Todesfalle Facebook

Mitten in die generelle Facebook-Euphorie platzte im vergangenen Jahr die ‚BILD‘-Headline ‚Todesfälle Facebook‘. Losgelöst von der traurigen Story blieb mir die Schlagzeile im Kopf. Kann so was auch Marken passieren?

Von Dr. Malte Lenze, Strategic Director, Rapp Germany, Hamburg

 

Man traut sich heute kaum ein Wort wie Geheimnis in Verbindung mit Marken in den Mund zu nehmen. Alles ist offen und transparent. Der Mensch macht die Marke, der Mensch ist die Marke.

Nichts ist schlimmer, als dem Konsumenten etwas vorzumachen. Bei den Eigenschaften oder dem ‚Körper‘ der Marke gilt heute: Der Kluge ist der Ehrliche. Ist viel Fett drin, dann sag lieber: „leider fett“ oder noch besser „richtig fett“. Das Produkt durch zu kreatives Marketing zu einem diätetischen umzuschlawinern, geht nach hinten los. Was man sich so selbst fabriziert, hat man dann recht schnell in Form eines ausgewachsenen Shitstorms wieder am Schuh…

So gesehen ist totale Transparenz ein Zeichen der Zeit. Was das Wesen oder eben das Geheimnis der Marke angeht, kann zu viel Transparenz auf Dauer aber auch tödlich sein. Genau das passiert, wenn man die Markenführung aus der Hand gibt und die Öffentlichkeit, den ‚User‘ oder ‚Marken-Fan‘ über das Schicksal der Marke entscheiden lässt.

Aber halt. Ist diese Meinung nicht anachronistisch? Gilt nicht doch das Gegenteil? Nähe, Nähe! Je dichter dran am Kunden, desto besser?

Das ist auch sicher richtig, wenn es um ein lebendiges Erleben der Marke geht. Nicht aber, wenn Nähe einen quasi-demokratischen Eingriff in das Wesen der Marke bedeutet. Die FDP muss das gerade leidvoll erfahren  Wer seinen Ma rkenkern an Lobbyismus und Wählerstimmung verrät, bekommt irgendwann die Quittung.

Genaus, wie für Unternehmen der Konsument heute ein gläserner ist, sind viele Marken heute bereit, ihren ‚Quellcode! offenzulegen. Wurde das ‚Geheimnis‘ der Marke früher mit allen Mitteln vor der Konkurrenz und der Öffentlichkeit geschützt, findet man es heute irgendwo online oder breitgetreten in der Publikumspresse. So konnte man vor einiger Zeit das neu entwickelte Markenmodell der Markenikone Mercedes-Benz in der ‚AUTO BILD‘ studieren. Nicht konspirativ aufgedeckt, sondern vom Unternehmen autorisiert.

 

Große Marken brauchen ein Geheimnis

Schon mal darüber nachgedacht, etwas Abstand zu halten? Was macht den begehrenswerte Marken aus? Dass sie andauernd herumscharwenzeln, sich anbiedern und mich regelrecht antatschen: Darf es noch ein bisschen mehr sein? Willst du mein Fan werden? Bleibt bloß weg!

Wenn Scarlett Johansson ihre Fans stalken würde, wo wäre da ihre Begehrlichkeit?

Was wir anhimmeln – und deswegen heißt es auch so – ist zunächst mal weit weg. Begehren funktioniert auf Distanz. Sehnsucht braucht Ferne. Große Marken brauchen ein Geheimnis .

Natürlich kann niemand etwas dagegen haben, Kunden nah und direkt an ihrer Marke teilhaben zu lassen. Auf der richtigen Ebene und mit dem richtigen Ziel ist das sogar unerlässlich in der heutigen Kommunikationswelt. Aber alle Türen offen und alle dürfen mitmachen, ist sicher nicht die richtige Strategie. Die Grenze zum Verrat am Wesen der Marke ist dann schnell überschritten.

So bringen deutsche Premium-Bierbrauer einen Biermix nach dem anderen heraus und lassen Sondereditionen über Facebook bestimmen. Da fragt man sich, ob die Rettung des deutschen Biers wirklich in seiner User-Generated-Limonadisierung besteht. lsl der kurzfristige Hektoliter wirklich mehr wert als der Verlust der Markenidentität? So wird zugegeben geschmacklos angelehnt an die ‚BILD‘-Schlagzeile,Facebook für Marken eher zu ‚Todesfalle‘ als zum lebendigen Kontaktpunkt mit der Zielgruppe.

Gerade heute ist es für Markenverantwortliche so wichtig wie nie, das Wesen, die Seele oder eben das Geheimnis der Marke im Griff zu haben. Konnte man in der alten Welt noch lange nachdenken, ob eine neue Kampagne zur Marke passt, so muss man heute nahezu ‚real time‘ handeln und entscheiden.

Umso besser muss das Wesen der Marke definiert und für die Kommunikatoren erlebbar sein. Ein gutes und differenzierendes Markenmodell ist da erst der Anfang. Meist fristen auch die ambitioniertesten Modelle ein trauriges Dasein in den Schubladen grauer Bürotürme. Markenstrategie ist eben nicht nur Markentheorie.

 

Eine starke Marke ändert sich ständig

Die große Herausforderung für den Markenstrategen ist es, Wege zu finden, wie die Idee der Marke zum Leben erweckt werden kann und zum ständigen Gegenstand der Diskussion wird. Denn eine starke Marke ist nicht statisch. Eine starke Marke ändert sich ständig – aber eben ohne ihr Geheimnis zu verraten.

Auch wenn die größte Herausforderung für viele Marketingverantwortliche das Treffen der Zielgruppe und ihrer Kommunikationsroutinen ist, also einen Markendialog technisch gesehen überhaupt erst einmal möglich zu machen, lautet mein Plädoyer.

 

 

Foto: „Oh erwischt“ | patklik | photocase.de

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