Die Rückkehr des Verbrauchers – Das Testimonial im Kontext seiner Zeit

Von Dirk Nitschke, Head of Brand Consulting, Meta Design

 

Gibt es einen Himmel, in dem die Werbeikonen der Vergangenheit ihren Ruhestand genießen? Schwärmt die burschikose Klementine vom Ariel-Waschmaschinendienst, deren Botschaft „Nicht nur sauber, sondern rein“ von 1968 bis 1984 an das Gewissen deutscher Hausfrauen appellierte, vom Weißer-als-Weiß der Schäfchenwolken? Findet Frau Sommer, die bis 1985 ihren Nachbarinnen zwischen Kaffeeregalen auflauerte, um ihnen das ganze Aroma von Jacobs Krönung näherzubringen, ihr Paradies heute anderswo? Und badet Tilly, die schon Jahre vor Germany‘s Next Topmodel Spülhände zu verhindern wusste, endlich in ganzen Seen von Palmolive? Der verschmitzte Melitta-Mann mag noch immer über die unsterblichen Filtertüten philosophieren und der Persil-da-weiß-man-was-man-hat-Botschafter von der Wäschespinne predigen. Wir wissen es nicht.

Die Zeit der unter Exklusivvertrag stehenden Werbeikonen, die zum Teil über 20 Jahre lang im Dienst ihrer Marken standen, scheint allerdings vorbei zu sein. Groß geworden in einer Ära, die das Fernsehen zum heimischen Lagerfeuer machte, hatten sie im Werbefernsehen der sechziger und siebziger Jahre einen Großauftrag zu erfüllen: bei den Verbrauchern um Vertrauen zu werben und die Errungenschaften der Wirtschaftswunderjahre zu repräsentieren. In einer Zeit, als unter Markenführung repetitive Botschaften, plakative Key Visuals und langfristiger Medieneinsatz verstanden wurde, schauten sie aus dem öffentlich-rechtlichen Werbefenster in die Wohnzimmer und wurden ähnlich vertraute Hausbesucher wie die ZDF-Mainzelmännchen oder die ARD-Lottofee. Mit HB-Männchen, schlauen Füchsen und Weißen Riesen zog die Armee der guten Botschafter durch die heile Parallelwelt der Werbung. Das Kommunikationsverständnis dahinter – die Marke als dominante und sendungsbewusste Autorität: Wie wird man eine gute Hausfrau, eine noch bessere Mutter, Ehefrau, Nachbarin oder Freundin?

 

Prominente als Markencharaktere

Mit der Einführung des Privatfernsehens 1984 veränderte sich die Medienlandschaft. Die Aufmerksamkeit des Zuschauers wurde zur Währung, sein Verhalten zwischen Zappen, Switchen und geistigem Abschalten zum Kopfzerbrechen der Kommunikationsverantwortlichen. Als wirtschaftlich relevantes Rad im medialen Getriebe beschleunigte die Messung von Sendungen und Werbeblöcken das Verfallsdatum von Sende- und Werbeformaten. Der wachsende Aufmerksamkeitsdruck machte schließlich eine neue Strategie populär: Anstatt Werbefiguren langfristig aufzubauen, wurden Prominente als Markenprotagonisten entdeckt. Menschen, die im Dauereinsatz des Fernsehens immer prominenter und über sämtliche Kanäle hinweg eingesetzt wurden, tauchten auch in Werbespots auf, was ihre Prominenz vervielfachte und immer wieder untermauerte.

So fanden Johannes B. Kerner, Verona Pooth, Heidi Klum oder Thomas Gottschalk eine zweite Heimat im Werbeblock. Marke und Markenbotschafter profitierten gegenseitig, auch wenn die Einmaligkeit der Werbefigur durch Austauschbarkeit abgelöst wurde: Pooth verhaspelte sich für Spinat, Telekommunikation und Mode. Klum diente McDonald‘s, VW und Otto als Supermodel. Umgekehrt hielten Unternehmen auch keine Treue – Media Markt schickt einen populären Comedian nach dem nächsten an die Verkaufsfront. Dem Unterhaltungswert der eingekauften Prominenz stand hier und da der Verlust an Glaubwürdigkeit entgegen. Wer glaubte noch, dass Pooth ihre Galagarderobebei KiK kauft?

 

Zurück zum Verbraucher

Aktuell konzentrieren sich die Unternehmen auf eine Testimonialmechanik, die als die älteste der Branche gilt: Der Verbraucher kehrt in den Werbeblock zurück. Hatten ihm die Werbetexter früher wahre Lobeshymnen über die Verwendung eines Produkts oder die Nutzung einer Dienstleistung in den Mund gelegt, kommt er jetzt in vermeintlich authentischer Inszenierung zu Wort – fern von jeglichem Verdacht, yoghurettengleiche Statements auswendig gelernt zu haben. Im Hintergrund kämpfen die Unternehmen um das Vertrauen ihrer Kunden oder potenziellen Kunden. Nachhaltigkeit, Verantwortung und Glaubwürdigkeit sind die Schlagworte, mit denen sie sich ausrüsten, um auf die wachsende Nachfrage des Marktes nach ehrlichen und transparenten Institutionen zu reagieren.

Dank Verbrauchermobilisierung, Bewertungsblogs und Protestbewegungen im Netz ist das Selbstbewusstsein der Konsumenten gestiegen. Sie sind wieder wer und fragen nach Leistungen, die sie in den Mittelpunkt stellen, nach Services, die ihr Leben wirklich bereichern. Jetzt stellt sich die Marke wieder in den Dienst des Kunden. Die Fragestellung gegenüber den Zielgruppen heißt nicht mehr+ „Wie kann ich mein Produkt verkaufen und meine Marke attraktiv darstellen?“, sondern „Was kann meine Marke für einen Service oder eine Leistung anbieten, die das Leben der Konsumenten tatsächlich bereichern?“

Entsprechend agiert der Kundendarsteller an der Front. Als Testimonial darf er heute selbstbewusst, aufgeklärt und anspruchsvoll sein und eine Macht demonstrieren, mit der er Forderungen stellt. Niemand setzt sich also ungefragt für die ERGO-Versicherung ein, sondern fordert, dass sich die Versicherung für die Menschen einsetzen soll. Auch die Commerzbank hat diese Mechanik entdeckt und verspricht den Service, der sich um den Kunden schmiegt und seinen Monologen zuhört. Und selbst im „Teststudio“ wird nicht einfach für den neuen Bionade-Geschmack geschwärmt, sondern kritisch bis kurios oder kichernd Stellung bezogen. Um die kommunikative Wertschöpfung zu erweitern, entstehen parallel interaktive Plattformen, auf denen dann „der wahre Kunde“ seine Meinung äußern darf. Spätestens hier wird deutlich: Nicht jedes Statement ist massentauglich, nicht jede Kritik vervielfachungswürdig und nicht jeder Verbraucher so clever, wie ihm im Werbespot versprochen wurde.

 

Von Mensch zu Mensch

Eine weitere Hochkonjunktur als Botschafter für Glaubwürdigkeit erleben die Mitarbeiter. Wo die Manager von Unternehmen ihre Handlungen immer schwieriger vermitteln können oder sich öffentlich rechtfertigen müssen, werfen sich jene in den Schützengraben, die seit Jahren die Qualität für Produkte und Dienstleistungen verantworten. Unternehmen nutzen die Vertrauenswürdigkeit ihrer angestellten Kompetenzträger in der Kommunikation, um wieder Nahbarkeit, Bodenständigkeit und Leidenschaft zu demonstrieren. Wenn sich Produkte oder Angebote im Markt annähern, sollen wenigstens die Mitarbeiter für Differenzierung sorgen und zeigen, wie begeistert sie im Einsatz sind. Mit dem Claim „Das Beste oder nichts“ ließ Mercedes-Benz die Haltung des Unternehmensgründers Gottlieb Daimler auferstehen und machte Mitarbeiter aus Technik, Produktion und Entwicklung zu deren Sprachrohr. Auch Toyota, McDonald‘s oder OBI stellten authentische Mitarbeiter auf, um Sympathiepunkte zu sammeln. Je origineller und plakativer die Kommunikation ausfällt, umso mehr gelingt es, Aufmerksamkeit und Wiedererkennbarkeit zu schaffen.

 

Charakterstärke beweisen

Wenn Menschen ins Spiel kommen, bedient sich Kommunikation heute eines breiten Spektrums an Ausdrucksformen. Eigene Charaktere, Prominente, Verbraucher oder Mitarbeiter werden Teil der Kommunikationsstrategie, in denen Antizipieren und Partizipieren neue Schlagworte sind. Wenn allerdings eine Markenkommunikation nur die nächste kopiert oder lediglich dem Trend entsprechen will, ist Differenzierung nur bedingt gegeben. Die Prominenz einer Person zu nutzen, ohne eine originelle Inszenierung zu bieten, bleibt einfallslos. Das Versprechen der bedingungslosen Ausrichtung an Konsumentenbedürfnissen nicht im Vertrieb zu halten, karikiert die Kommunikationsbotschaft und disqualifiziert in Sachen Glaubwürdigkeit. Und findet die behauptete Leidenschaft von Mitarbeitern keine Entsprechung im Unternehmen, stolpern Kunden über Wahn und Wirklichkeit. Die Fortsetzung des Werbeblocks findet also im Unternehmen selbst und in der realen Auseinandersetzung mit Kunden oder Mitarbeitern statt. Eigentlich fängt die Kommunikation dann erst an.

 

 

Foto: “Oh erwischt” | patklik | photocase.de

 

comments powered by Disqus