Zurück zu Dissonanz!

Treffen sich zwei Planner: Sagt der eine: Das muss für den Endverbraucher relevanter sein. Sagt der andere: Ja, aber in Echtzeit.

Von Franziska Luh, Strategy Consultant bei Scholz & Friends Strategy Group

 

Ich muss sagen, ich bin ein bisschen enttäuscht. Wenn sich die besten Köpfe unserer Branche treffen, entsteht dabei selten mehr als bei einem Beamten-Stammtisch. An mangelnden Gelegenheiten liegt es nicht, wohl aber an ihrer Struktur. Wenn Artgenossen sich treffen, sprechen sie nämlich über das, was sie verbindet. Und dazu sagte Walter Lippmann (amerikanischer Journalist und Schriftsteller) seinerzeit schon treffend: „Wenn alle gleich denken, denkt niemand.“

 

Ein Beispiel

Angezogen von einer Einladung, die „Pioniere auf der Suche nach Neuem“ versprach, war ich im November bei der Veranstaltung ‚wildWECHSEL‘ der Hamburger Kreativwirtschaft. Direkt nach meiner Ankunft tat ich allerdings, wie alle anderen auch, genau das Gegenteil, und verbannte damit den Abend in die Durchschnittlichkeit. Ich suchte automatisch nach dem bzw. den Bekannten.

Die natürliche Anziehungskraft anderer Strategen hat dabei wahrscheinlich mein Netzwerk gefördert, jedoch nicht unbedingt inspirierende Themen. Mein spannendstes Gespräch in der Woche hatte ich an ganz anderer Stelle mit einem alten Schulfreund, der als Biologe an einer Behandlungsmethode gegen Krebs forscht, die teils unschädlich gemachte Salmonellen als ‚Waffe‘ einsetzt.

Abgesehen davon, dass ich Forschung grundsätzlich faszinierend finde, habe ich dabei noch einen Denkanstoß mitgenommen: Kann ich nicht gerade in unserer Branche  eine mögliche Bedrohung oft so modifizieren, dass sie zum Transmitter von etwas Gutem wird? Ich werde es an geeigneter Stelle ausprobieren.

 

Ich fordere mehr dissonante Gespräche

Es ist nicht einfach. Jeder Mensch neigt dazu, jene Informaionen wahrzunehmen, aktiv einzufordern und letztendlich auch zu senden, die das wiederholen, was er schon weiß. Kognitive Dissonanz wird abgebaut. Das fühlts ich gut an.

Als Kind ging das so nicht, weil wir viele Dinge einfach noch nicht wussten, wir konnten keinen Bezug nehmen. Wir waren gezwungen, uns mit vielfältigsten Informationen auseinanderzusetzen und haben dadurch unglaublich viel gelernt – nicht nur über den eigentlichen Sachverhalt, sondern auch über Lösungsalgorithmen und Denkweisen im Allgemeinen.

Und heute? Wir können diesen Zustand simulieren, indem wir uns öfter über Dinge unterhalten, von denen wir eigentlich nichts verstehen. Damit meine ich nicht die Art von Gespräch, die BILD-Leser über Politik führen, sondern sich regelmäßig aktiv Gesprächspartner zu suchen, die einem fremd sind.

 

Noch ein Beispiel

Best Buys Hausagentur Crispin Porter + Bogusky hat in der Vergangenheit verschiedene schlaue Ideen entwickelt, wie ihr Klient anstatt von der einzigartigen Kundenorientierung zu sprechen sie anhand smarter Lösungen immer beweisen kann. Die Twelpforce sorgt zum Beispiel über den bestehenden Kanal Twitter und mithilfe von 3.000 motivierten Angestellten für Technical Support in Sekundenschnelle.

Eine andere Idee aus dem Jahr 2010 ist kleiner, aber auch einzigartiger. Wir stellen uns vor, Ravi Khanna, Strategic Planner bei CP+B, unterhält sich in einer Bar mit einem Animationsfilm Geek. Der erzählt, dass er und seine Freundde beim Erscheinen des Films Despicable Me eine fast fanatische Faszination mit den kleinen Nebendarstellern namens Minions entwickelt haben. Ein paar von ihnen haben sogar angefangen, deren unverständliche Laute zu entschlüsseln, sozusagen ihre Sprache zu verstehen.

Das erzählt Khanna gezielt am nächsten Tag seinen Kreativen, die zum DVD-Start von Despicable Me eine App für Best Buy entwickelten, welche, wenn parallel zum Film geschaltet, die Minions live ‚übersetzt‘ und in Zukunft bei weiteren Filmen unterhaltsamen Mehrwert bieten soll. Ein kleiner Schatz aus der Nische konnte so für die breite Masse gehoben werden.

 

Ich fordere mehr dissonante Aktivitäten

Gehen wir den Gedankengang der dissonanten Gespräche noch etwas weiter, drängt sich automatisch der nächste Schritt auf. Wir sollten nicht nur Artfremden gut zuhören, sondern auch öfter Artfremdes tun.

Das macht die Innovationsbranche schon seit Jahren. Sie sucht sich besondere Orte wie Tanzsäle oder auch mal alte Gefängnisse und nutzt kreative Übungen, um neues Denken lmd neues Handeln aus den Menschen herauszukitzeln. Der Scholz & Friends Strategy Group-lnnovationsansatz tut das auch. Wir setzen aktiv dissonanzerzeugende Impulse und wirken als Workshop Coaches nicht nur strukturierend und bestärkend, sondern auch mal provozierend, um alle Ideen aus ihren Verstecken zu locken.

Aber warum gehen wir eigentlich nur dann so vor, wenn Innovation über einer Aufgabe steht? Eigentlich muss es auch der Anspruch eines Marketing-Strategen sein, bei jedem Projekt, für jeden Kunden Neues, Besseres und Interessanteres zu ermöglichen. Nutzen wir also das Wissen über dissonante Aktivitäten aus der Innovationsbranche, um uns und unseren Kreativen im Kommunikations-Tagesgeschäft neue Denkanstöße zu geben.

Eine Vorgehensweise, die sich mittlerweile schon in vielen Unternehmen etabliert hat, sind organisierte arbeitsfremde Aktivitäten. Wolff Olins gibt beispielsweise mit dem schon vielerorts beliebten Agenturgarten Mitarbeitern nicht nur ein echtes Verständnis für Nachhaltigkeit, sondern trainiert auch händische Problemlösungsfähigkeiten. Wer sich stattdessen mehr für die Verwendung von Lebensmitteln interessiert, kann einmal im Monat mithilfe eines erfahrenen Kochs lernen, sich auf seine Sinne zu verlassen.

Dabei kommen gute Ansätze nicht nur aus New York oder London. Ein Team des österreichischen Innovationsunternehmens LHBS Consulting lässt sich derzeit  von einer Aktivität inspirieren, die dissonanter nicht sein könnte, weil sie zufällig ist. Jeden Morgen dokumentieren sie das Erste, was ihnen auf dem Weg zum Büro begegnet, und versuchen dann miteinander Zusammenhänge herzustellen bzw. Schlüsse auf menschliches Verhalten zu ziehen. Während Effizienzgetriebene so etwas für Zeitverschwendung halten mögen, sorgt diese kleine untypische Aktivität seit zwei Monaten unter routinierten Artgenossen erfolgreich für völlig neue Themen und den ein oder anderen gesellschaftlichen Insight.

Daher: Sprechen wir mehr mit Menschen, deren Spezialgebiet ein anderes als unseres ist. Und gehen wir mit unseren Kollegen raus, um an unüblichen Aktivitäten teilzunehmen, weil sie über kurz oder lang Neues anstoßen. Oder wie es die alte Werberegel sagt, die genauso gut als Arbeitsmethode Anwendung finden kann: Spannend sind ‚Strange people in a common world‘ oder ‚Common people in a strange world ‚. Los geht’s!

 

 

Foto: “notier doch ma…“ | markusspiske | photocase.de

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