Mehr Cojones? Gerne, aber mit Gefühl

Wir leben nicht gern vernünftig. Wir leben lieber nach Gefühl, folgen unserem Instinkt und brechen Regeln. Nur in der Werbung (insbesondere in der Strategie) machen wir uns das Leben viel zu schwer.

Von Laia Ponce de Leon, Scholz & Friends Strategy Group

 

In der Werbung ist alles mit Zahlen aus der Marktforschung belegt, zu Tode getestet und sicher. Ohne Risiko. Ohne Überraschungen. Langweilig. Kann man sich so in eine Marke verlieben? Man kann sie vielleicht aus Gründen der Vernunft kaufen, aber man wird sie nie lieben!

So lange Geld für Marktforschung freigegeben wird und das Marketing an Grafiken glaubt, ist es schwierig, dem Instinkt zu folgen. Genauso wie es schwieriger ist, jemanden in einer Bar anzusprechen als auf einem Dating-Portal. Bei Letzterem fühlen wir uns nicht nur sicherer, sondern glauben auch, den richtigen Partner zu finden – dank abgestimmter Datenbanksätze. Beim ersten Date folgt meist die Ernüchterung. Wie bei der Werbung. Treffen Konsument und Plakat das erste Mal aufeinander, funkt es oft nicht. Obwohl doch alles berechnet war. Liebe braucht Leidenschaft und Unvernunft. Werbung auch.

 

Vom Süden lernen

Um wirklich Spaß zu haben, muss man ohne Netz und doppelten Boden springen. Doch warum fallen wir die meiste Zeit mit angezogener Handbremse und jeder Menge Sicherheitsgurten? Kann es sein, dass wir unsere Gefühle vor lauter Zahlen und Fakten verlernt haben? Und wenn ja, wo können wir diese emotionale Art zu denken neu lernen? – Im Süden! Spanier, Italiener, Brasilianer und Argentinier sind sicherlich nicht top in Finanzen. Aber in Sachen Emotion und Passion können sie dem Norden noch was zeigen.

Die Disziplin Strategie gibt es im Süden noch nicht lange, und es gibt weniger Geld für Marktforschung. Strategie-Schulterblicke existieren kaum. Weil weniger zu recherchieren ist, bleibt mehr für die Zusammenarbeit mit  der Kreation. Dem Kunden wird „vielleicht“ und „Wir versuchen das“ gesagt, statt „Wir untersuchen das“. Versucht wird, das Hier und Heute zu verstehen. Das Morgen wird fantasiert. Und mit Fantasie werden diese Vielleichts dann beantwortet. Machen wir das privat nicht auch so?!

Im Süden spricht man grosso modo. Strategie-Vorläufe sind kurz und knapp. Sie fassen das Briefing zusammen, beleuchten die Chancen und führen die strategische Botschaft ein. Bis zu 20 Slides. Maximal. Und pro Slide wenige Wörter und viel Tonspur. Vage und ungenau? Ja, klar! Ziemlich oft. Überzeugender meistens aber auch. Denn es sind Menschen, und nicht PowerPoint-Slides, die eine Idee mit Witz, Charme und Esprit erklären. Großes Theater. Aber wie kann man sonst Gefühle erlebbar machen?

Im Süden sagt man basta, ist die Ménage-à-trois, Kunde, Strategie, Kreation, leidenschaftlicher. Die Werbe-Klischees werden ausgelebt. Die Strategie dreht komplett das Briefing. Die Kreation sieht alles anders als die Strategie. Am Ende passt es doch zusammen. Wichtig ist, dass man sich gegenseitig fordert. Dass es ein Tanz wird zwischen den Polen. Wie zwischen zwei Menschen funkt es plötzlich. Mit Glück und ohne Vorwarnung gibt es ein großes Feuerwerk und jede Menge Endorphinrausch.

Im Süden hat man den Mut, sich einfach zu verlieben, Mut, ungefähr und ungenau weiterzumachen, solange es „sich richtig anfühlt“. Mut, mit dem Abstrakten und Unbeschreiblichen im Dunkeln zu tanzen. Mut, aus kreativer Leidenschaft zu spielen, zu kämpfen und zu gewinnen. Mut zu Pragmatismus, Spontanität und „Ich weiß es nicht“ statt „Ich weiß es besser“. Mut zu mehr Instinkt, mehr Intuition, mehr Irrsinn, mehr Meinund und mehr Gefühl. Mut, sich einfach in eine Idee zu verlieben.

Auch im Norden zeigen Strategen, Kreative und Kunden schon Mut. Es sollten viel mehr werden. Lasst die Fiesta beginnen!

 

 

Foto: „all we need“ | Kong | photocase.de

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