Alle jagen nach Insights, doch wo finden wir sie?

Von Kirill Falkow, Director Strategy, Scholz & Friends Strategy Group, Berlin

 

‚lnsights‘ sind in aller Munde. Genauer: nicht Insights. sondern der Bedarf an solchen. Die Suche nach Insights ist für den Marketing- und Werbe-Entscheider nach wie vor die Gralssuche schlechthin. Weder Web 2.0, noch ‚integrierte Kommunikation‘, noch irgend ein anderes heißes Thema konnte Insights vom Thron der absoluten Begehrlichkeit bei Entscheidern stoßen.

Im Gegenteil: Insights werden immer heißer begehrt. Abteilungen und Aufgaben werden mit neuen Namen betitelt, die unbedingt das Wort ‚Insight‘ enthalten müssen. Marktforscher locken immer mehr Kunden mit Consumer-Insight-Versprechen. Jedes Briefingformular glänzt mit einem Insight-Paragraphen. Und das zurecht, deml ein fundamentaler Insight birgt potentiell mehr Wachstums-Power in sich als zig Marketing-Maßnahmen ohne einen solchen Insight. Ein ganzes Business kann auf einem großen Insight aufgebaut werden. Also, her damit!

Das einzige Problem ist: Warm haben Sie das letzte Mal einen echten ‚game changing insight‘ gehabt? Wie kommt es, dass tausende von Marktforschungsergebnissen und dutzende von Strategieworkshops uns so selten zu einem großen, differenzierenden, Wachstum zündenden Insight führen? Und vor allem – wie können wir die Wahrscheinlichkeit eines großartigen lnsights erhöhen?

Es ist im Grunde ganz einfach: man schlage nach, was das Englische ‚insight‘ ursprünglich bedeutet und man erhält stets so etwas wie: „1. the power or act of seeing into a situation; penetration; 2: the act or result of apprehending the inner nature of things or of seeing intuitively“ (www.Merriam-Webster.com). LEO übersetzt ‚lnsight‘ mit ‚Einblick‘, ‚Einsicht‘, ‚Erkermtnis‘ (www.LEO.org.

 

Ein Insight ist, was er ist: eine EINSICHT

Nun vergleichen wir diese Begriffsbestimmungen mit der Art von Formulierung, die sehr oft in einem typischen Werbe-Briefing unter der Überschrift ‚Insight‘ steht. Eine typische Consumer-Insight-Formulierung könnte so lauten: „Ich lebe gesundheitsbewusst, aber ich stehe oft auch unter Stress und habe zu wenig Zeit, um einzukaufen und ein gesundes Mahl zu kochen. Von einem Bio-Lieferservice erwarte ich daher, dass er nur frische, gesunde Zutaten verwendet und schnell liefert.“ (fiktives Beispiel). Die entscheidende Diskrepanz zwischen einem so formulierten Insight und dem, was eine Einsicht im ursprünglichen Sinne wäre, ist nicht bloß, dass hier einfach ein zurechtgeschnitztes Klischee wiedergegeben wird. Viel grundlegender ist, dass hier gar nicht versucht wird mitzuteilen, welche Einsicht der Verfasser gehabt hatte. Würde der Verfasser ‚Insight‘ als ‚Einsicht‘ verstehen, müsste er uns mitteilen, welche Dinge er nun anders sieht als vor der Erkenntnis. Allen Definitionen von Insight ist nämlich eine Sache gemeinsam: es geht um einen VORGANG IM KOPF DESJENIGEN, DER NACHDENKT ODER FORSCHT! (’seeing‘, ‚apprehending‘, ‚einsehen‘, ‚erkennen‘ etc.).

Es mag zwar konsumentenorientiert klingen, wenn man einen Insight als Konsumenten-Statement aufschreibt, führt aber oft dazu, dass man gar keinen lnsight, sondern eine Zielgruppenbeschreibung samt Produkterwartungen formuliert. Das kann zwar nicht schaden, doch ist es meist schon an anderer Stelle im Briefing beschrieben. Somit ist das nur noch ein Beleg dafür, dass das Produkt zur Zielgruppe passt, weil die Zielgruppe es genauso haben will. Diese Tatsache sollte bei einem Briefing jedoch vorausgesetzt werden und ist somit keine spannende Erkenntnis.

Ich empfehle ein anderes, ursprünglicheres Verständnis von Insight und möchte im Folgenden umreißen, warum dies von Vorteil ist und welche praktischen Implikationen das hat. Dieses lnsight-Verständnis lautet: Ein Insight ist, wenn wir etwas anders sehen, als wir es vorher sahen, …und das auch einen entscheidenden Unterschied für unsere Aktivitäten macht.

Oder kürzer: WENN WIR ‚HEUREKA‘ SCHREIEN, DANN IST ES EIN lNSIGHT. Wenn wir Heureka-Momente statt ’nur‘ Zielgruppenverständnis anstreben, dann werden wir spannendere Insights haben.

Sie werden vielleicht denken: „Zielgruppenverständnis ist doch wichtig. Wie kann man was dagegen haben?“ Es ist in der Tat ganz und gar nichts dagegen einzuwenden. Wir können jedoch durch eine erweiterte Perspektive auf Insights ihre Häufigkeit und Qualität erheblich erhöhen. Drei Effekte der oben formulierten Sichtweise sollen hier aufgezeigt werden:

Effekt 1) Differenzierung im Denken

Die Messlatte hängt viel höher und das ist gut so. Wenn wir ein Heureka-Erlebnis anstreben, geben wir uns von vorne herein nicht mit üblichen Auffassungen zufrieden. Das hat wiederum zur Folge, dass wir schon vorab die Basis für eine starke Differenzierung gegenüber dem Wettbewerb anlegen, denn wir vermeiden somit, dieselben Schlussfolgerungen zu fokussieren, die der Wettbewerb voraussichtlich auch im Auge hat.

Effekt 2) Wahre Konsumentenorientierung

Wenn der Konsument einer Marke begegnet, die einen edlten Heureka-Insight nutzt, ist er überrascht, beeindruckt und vielleicht sogar dankbar. Das passiert, weil Menschen sich denken: „Das hat vorher noch keiner so erkannt. Eine tolle Idee! So einfach, eigentlich …“ Um genau zu sein, ist DAS dann wirkliche und wirksame Kundenorientierung, und nicht das gut gemeinte Konsumenten-Statement in ‚lch·Form‘.

Effekt 3) Breiter Erkenntnis-Horizont

Die möglichen Quellen für einen Insight werden vielfältiger. Das steigert unsere Chancen. Denn es können plötzlich unterschiedlichste Klassen von Sachverhalten sein, die uns zu einer Heureka-Einsicht führen. So rücken plötzlich zusätzlich zu den sehr wichtigen Konsumenten-Einstellungen weitere Quellen ins Blickfeld. Zum Beispiel Einsichten in Kultur, in Kommunikationsmuster, in eigene und fremde Ressourcen und besonders wichtig: Einsichten in das wahre Wesen unserer Problemstellung.

Letzterem Typ von Einsicht sei ein Exkurs gegönnt: Einsichten, die zur Reformulierung unseres Problems führen, sind wirksam, weil sie uns helfen, die richtigen Fragen zu stellen, die richtigen Daten zu sammeln und die richtigen Dinge in Angriff zu nehmen. Ein klassisches Beispiel aus der Wissenschaftsgeschichte verdeutlicht das: Es wird berichtet, dass der Erfinder der Pockenimpfung erst dann seinen Durchbruch hatte, als er sich nicht wie andere Forscher fragte: „Warum bekommen Menschen Pocken?“, sondern „Warum bekommen Milchmädchen, die in Molkereien arbeiten, nie Pocken?“ Er gewann also die Einsicht, dass eine neue Frage erfolgversprechend ist; die neue Antwort kam dann fast wie von allein. Heureka!

 

Wie wir Heureka-Insights praktisch fördern können

Es kann hier nicht um das ganze Instrumentarium der Insight-Förderung in Unternehmen und Agenturen gehen, doch einige Beispiele sollen zeigen, welche Regeln zielführend sein könnten:

Regel 1) Meinungen gerne ändern

Wir achten darauf, ob unsere Denkmodelle und -annahmen im Projektverlauf geändert werden müssen. Und wir tun es gern! Viele Strategen empfinden eine Revision ihrer ersten Einschätzungen als Gesichtsverlust. Dies ist jedoch Insight-hinderlich! Die herbeigeführte Änderung unserer Einschätzungen ist ja der wichtigste Charakterzug von Insights. „Heureka! Jetzt sehe ich das in ganz neuem Licht!“

Regel 2) Konsumenten +

Wir betrachten einen ‚Consumer Insight‘ als nur eine mögliche Ausprägung von Insight im Allgemeinen. Im Briefing sind auch andere lnsights zugelassen. In der Forschung hat das ebenfalls Folgen: genutzt werden neben der Konsumentenforschung auch weitere Quellen für einen Insight: interne Wissensträger, Wettbewerbs-Benchmarks, kulturelle Entwicklungen, Branchen-Konventionen, andere Branchen, externe Experten, etc. Wir machen dabei diese Auswahl der lnsight-Quellen bewusst zu einem Wettbewerbsvorteil, indem wir nach Quellen suchen, die der Wettbewerb wahrscheinlich nicht nutzt.

Regel 3) Andere Satzform für Insights

Wenn wir nach einem Insight Ausschau halten, denken wir ihn uns niemals als ein Konsumentenstatement in Ich-Form. Stattdessen achten wir eher auf Erkenntnisse vom Muster „Man könnte meinen, dass …; doch wir haben die Einsicht gewonnen, dass …“ oder „Es ist nicht XY das hier zählt, sondern Z“. Dabei können wir selbstverständlich weiterhin Konsumentenmotive fokussieren, wir achten nur mehr auf solche Punkte an denen sich unsere eigene Sichtweise darauf ändert und neue spannende Sichtweisen entstehen.

Regel 4) Mut zur Lücke

Wenn wir keinen echten lnsight gewonnen haben, müssen wir auch keinen hinschreiben. Denn wenn sich die Praxis der zurechtgestutzten Insights einschleicht, wird es schwieriger, den Ehrgeiz am Leben zu halten. Manager und Strategen sollten sich gegenseitig mit tollen lnsights inspirieren und dem Nachwuchs ein Vorbild liefern. Dies ist nicht möglich, wenn eine Insight-lnflation einsetzt.

 

Fazit

Es sind viele Insight-förderliche Regeln, Prozesse und Tools denkbar, wenn wir den Ort der Insightgewinnung von Konsumenten- Informationen hin zu unseren eigenen Köpfen verlegen. Heureka! Versuchen Sie es mal!

 

 

Foto: „Segelflug in einer SF34“ | timo074 | photocase.de

 

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