Agenturen im post-digitalen Zeitalter

Der Strukturwandel durch Digitalisierung erfasst zunehmend auch das Arbeitsfeld, die Organisation und die Geschäftsmodelle von Kommunikationsagenturen. Massive Umbrüche kündigen sich an. Welche neuen Agenturmodelle entstehen, wird in einem Workshop auf der NEXT Berlin Conference am 8. Mai diskutiert.

Von Jörg Jelden, unabhängiger Trend- und Transformationsberater

 

Die Existenzberechtigung wird infrage gestellt. Agenturen haben sich historisch entwickelt, weil sie in der Lage waren, schneller, flexibler, unabhängiger und besser für einen Auftraggeber zu kommunizieren. Dieser Wettbewerbsvorteillöst sich auf. Wir beobachten, dass Unternehmen wie Tchibo oder Entega Inhouse-Agenturen aufbauen. Sie halten dies für effektiver und effizienter als Agenturen zu bezahlen.

Drei fundamentale Grenzen lösen sich auf und werden neu verhandelt:

 

1. Entgrenzung des Arbeitsfelds

Früher war Kreativität darauf reduziert, auf möglichst überrraschende Art und Weise einen festen Rahmen aus Formaten, Kanälen, Produkten und Marken zu gestalten. Mit der Digitalisierung wurde dieser Ralunen selbst gestaltbar. Kreativität ist immer stärker auch eine Fähigkeit von Beratern und Technikern. Aber kreative Technik. Aber kreative Technik-Talente oder Berater-Talente bevorzugen Start-ups. Hier haben sie deutlich mehr Gestaltungsspielraum.

Eine doppelte Herausforderung. Talente müssen zum einen zusätzlich zu Gestaltungsqualifikationen viel stärker die medial-technische Dimension beherrschen und sich gleichzeitig zurücknehmen, um mit einer stetig wachsenden Zahl von Spezialisten zusammenzuarbeiten. Das macht das Arbeiten zäh und eigene Erfolge schwierig. Zum anderen erfordern diese neuen Möglichkeiten, dass sich Auftraggeber noch viel stärker darüber im Klaren sind, wer sie sind und was sie warum wollen. Fehlt diese Orientierung bei Auftraggebern, wird jegliche Kreativität beliebig.

Eigenmotivation und Selbstorganisation. Jede Agentur hat heute Probleme Talente zu finden, zu halten und zu entwickeln. Neue Modelle setzen viel stärker auf Eigenmotivation und -orgatu sation der Talente. Beim Computerspiele-Hersteller Valve haben Mitarbeiter zu 100 Prozent die Wahlmöglichkeit, bei welchem Projekt sie mitarbeiten wollen. Projekte werden intern gepitcht. Unattraktive Projekte kommen nicht zustande. Strukturen werden schlanker. Es gibt weniger zu managen.

 

2. Entgrenzung der Organisationsstrukturen

Angesichts der stetig steigenden Möglichkeiten und der zunehmenden Spezialisierung wird Full-Service zur Unmöglichkeit. Niemand kann diese Flut verschiedenster Ressourcen vorhalten. Selbst wenn man zu vielen Spezialgebieten Zugang hat, bleibt es ökonomische Logik, vorrangig die Leistungen zu verkaufen, die man im eigenen Portfolio hat. Damit endet die bisherige Wachstumslogik, die allein auf Mitarbeiterzuwachs basierte.

Agenturen werden kleiner und größer. Neue Agentur-Modelle beginnen den Markt zu erobern, bei denen nur noch eine Rumpfmannschaft den Kundenkontakt kontrolliert. Alle gestalterischen, technischen oder Produktions-Kompetenzen werden bei Bedarf hinzugezogen.

Gleichzeitig werden Agenturen eine Community an Spezialisten aufbauen, zu denen sie bei Bedarf schnell Zugang haben. Eine zweite, informelle Organisationssphäre entsteht. Diese erweiterte Sphäre müssen Agenturen aktiver gestalten und in ihre Personalarbeit einschließen.

Agenturen werden diplomatischer. Auf jedem Projekt arbeitet heute eine Vielzahl von Agenturen. Hierarchien, Egoismen und Eitelkeiten machen das Arbeiten zur Hölle. Neue, postheroische Führungsqualitäten sind gefragt. Es geht um Empathie-Fähigkeit, Verhandlungsgeschick, Motivation und Zustimmungsarbeit.

Dennoch es geht bei diesem lateralen Führen nicht um Dauerkonsens. Vielmehr stehen die Gedanken im Vordergrund, dynamische Gemeinsamkeiten zu orten und Unstimmigkeiten zu managen.

 

3. Entgrenzung von Geschäftsmodellen

Neben das Retainer- und Projektgeschäft treten vielfältige, neue Geschäftsmodelle. Teilweise ersetzen sie die bestehenden, teilweise ergänzen sie sie.

Erfolgsbasierte Bezahlung. Je stärker sich Kommunikations-Maßnahmen klar definieren und zurechnen lassen, desto attraktiver werden leistungsbezogene Ansätze. Es ist abzusehen, dass die Logiken der Online-Werbung in naher Zukunft für das Fernsehen adaptiert und leistungsbezogene Ansätze einen neuen Aufschwung erleben werden.

Beteiligungsmodelle. Agenturen werden sich stärker auf Unternehmen, insbesondere Start-ups beteiligen. Hier liegen die neuen Wachstumsfelder der Wirtschaft. Als Gegenleistung für ihre Kommunikationsarbeit erhalten sie Umsatzanteile.

Produktentwicklung und Lizenzgeschäft. Agenturen werden verstärkt auch eigene Produkte entwickeln und verkaufen (z.B. Apps, Services, Produkte). Oder sie werden Auftraggeber stärker bei der Neuproduktentwicklung begleiten. Sie werden in Zusammenarbeit mit Unternehmen Geschäftsideen entwickeln und Lizenzeinnahmen erzielen.

 

 

Foto: “2020?” | *tigerente* | photocase.de

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