Quo vaditis, Planning & Werbeagentur?

Eigentlich können die Strategischen Planer in Deutschland zufrieden sein, ihre Disziplin hat sich prächtig entwickelt, ist fest in der Werbebranche verankert und das Vordringen Strategischer Planer in die Führungsetage großer Agenturen ist im Jahr 2011 zur Normalität geworden.

Von Florian Botzenhardt und Prof. Dr. Jens Uwe Pätzmann, Hochschule Neu-Ulm

 

Und doch wird auch die Strategische Planung von einem allgemeinen Verunsicherungszustand beeinflusst, der sowohl die Werbebranche selbst als auch die Marketer in den Unternehmen seit geraumer Zeit beschäftigt. Nicht erst seit den provokanten-öffentlichkeitswirksam vorgetragenen Thesen von Amir Kassaei, seines Zeichens Top-Kreativer und Enfant terrible von DDB, ist überall spürbar, dass sich Marketing, Kommunikation und Werbung verändern.

Die Gründe hierfür sind bekannt und bereits ausgiebig diskutiert worden: Das Internet und sein kaum zu unterschätzender Einfluss auf unser aller Mediennutzungsverhalten, was nicht zuletzt in einer zunehmenden Mobilität beim Informationskonsum gipfelt, sowie übersättigte Märkte, die die Konsumenten mit Myriaden von Produkten, Marken und Werbebotschaften in die Ecke treiben.

 

Wolken am Horizont

Hierbei wird oft postuliert, dass die werbungstreibenden Unternehmen nicht dazu in der Lage seien, auf die genannten Entwicklungen angemessen zu reagieren. Das mag zutreffen, doch wenn es eine Unternehmensgattung gibt, die davon noch unvorbereiteter getroffen wurde, sind das die Werbeagenturen selbst – und hier insbesonders die klassischen Full-Service-Häuser. Was letztendlich dazu führt, dass orientierungslose Kunden im schlechten Fall von ebenso orientierungslosen Dienstleistern unterstützt werden.

Dabei ist weder die digitale Revolution noch die gegenwärtige Marktsituation so schnell über uns gekommen, dass man nicht hätte reagieren können. Doch viele alteingesessene Agenturen sind zufrieden und unbeweglich geworden. Zu schön und bestädnig flossen schließlich lange Jahre die Mediaprovisionen, selbst wenn schon in den frühen 2000er-Jahren die Erinnerung an die guten alten Zeiten die Runde machten. Leider hat das offensichtlich nur in den seltensten Fällen ein Umdenken bewirkt.

Und so kommt es, wie es kommen muss: Unzufriedene Marketer treffen auf Werbeagenturen, die durch unflexible Strukturen und Prozesse einen enormen Wasserbauch an Kosten angehäuft haben und zudem nach wie vor auf die Produktion klassischer Werbung ausgerichtet sind. Infolgedessen breiten sich Digital-Agenturen auch in klassische Kommunikation aus. Hotshops, Strategiedienstleister und Verbände aus Freelancern sind plötzlich eine ernsthafte Konkurrenz, und zu allem Überfluss haben auch noch die traditionellen Unternehmensberater erkannt, dass in der Marketing-Beratung Potenzial steckt.

 

Authentisch bis zum Boden des Joghurtbechers

Ganz offensichtlich kann es so nicht weitergehen. Schließlich ist nicht davon auszugehen, dass sich die Rahmenbedingungen wieder in die Richtung des unmündigen Verbrauchers und der 60-Sekunden-TV-Spots zurückentwickeln werden. Im Gegenteil, es ist mutmaßlich nur eine Frage der Zeit, bis die Menschen sich nicht mehr mit Activia-Kommunikation einwickeln lassen, sondern herausfinden, dass man mit modernen Kommunikationsmitteln nicht nur Diktatoren in den Ruhestand schicken, sondern auch Weltkonzerne ins Wanken bringen kann. Noch ist der Blick hinter die Kulissen der Kommunikation einer eher technologienahen Zielgruppe vorbehalten, dich dies wird sich serh wahrscheinlich – App sei Dank – in absehbarer Zukunft mehr und mehr verändern.

Gefragt ist also in der Zukunft echte, ehrliche Kommunikation, medienneutral und authentisch bis auf den Boden des Joghurtbechers. Allerdings setzt das nicht nur die Bereitschaft dazu seitens der Unternehmen voraus, sondern auch ein tiefgehendes Markenverständnis auf der Seite der Werbeagenturen, wodurch den Strategischen Planern eine Schlüsselrolle zukommt. Auch wenn gerne und insbesondere in ADC-Kreisen behauptet wird, dass ein exzellenter Kreativer einfach so gute Kommunikation produziert. Sicher, Branchengrößen wie die Jungs und von Matts, die Kempers und die Trautmanns mögen schon per se ein derartige großes Markenverständnis besitzen, dass die Leistungen der Strategischen Planung im besten Fall überflüssig sind. Allerdings mag die Realität für die 135.478 Beschäftigten der Werbebranche anders aussehen, zumal Werbung und Kommunikation oft nur einen Baustein in einem komplexen Marketing-Problem darstellen.

 

Planning als Schlüssel zur Weiterentwicklung

Ganzheitliche Lösungen dagegen setzen ein umfassendes Verständnis für Marken, Märkte und Zielgruppen voraus, eventuell gewürzt mit einer Prise Verständnis für die internen Herausforderungen von Unternehmen. Diese Fähigkeiten sind innerhalb der meisten Werbeagenturen am ehesten bei der Strategischen Planung zu finden, auch wenn nicht verschwiegen werden soll, dass dies je nach Agentur mal mehr, mal weniger zutreffen kann. Es scheint also ganz so, als läge ein Schlüssel für eine erfolgreiche Weiterentwicklung der Werbeagenturen in der Strategischen Planung verborgen.

Mit dieser Hypothese im Blick wurden im Dezember 2010 die Mitglieder der APG in einer insbesondere für die Teilnehmer anstrengenden, weil umfassenden Studie zu ihren Ansichten und dem Status quo ihrer Arbeit befragt. Dabei hat sich insbesondere gezeigt, dass die kampagnenunabhängige Beratung in der Markenführung bereits heute für nahezu alle Befragten von besonderer Wichtigkeit und die berufliche Realität ist. Was allerdings nicht immer zwingend bedeutet, dass alle diese Leistungen auch wirklich bewusst vom Kunden bezahlt werden, sondern auch einfach als Inklusivleistung wahrgenommen werden kann. Allein diese Erkenntnis zeigt, dass manch eine Agentur unter Umständen Kassaei’schen kreativen Unternehmensberatung bereits näher ist, als sie es sich vielleicht selbst eingestehen mag.

Auch im weiteren Studienverlauf zeigt sich, dass Strategische Planer nicht nur bei der Steuerung medienneutraler, integrierter Kampagnen eine wichtige Rolle spielen, sondern ihre Kunden auch bei der Entwicklung neuer Produkte, der Messung und der Gewährleistung des Return on Investment, in der Marktforschung und bei der Customer Intelligence sowie bei Fragen rund um die interkulturelle Kommunikation unterstützen oder eine gesteigerte Nachfrage nach derartigen Leistungen verspüren.

Auch innerhalb der Agenturen selbst mangelt es nicht an Aufgaben: So können Planner maßgeblich am Innovationsmanagement beteilgt sein und sind oft diejenigen, die versuchen, die Media-Sicht im Kreationsprozess zu vertreten. Abschließend soll auch nicht verschwiegen werden, dass es nach wie vor um die Selbstvermarktung der Agenturen nicht unbedingt zum Besten bestellt ist. Insofern wäre Planning für das eigene Unternehmen mit Sicherheit auch ein überaus geeignetes Betätigungsfeld.

Vielen der im vorangehenden Abschnitt genannten Aspekte ist gemein, dass sie zwar mit Kommunikation und Werbung in Verbindung stehen können, es aber nicht müssen, was zeigt, dass bereits heute theoretisch ein spürbares Potenzial für Dienstleistungen vorhanden ist, die nicht automatisch mit Werbeagenturen in Verbindung gebracht werden. Jedoch ist es unsinnig, über kreative Unternehmensberatungen oder sonstigen Visionen zu spekulieren, wenn nicht geklärt ist, ob für derartig weiterentwickelte Werbeagenturen überhaupt eine realistische Erfolgschance besteht. Maßgeblich dafür wird sein, ob es den Agenturen gelingt, sich als umfassend kompetenter, vertrauenswürdiger Partner gegenüber ihren Kunden zu positionieren.

In diesem Sinne ist es wichtig, die angesprochenen Leistungen auch kompetent anbieten zu können, was bereits allein durch die Vielzahl an Optionen als große Herausforderung erscheint, die sich mit dem bisherigen Modell des Allround-Planners längerfristig wohl kaum mehr lösen lassen. Ein Ausweg könnte daher in der Entstehung von spezialisierten Plannern bestehen, die ihre Fähigkeiten dann gezielt je nach Kundenanforderung kombinieren können. Und so bleibt die Planning-Welt so, wie sie immer war: Beständig ist nur der Wandel.

 

 

Foto: „Richtlinien“ | goegi | photocase.de

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