und Musiksendern eingehen, ganz anderer Natur, als es bei Küchenrollen und Feuerzeugen der Fall ist. Um diesem Umstand gerecht zu werden, ist eine weitere Unterscheidung notwendig. Zum Beispiel Ratio vs. Emotio (FCB) oder auch negative vs. positive Motivation (Rossiter & Percy).

Auf der Suche nach einem Unterscheidungskriterium, das psychische Gegebenheiten nicht ignoriert, sondern angemessen widerspiegelt und gleichzeitig leicht verständlich ist, gelangt man zum „Belohnungscharakter“. Denn wie sich Entscheidungsprozess und Markenbeziehung ausgestalten, hängt vor allem davon ab, ob eine Produktkategorie einen hohen oder geringen Belohnungscharakter für ihre Verwender besitzt. Hoher Belohnungscharakter zeigt sich bei Eiscreme und Musiksendern genauso wie etwa bei Schuhen und Parfum. Bei diesen Produktkategorien geht es um weit mehr als objektive Produkteigenschaften. Es geht um guten Geschmack. Und über den lässt sich nicht streiten. Der lässt sich nur genießen und/oder vorzeigen.

 

Vier Beziehungsarten

Insgesamt ergeben sich daraus vier Beziehungsarten, die wir als Verwender zu Produktkategorien pflegen: Leidenschaft, Ballast, Routine, Unterhaltung.

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Für jeden Quadranten lassen sich wertvolle Schlussfolgerungen ziehen, die strategische Überlegungen ebenso betreffen wie die Ausgestaltung von Markenauftritten.

Für Produkte vom Beziehungstyp Ballast heißt dies etwa, nicht noch mehr Beschäftigung mit sich einzufordern, als es das hohe Risiko ohnehin schon von den Verwendern abverlangt. Hier wird Entlastung und Vereinfachung zur zentralen Markenaufgabe. Produktnutzung und Markenbeziehung sollten schnell und reibungslos funktionieren. Claims wie „Leben Sie, wir kümmern uns um die Details“ oder „Unbezahlbar. Für alles andere gibt es ….“ zeugen vom Verständnis für diesen Beziehungstyp.

Anders bei Produkten vom Beziehungstyp Leidenschaft wie beispielsweise Schuhe oder Parfum: Hier gilt es, alle erdenklichen Erlebnisse der Markeninteraktion und Produktkonfiguration zu ermöglichen. Denn diese Kaufentscheidungen und Markenbeziehungen stellen für uns als Verwender nicht nur pures Vergnügen, sondern vor allem eine identitätsstiftende Geschmacksfrage dar.

Hingegen macht für Produkte vom Beziehungstyp Routine beispielsweise eine ausufernde und einbeziehende Microsite wenig Sinn. Denn ein Verwender strebt normalerweise keine Beschäftigung mit Küchenrollen und Feuerzeugen an, die über Kaufakt und reine Produktnutzung hinaus geht. Marken in diesem Quadranten sollten ihre Energie darauf konzentrieren, in den kurzen, häufig wiederkehrenden Momenten der Kaufentscheidung top-of-mind zu sein und zu bleiben.

Wiederum anders funktioniert der Beziehungstyp Unterhaltung: Aufgabe dieser Produkte und Marken ist es, unseren Alltag immer wieder zu versüßen. Dafür bringen sie all ihre spontanen Verführungskünste auf. Bei jedem Markenkontakt. Weil wir es von ihnen erwarten. Sie ermöglichen es uns, unseren eigenen Geschmack immer wieder neu auszuprobieren und zu genießen. Das ist es, was Eiscreme und Musiksender gemeinsam haben.

 

Optimum statt Maximum

In Agenturen und Marketingabteilungen möchte man das Maximum für eine Marke. Aus dem Blick gerät dabei leider allzu oft das Optimum für den Verwender. Vollmundige Universalrezepte, die alle Produktkategorien über einen Kamm scheren, werden den unterschiedlichen Beziehungsarten, die wir als Verwender zu Produkten und Marken pflegen, nicht gerecht. Hier lohnt es sich, genauer hinzusehen und die Artenvielfalt im Markenreich anzuerkennen und zu pflegen. Denn nur, wenn sie den Alltag der Menschen wirklich bereichern, sind Marken erfolgreich.

 

 

Foto: „Schöner Wohnen“ | PixelClown | photocase.de

 

 

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