Mehr Mut zur Offensichtlichkeit!

Ich glaube, die Werbung hat ein Verständigungsproblem. Doch an der Lautstärke liegt es nicht. Schließlich ist Werbung multimedialer und omnipräsenter als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit. (Die plakatfreie Stadt Sao Paulo ist da vielleicht die Ausnahme von der viel zitierten Regel).

Von Tim Keil, Philipp und Keuntje, Hamburg

 

Das Problem der Werbung ist eher ein inhaltliches. Ein großer Teil der Werbebotschaften ist mir unverständlich. Das mag vielleicht an mir liegen. Allerdings herrscht auch in meinem Freundeskreis (Nicht-Werber) oft völlige Ratlosigkeit: Was soll diese Werbung? Was will sie mir
sagen? Was soll ich jetzt tun?

Das ist merkwürdig, denn schließlich können wir auf die Hilfe von zahlreichen Fachleuten zurückgreifen. Mit psychologischer Finesse und modernster Technik analysieren sie unser Konsumverhalten. Scannerkassen erfassen unsere Einkäufe, die GfK erfasst unsere Mediennutzung, Marktforscher erfassen mit Hilfe von psychologischen Tiefeninterviews unsere verborgenen Bedürfnisse, Marketingberater erfassen den Kern der Marke und Neurowissenschaftler erfassen mittlerweile sogar, was in unserem Gehirn vor sich geht, wenn wir uns Werbung anschauen.

 

Planners Beitrag zur Unverständlichkeit

Eigentlich müsste Werbung also verständlicher werden. Aber das Gegenteil scheint der Fall zu sein.

Und wir Planner – mich selbst eingeschlossen – tragen unseren Teil zur Unverständlichkeit der Werbung bei. Auch das ist merkwürdig. denn der Job des Planners ist es doch, möglichst schlaue Dinge rauszufinden, um noch bessere Mausefallen für den Konsumenten zu konzipieren.

Also stürzen wir uns mit Begeisterung auf all die Daten in den Excel-Tabellen,Diagrammen und Analysen. Wir wühlen uns durch 200-seitige Berichtsbände auf der Suche nach neuen ‚Need States‘ und unentdeckten lnsights. Und schließlich nehmen wird das Kernbedürfnis und laddern den Benefit soweit ins Abstrakte, dass man für die Maslowsche Bedürfnispyramide eigentlich noch eine neue Transzendenz-Kategorie erfinden müsste.

 

Was Planning braucht

Genau das scheint mir des Pudels Kern zu sein. Werbung und manchmal leider auch Planning ist heute oftmals zu theoretisch. Das erinnert mich manchmal an den Mathematikunterricht in der Schule. Auf dem Papier mag die dritte Ableitung des eigentlichen Basisbenefits logisch erscheinen, aber mit der Realität hat das nichts mehr zu tun.

Was Planning heute wieder braucht, ist mehr Mut zur Offensichtlichkeit. lnsights, die man nicht in Statistiken findet, sondern im echten Leben. Insights, die wahr sind, auch wenn sie nicht mit Daten bewiesen werden können. Doch scheinbar scheuen wir uns oftmals das Offensichtliche anzunehmen. Wahrscheinlich weil es banal erscheint. Dabei gibt es einen Unterschied zwischen dem offensichtlichen lnsight und einer langweiligen auf der Hand liegenden Umsetzung.

Die aktuelle Snickers-Kampagne ist ein gutes Beispie. Der simple Insight, auf dem die Kampagne aufbaut, ist an Offensichtlichkeit kaum zu übertreffen: „Du bist nicht du, wenn du hungrig bist.“ Eine banale Erkenntnis, die jeder schon mal erlebt hat. Aber die Umsetzung ist keineswegs langweilig, sondern clever humorvoll.

Der hungrige Mitfahrer nervt seine Kumpels mit launischen Kommentaren und führt sich auf wie die sprichwörtliche Diva. (Wahrscheinlich hätte es nicht mal Aretha FrankIin als eye-catchenden Promi gebraucht). Erst mit einem herzhaften Biss ins Snickers kommt er wieder zu sich. Genau diese Art von Offensichtlichkeit, gepaart mit einer kreativen Umsetzungsidee ist es, was Werbung heute braucht, um wieder Relevanz zu erzeugen.

 

Offensichtliche Insights versus Mafo

Das Schöne an solchen offensichtlichen lnsights ist, dass man sie nur selten in der Marktforschung findet. Und wenn doch, dann häufig nur in der Einleitung, denn sie erscheinen so banal, dass sie die teure Analyse kaum rechtfertigen. Aber in Zeiten von massenhaft verfügbaren Daten und Studien ist der offensichtliche Insight ein echter Wettbewerbsvorteil. Denn wenn alle die gleiche Marktforschung nutzen, unterscheiden sich die Ideen meist nur minimal.

 

Der Insight braucht Erfahrung und Mut

Aber auch das Offensichtliche zu entdecken ist nicht einfach. Denn um den offensichtlichen Insight zu finden, muss man auf sein Bauchgefühl vertrauen. Das erfordert Erfahrung und manchmal auch ein bisschen Mut.

Leider verkümmert unser Bauchgefühl in Büros und Meetingräumen. Wer das Offensichtliche sucht, muss sich das echte Leben anschauen (Dokusoaps im Fernsehen zählen übrigens nicht dazu!). Das klingt nach großem Aufwand, spart aber in Wirklichkeit Zeit. Denn das echte Leben hat immer echte Relevanz. Ein offensichtlicher Insight muss deswegen auch nicht mehr durch mehrwöchige Tests auf seine Relevanz geprüft werden.

Doch der ganz entscheidende Vorteil des Offensichtlichen ist ein anderer. Um es in Anlehnung an John Hegarty (BBH) zu sagen: „Das Offensichtliche ist die beste Strategie überhaupt. Denn man kann das Offensichtliche nicht abstreiten!“

 

 

Foto: “Thriller” | steffne | photocase.de

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