Get up and do something!

Von Magnus Hoeltke, Ogilvy Frankfurt

 

Das Gefühl überkommt uns nicht nur in Meetings, es ist mittlerweile auch ein schleichendes Problem der Gesellschaft, Politik und Institutionen: Es wird viel geredet und wenig getan. Auch wir Planner sind davon betroffen, besteht unsere Aufgabe doch hauptsächlich darin, unberührbare Objekte – nämlich Gedankenkonstrukte – zu schaffen, die höchstens noch irgendwo auf Papier niedergeschrieben und skizziert werden, bevor sie in den Äther bzw. zum Kunden geschickt werden. Und in der gesamten Kommunikationsbranche wird diese Tendenz durch die Digitalisierung, die die komplette Wertschöpfung in den virtuellen Raum verlagert, noch verstärkt.

Dennoch muss an Handfestem, dem Selbstgeschaffenen etwas dran sein – nicht umsonst erfährt Do-it-yourself als hochstilisiertes Symbol des Schaffungsprozesses (Grüße an die Hornbach-Kollegen) gerade jetzt eine neue Blütezeit, nachdem es jahrelang als popelige Provinzarbeit abgestempelt wurde. Aber warum müssen wir überhaupt etwas machen? Warum sollten wir sprichwörtlich einen Baum pflanzen und ein Haus bauen? Schwerlich nimmt diese Art von Arbeit für viele in unserer heutigen Wissens- und Informationsgesellschaft noch den gleichen Stellenwert ein wie früher.

Und doch rühmen gerade wir Strategen uns oft damit, die Dinge richtig anzupacken – indem wir Themen vollkommen durchdringen, tiefer bohren oder den Menschenversteher spielen. Dass man sich dabei leicht selbst verlieren kann, haben wir wohl schon alle einmal erlebt. Und meist kommen wir aus diesem Zustand nur wieder heraus, indem wir die Erdung in die echte Welt durch Dinge wiederherstellen, die so rein gar nichts mit Werbung zu tun haben. Deshalb im Folgenden vier Gründe, wieso persönliche Projekte einen besseren Planner aus uns machen.

 

1. Begeisterung kommt von begeisternden Menschen.

Egal, wie wir unseren eigenen Raison d‘Être als Planner definieren, ob es das Schreiben von Sprungbrettern, die Leitung von Markenworkshops oder ein Kundenbriefing ist, das es aufzubereiten gilt: Im Endeffekt müssen wir einen Prozess starten. Dieser Prozess heißt, Menschen, und in unserem Fall sind diese Menschen Kreative, für ein Projekt zu begeistern. Idealerweise sind diese Menschen nach der Erfüllung unserer Aufgabe in so hohem Maße von ihrer eigenen begeistert, dass sie anfangen, wirklich darüber nachzudenken und mit ebenso großer Begeisterung zu lösen. Und wenn ich an begeisternde Menschen denke, fallen mir vor allem Selbermacher wie Steve Jobs oder Christoph Schlingensief ein, die sich einer Vision, Projekten und Leidenschaften, also mehr als nur der Theorie verschrieben haben.

 

 

2. Charles Hughes: „To a hammer everything looks like a nail.“ (1)

Charles Hughes‘ Ansicht über die Arbeitsweise von Agenturen spielt auf die innengerichtete und gelernte Denkweise unserer Branche an. Und in der Tat treiben sich viele von uns oft auf Werbeblogs und Branchenseiten herum, um sich so gut wie möglich auf dem neuesten Stand der Werbewelt zu halten. Dazu kommt das Social Web mit seinen immer gleichen Empfehlungsschleifen, das uns einlädt, sich ausschließlich mit branchennahen Inhalten zu beschäftigen. Mark Pollard bringt jedoch zu Recht ein: „Laterales, kreatives Denken benötigt viele verschiedene Fähigkeiten und Stimuli.“(2) Wenn wir also den Pool unserer Erfahrungen und Erlebnisse mit eigenen Projekten vergrößern, haben wir im Umkehrschluss auch einen weiteren und damit durchaus spannenderen Blickwinkel auf die Dinge, die tagtäglich auf unserem Tisch landen. Agenturen wie Droga5 fangen an, das aktiv umzusetzen, indem sie sich Mitarbeiter suchen, die Erfahrungen speziell außerhalb der Werbung (z. B. im Theater) gesammelt haben. So können sie ihre Fähigkeiten innerhalb des Schaffensprozesses auf ihre ganz eigene Art einbringen (und widerlegen Charles Hughes regelmäßig durch ihre Arbeiten (3)).

 

3. Innovationen entstehen nicht in Schubladen.

Strikt getrennte Agenturabteilungen, in denen die eine Seite Ideen entwickelt und die andere sie verkauft, wird es in Zukunft voraussichtlich (hoffentlich) nicht mehr geben. Projekte werden erfordern, dass Menschen mit den verschiedensten Skillsets – die auch in persönlichen Projekten geschärft werden – diese in Kombination antreiben, um etwas gänzlich Neues und Innovatives zu schaffen. Bei Digitalprojekten merken wir schon heute, dass es nicht reicht, die studierten Marketingexperten X & Y über die Lösung grübeln zu lassen, sondern dass es sinnvoll ist, zum Beispiel Informationsarchitekten, Anwendungsentwickler, Planner und Regisseure kombiniert zu Tisch zu bitten.

 

4. Persönliche und professionelle Projekte ergänzen einander.

Schließlich können persönliche Projekte unsere professionelle Arbeit durch den Wissenszuwachs komplementär ergänzen. Russell Davies (4) experimentiert zum Beispiel mit Arduino – einer Open-Source-Electronic-Prototyping-Plattform, die auf flexibler und einfach zu bedienender Hard- und Software basiert (5). Mit diversen Bau-Sets können Arduino-basierte Objekte die Umwelt mit Licht(sensoren), Motoren und anderen Elementen beeinflussen, Informationen aus ihrer Umgebung und dem Web aufnehmen und direktes Feedback geben. So kann zum Beispiel eine Puppe gebaut werden, die die Hand hebt, wenn ein bestimmtes Wort auf Twitter erwähnt wird. Mit Arduino beschäftigt sich Russell Davies mit einem für unsere Branche hochaktuellen Thema, denn alle analogen Geräte werden mittelfristig digital; und das stellt eine Entwicklung dar, die auch das Umfeld von Marken direkt beeinflussen wird.

 

Und wie fange ich jetzt an?

Viele in unserer Branche werden erst mal über ein allseits bekanntes Problem stolpern: Zeitknappheit. Allerdings ist Zeit glücklicherweise ein sehr dehnbares und subjektiv erlebtes Konzept. Ji Lee, Erfinder von thebubbleproject.com, meint jedenfalls, dass wenn wir wirklich Spaß an einem Projekt haben und es realisieren wollen, wir überall Zeit dafür finden.(6)

Und Matt Cutts hält es ganz simpel: Er schlägt vor, für die jeweils nächsten 30 Tage etwas Neues zu tun (7) – einfach mal Dinge anpacken und ausprobieren, die man schon immer tun wollte, aber bis jetzt nicht getan hat. Warum nicht aus den nächsten 30 Tagen 30 besondere Tage machen, die im eigenen Leben nachhaltig etwas bewirken oder ändern? Ich habe mir letzte Woche ein Arduino-Board gekauft und werde anfangen, damit zu experimentieren. Und wenn das in die Hose geht oder nichts für mich ist, suche ich mir eben etwas Neues.

 

(1) Charles Hughes, The Clarks Company
(2) Frei übersetzt aus http://www.markpollard.net/why-strategists-should-make-stuff/
(3) Zum Beispiel mit der Kampagne für Bing: Jay-Z – Decoded
(4) http://www.russelldavies.com
(5) http://arduino.cc
(6) http://the99percent.com/videos/6231/Ji-Lee-The-Transformative-Power-of-Personal-Projects
(7) http://www.ted.com/talks/lang/eng/matt_cutts_try_something_new_for_30_days.html

 

 

Foto: „[HAL] Streber | cydonna | photocase.de

 

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