Ene mene muh und raus bist du

Die Art und Weise, wie wir Marken im Umgang mit uns erleben, ist inzwischen die verlässlichere Orientierungsinstanz als das, was Marken über sich erzählen. Wer die User Experience von Marken berücksichtigt, schafft gute Angebote und damit nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg.

Von Christian Vatter, freier Brand User Experience Consultant sowie Senior Brand Consultant bei Musiol Munzinger Sasserath

 

Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Das scheint insbesondere für die Welt der Markenkommunikation zu gelten. Als Kunden haben wir gelernt, dass das Abbild und die Realität, wie wir sie erleben, nicht immer deckungsgleich sind . Eigentlich macht das nichts, denn anders als unsere Großeltern wissen wir inzwischen, dass man nicht alles glauben kann, was in der Zeitung steht. Genauer betrachtet, ist dies aber eine wenig positive Entwicklung, denn wenn wir uns nicht mehr auf das verlassen können, was man uns verspricht, wertet dies die Glaubwürdigkeit von Markenkommunikation ab, mit den beziehungsstypischen Folgen Vertrauensverlust oder sogar Misstrauen.

Wwnn wir den Selbstauskünften von Marken also nicht uneingeschränkt Glauben schenken können – was gibt uns dann zuverlässig Orientierung darüber, welches Angebot wir aus der Vielfalt wählen können? Die Frage ist nach einem Blick ins Internet (oder nach Unterhaltungen in geselIiger Runde) einfach zu beantworten: Es ist die eigene Erfahrung mit einer Marke. Und wenn die gerade nicht vorliegt, orientieren wir uns gerne an der von Freunden oder Verwandten, und wenn es sein muss auch, an der von Fremden, denen wir eine ähnliche Motivation oder ähnliches Interesse unterstellen.

Ein zweiter Blick ins Internet bzw. aufs Kaffeekränzchen gibt Beispiele, was den meisten Menschen die diesen Erfahrungen mit Marken wichtig ist: dass das Produkt gut funktioniert, dass Abläufe glatt sind, dass man sich gut informiert fühlt, dass der Umgang mit Unternehmensvertretern angenehm und respektvoll ist usw.

Alle Erfahrungen mit Marken haben einen klaren Ursprung: Sie stammen aus Interaktionen mit Produkten, Dienstleistungen, Mitarbeitern oder sonstigen interaktiven Berührungspunkten zwischen Kunde und Marke. Es geht darum, wie Menschen erleben, wie sich eine Marke ihnen gegenüber verhält, wie sie reagiert, wie sie sich im Umgang anfühlt, und nicht, was die Marke über sich sagt, denn da hat sie einen Vertrauensmalus.

 

User Experience von Marken

Diese Erfahnmgen sind nicht die besonderen, inszenierten Erlebnisse wie beispielsweise in Flagship-Stores oder Brand Worlds, sondern aus dem gewöhnlichen, alltäglichen Umgang mit Marken zum Beispiel an der Servicehotline, im Store, auf der Website, mit dem Produkt selbst, mit Zusatzdiensten.

Das Konzept der ‚User Experience‘ (UX) bietet hier einen interessanten Ansatzpunkt. UX wird meist in Bezug auf digitale Oberflächen und Screens aller Größen und Formen verwendet und beschäftigt sich mit der „erlebten Nutzererfahrung bei der Interaktion mit einem Produkt, Dienst, Umgebung oder Einrichtung“. Angewandt auf das Konstrukt ‚Marke‘ und medienunabhängig verwendet, birgt der Ansatz großes Potenzial – als Brand User Experience. Gemeint ist damit die Erforschung und strategische Optimierung von Kundenerfahrungen bei der Begegnung mit Marken und ihren Touchpoints.

Marken mit guter Brand UX sollten sich anfühlen wie der gute Service eines 5-Sterne-Hotels. Gute Marken-Nutzererfahrung hat vor allem zwei Wurzeln: Verwendungsfreundlichkeit und Mehrwert. Bei der Verwendungsfreundlichkeit geht es darum, Interaktionen möglichst angenehm und unkompliziert, also kompatibel zu menschlichen Wahrnehmungs- und Verarbeitungskapazitäten zu gestalten. Und gute Erfahrungen decken relevante, zum Teil unbewusste Bedürfnisse ab, wodurch für den Nutzer ein Mehrwert entsteht. Beide Aspekte oszillieren im Kontext von kategoriespezifischen Erwartungen (Medium, Branche, Marke).

Bei genauerem Hinsehen findet sich das eine oder andere Beispiel für eine gute Brand UX. Den subtilen Erfolg von Verwendungsfreundlichkeit zeigte Nokia, als die Marke noch den deutschen Handymarkt anführte. Viele Menschen waren der Meinung, dass sie diese Telefone aufgrund des Designs mögen würden – dabei lag der Erfolgsfaktor wohl eher in der Verwendungsfreundlichkeit.

Verwendungsfretmdlichkeit und Mehrwert über einen Zusatzdienst zum Hauptprodukt bietet auch die niederländische Bank ING ihren Kunden: Transaktionen sind im Online-Banking-Portal in einfache Kategorien wie Wohnen oder Lebensmittel gegliedert dargestellt, sodass Kunden ihre Finanzen besser managen und Ausgaben planen können. Genauso bietet die Handelskette real,- mit ihrem Konzept ‚Real Drive‘ Verwendungsfreundlichkeit und Mehrwert. Der Dienst schlägt funktionell die Brücke zwischen Online- und Offline-Kauf, indem die Waren zwar im Internet bestellt, aber dann fertig gepackt vor Ort abgeholt werden können. Dieses Verfahren gestaltet den Prozess zur Erlangung der Waren wesentlich flexibler, weil Kunden nicht mehr zu einem fixen Termin zu Hause auf die Lieferung warten müssen.

 

Kundenbindung und Empfehlungen

Es leuchtet ein, dass Menschen solche Markenbegegnungen bevorzugen und aufsuchen, die ihnen über eine gute Brand User Experience Verwendungsfreundlichkeit und Mehrwert bieten. Somit hat Brand UX den größten Impact auf die Kundenbindung. O2 hat gezeigt, dass man mit der Strategie, Bestandskunden bevorzugt zu behandeln, sehr gute Erfolge erzielen kann, sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland.

Neben der Kundenbindung fördert Brand UX auch virale Effekte; Kunden mit guten Markenerfahrungen geben ein positiveres Urteil über die Marke ab, wenn sie um Rat gefragt werden, was besonders im digitalen Zeitalter wichtig ist. Am effizientesten eingesetzt ist Brand UX an denjenigen Kontaktpunkten, die zentral für die Beziehung Mensch-Marke sind. Aber auch für Menschen, die bisher keinen Kontakt zur Marke hatten, ist gute Brand UX sinnvoll, nämlich wenn in ‚Moments of Truth‘ Nicht-Kunden das erste Mal mit einer Marke in Berührung kommen.

Brand User Experience erfordert ein Umdenken von Markenverantwortlichen. Es ist die Verabschiedung vom ‚Push-Paradigma‘, der Idee, dass Marken Botschaften senden, auf die Kunden bereitwillig reagieren. Marken machen im wahrsten Wortsinn Angebote, und Kunden wählen jenes aus (oder bleiben bei einem Angebot), das ihnen am angenehmsten und nutzvollsten ist – und wenn es umständlich wird oder nach Zeitverschwendung aussieht, ist der Kunde weg und beim nächsten Anbieter.

Wenn  Nutzererfahrungen berücksichtigt werden, geschieht dies meist nur im Kontext von effektbetonten Inszenienmgen der Markenphilosophie für einen kleinen Besucherkreis, nicht in nutzenorientierten alltäglichen Erfahrungen. Brand UX selbst erfordert ebenfalls ein Umdenken, weil hier nicht 360 Grad und damit die Bedienung möglichst vieler Kontaktpunkte zählt. Es geht vielmehr um eine klare Fokussierung auf wenige unternehmenseigene Markenkontakte, die den größten Impact auf die Mensch-Marken-Beziehung haben.

 

Brand UX = Denkweise + Methode

Neben der anderen Denkweise ist für die Beschäftigung mit Brand UX ein Set an fundierten Forschungsmethoden notwendig, die, anders als in der klassischen Konsumentenforschung, ihren Schwerpunkt nicht auf sprachgebundene, rationalisierte Urteile legen, sondern auf tatsächliches Verhalten und Erwartungen. Die Optimierung bzw. Neugestaltung von Markenbegegnung gleicht einem Prozess des ‚kreativen Problemlösens‘. Der Weg zur Lösung führt über iterative Schritte, denn nur so lässt sich der Komplexität des echten menschlichen Lebens sinnvoll begegnen. Am Ende steht die angenehm und nutzvoll gestaltete Markenbegegnung. Mit ihr lassen sich Kunden nicht nur begeistern, sondern auch nachhaltiger binden als nur bis zum Öffnen der Verpackung. Und dies wiederum sollte Unternehmen begeistern.

 

 

Foto: „Kreuze machen“ | Seleneos | photocase.de

 

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