Hypedämmerung

Ein Plädoyer für mehr markenstrategische Vernunft im Umgang mit sozialen Netzwerken: „If marketers don’t get better, they will fail to capture the value of social media marketing.“

Von Sven Grammes, Junior Digital Strategist, Syzygy Hamburg

 

Lange Zeit herrschte in Deutschland ein regelrechter Hype um Social Media; allen voran Facebook: Mit über 750 Mio. Mitgliedern weltweit und mehr als 20 Mio. in Deutschland ist das kommerzielle Potential für Unternehmen unbestritten gewaltig. Mit dem Männennagazin FHM und dem schwedischen Ableger der Werbeagentur Grey gibt es zwei extreme Beispiele, die ihre Website komplett aufgegeben haben und ihre digitale Markenpräsenz auf Facebook bzw. in Social Media verlagert haben.

Aber auch abseits dieser radikalen Beispiele ist Social Media zweifellos nicht nur im Kommunikationsalltag der Menschen angekommen, sondern zunehmend auch in den Marketingabteilungen der Unternehmen. Die Frage ist also nicht mehr, ob, sondern wie: Wie wird eine Facebook-Präsenz „richtig gemacht“?

ln der aktuellen Diskussion stehen dabei zumeist zwei Dimensionen im Vordergrund: die inhaltliche und die operative. Die inhaltliche Diskussion dreht sich seit langem darum, wie wichtig es ist, die Spielregeln sozialer Medien zu verstehen, Dialog- und Kritikfähigkeit zu lernen und die Tonalität der offenen Kundenkommunikation in sozialen Medien anzupassen. Abschreckende Beispiele von Nestle bis Deutsche Bahn gibt es genug und lassen noch immer viele Unternehmen der Öffnung für den Dialog skeptisch gegenüberstehen.

Immer starker rückt zudem die operative Dimension in den Fokus. Wie optimiere ich den Facebook-Auftritt? WIEOFT (5-7 mal in der Woche) muss ich WANN (mittwochs um 15h) WAS posten (Bilder und kurze Texte)?

Auffällig ist, dass bereits das Facebook-Dasein schon als ein Wert an sich angesehen wird. Das Ziel ist es, möglichst schnell eine hohe Anzahl an Fans zu generieren verbunden mit der unterschwelligen Hoffnung, dadurch als Marke moderner, offener und innovativer wahrgenommen zu werden. In Ermangelung einer ganzheitlichen Kommunikationsstrategie und klarer KPIs steht daher allzu oft die Messung von ‚Fans‘ und ‚likes‘ im Zentrum. Daran wird deutlich, dass ein dritter Aspekt in der aktuellen Diskussion fast vollständig vernachlässigt wird: die markenstrategische Dimension. Welche Rolle und Funktion nimmt das Social Media Engagement im Rahmen der gesamten Markenkommunikation ein? Welchen Effekt kalU1 bspw. eine Facebook-Präsenz auf die Markenwahrnehmung haben? Es ist also höchste Zeit, die markenstrategische Diskussion über Funktion und Rolle eines Engagements in sozialen Netzwerken zu führen. Und da kommt Google+ gerade recht..

 

There’s a new kid in town

Kaum startet der Internetgigant Google seine soziale Plattform Google+, schon verdrängt er Facebook aus dem Scheinwerferlicht des (digitalen) Interesses. Kein anderes soziales Netzwerk hat sich in solcher Geschwindigkeit vergrößert: während Facebook 852 und Twitter 780 Tage benötigte, um 10 Millionen Nutzer zu erreichen, gelang dies Google+ innerhalb von 16 Tagen. Natürlich ist die immense Startgeschwindigkeit keine Garantie für langfristigen Erfolg. Doch erste Stimmen beginnen den Abgesang auf Zuckerbergs Netzwerk. Sie zitieren Statistiken von InsideFacebook, wonach Facebook in den USA (und Kanada) erstmals Nutzer verliert und verweisen auf einen Dokumentarfilm (von 2010) über den sozialen Sinn von Facebook, der resümiert: „Für Trendsetter verliert Facebook an Reiz.“

Wird also Google+ Facebook ablösen? Müssen sich Marken entscheiden, wo sie Präsenz zeigen möchten? – Nein, es deutet alles darauf hin, dass das Social Web mittlerweile Platz genug für zwei soziale Netzwerke hat. Es bleibt zu beobachten, welche Entwicklung Google+ nimmt, aber vermutlich werden sich Nutzungsverhalten und Tonalität in beiden Netzwerken unterscheiden.

Es geht keineswegs darum, die Sinnhaftigkeit einer Präsenz auf Facebook oder in anderen sozialen Medien generell infrage zu stellen. Die großen Chancen und Vorteile, die ein Facebook-Engagement Marken bietet (die immense Reichweite, die hohe Interaktionsrate bis hin zu Social- und F-Commerce) haben weiterhin Bestand. Aber der Erfolg von Google+ hat etwas von der Verblendung um den Erfolg von Facebook genommen und sorgt für eine wohltuende Normalisierung im Umgang mit sozialen Netzwerken. Statt heißer Hype-Luft kilim jetzt eine nüchterne Betrachtung beginnen, welche markenstrategische Funktion soziale Medien erfüllen sollen und können. Welche Rolle können Facebook, Google+ oder auch andere Plattformen für meine Marke spielen? Was möchte ich mit dem Engagement erreichen? Und wie integriere ich eine Social Media Präsenz in den Mix all meiner Kommunikationskanäle?

 

Die Nüchternheit nach dem Hype als Chance

Mit diesem nüchternem Blick zeigt sich beispielsweise, dass eine Vernachlässigung der eigenen Marken-Website zugunsten der Facebook-Präsenz ein großer markenstrategischer Fehler ist. Nicht nur machen teilweise rückläufige Mitgliederzahlen die selbstbewusstere Nutzung sozialer Netzwerke (zunehmendes ‚Entliken‘ von Fanpages u.ä.) deutlich, dass selbst Facebook kein Selbstläufer ist. Auch die beengten visuellen (und inhaltlichen) Gestaltungsmöglichkeiten für Marken auf Facebook sind wichtige Argumente dafür, die Bedeutung der Markenwebsite als ‚Owned Media‘ nicht zu unterschätzen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der datenschutzrechtlichen Kritik an Facebook durch das ULD wird deutlich wie bedeutend es für Marken ist, eine Präsenz zu haben, die unabhängig ist von Geschäftsmodellen anderer Unternehmen (hier Facebook).

Umso wichtiger wird die Frage, wie das Zusammenspiel zwischen Brand-Website und dem Engagement in sozialen Netzwerken aussehen kann. Für Google+ ist es zu früh, Aussagen zu treffen. Doch zum Zusammenspiel von Facebook-Fanpage und Brand-Website lassen sich schon jetzt Szenarien definieren, die für eine kommunikationsstrategische Planung richtungsweisend sind:

Szenario 1: Parallelität. Die Facebook-Fanpage als zweite Brand-Website, d.h. eine weitere digitale Präsenz der Marke. Eine Visitenkarte der Marke im Social Web mit dem vornehm lichen Zweck, Prasenz in einem immer relevanter werdenden Medium zu zeigen, eventuell neue Zielgruppen zu erreichen, um in der Regel die Nutzer letztlich auf die Website zu überführen (auch dialogorientierte Strategien können parallele Präsenzen sein).

Szenario 2: Komplementarität. Die Facebook-Fanpage in der Funktion einer Microsite, d.h. ein eigenständiger, exklusiver Auftritt. Er zeichnet sich durch größere Experimentierfreude und mehr Content als eine parallele Präsenz aus und ist gekennzeiclmet durch einen stärkeren Kampagnencharakter. Ziele einer komplementären Präsenz sind u.a, ‚listen & learn‘, Loyalisierung durch Dialog und Aktivierung ‚viralen Potentials‘.

Diese kurze Skizzierung zweier denkbarer Szenarien verdeutlicht, dass die Entscheidung für eine (parallele oder komplementäre) Facebook-Strategie in Abhängigkeit von unternehmerischen Zielen und der Markenpositionierung festgelegt werden muss. Nicht für alle Marken ist es passend, sich per Gewinnspielarie auf Fan-Jagd zu begeben oder als Brand von nebenan zu präsentieren. Für Marken, deren Werteschwerpunkt starker traditionell/konservativ ist, kann beispielsweise eine intensivere ‚komplementäre‘ Facebook-Strategie sogar zur Gefahr werden, weil die Markenpassung leidet und der Facebook-Auftritt als unglaubwürdig für die Marke empfunden wird.

 

Fazit

Google+ wird sich voraussichtlich schnell als relevantes Social Network neben Facebook etablieren. Bereits der fulminante Start von Google+ trägt dazu bei, den Facebook-Hype zu dämpfen. Zeit für eine nüchternere Betrachtung der kommunikations- und markenstrategischen Funktion von Facebook und Social Media Plattformen im Allgemeinen, Insbesondere gilt es, das Zusammenspiel mit ‚Owned Media‘ wie der Brand Website stärker strategisch zu planen. Bei allem kommunikativen Potential, das Facebook, Google+ und Co Marken bieten – sie sollten sinnvolle Ergänzung, nicht überstrahlendes‘ Zentrum der Kommunikation sein. Oder wie es die Unternehmensberatung Bowen Craggs formuliert hat: „Sites will become suns with a set of satellites.“

 

 

Foto: „erloschene Flammen“ | Madrabothair | photocase.de

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