Werbung macht alles besser!

Die Werbebranche hat ihre Strahlkraft verloren und schwelgt in Erinnerungen an die Mad-Men-Ärea. Die Welt hat sich verändert und die coolen Kids sind weitergezogen. Sie machen jetzt lieber was mit Internet statt mit Medien. Diesem Trend zum Trotz: Ein Plädoyer für ein neues Selbstbewusstsein des Werbers.

Von Tim Keil, Philipp und Keuntje, Hamburg

 

Wenn man den einschlägigen Fachzeitschriften glauben darf ist der Kampf um kreative Talente in vollem Gange. Auch in den Gesprächen mit Agenturkollegen sind Nachwuchssorgen immer häufiger ein Thema. Die Jobangebote auf den Webseiten der Agenturen zeugen von chronischem Mitarbeitermangel. Werber ist kein Beruf mehr, sondern ein Schimpfwort. Deswegen zieht es den Nachwuchs jetzt zu Google, Facebook lind all den kleinen Start-ups, d ie daran arbeiten, den beiden Internetgiganten den Rang streitig zu machen.

Oft hört man, dass dies an der inspirierenden und kreativen Arbeitsumgebung liegt. Und wenn man so ein Google-Büro mal selbst erlebt hat, dann wird einem schlagartig bewusst, wie altmodisch das durchschnittliche Agenturbüro-Design wirkt. Ich habe keine Ahnung, wie die Arbeit dort so ist, aber die Räume besitzen eine magische Anziehungskraft für Kreative. Und natürlich ist die kostenlose Kantine mit Frühstück, Mittag- und Abendessen oder das Fitnesscenter inklusive Trainern auch nicht zu verachten. Ich jedenfalls wollte gar nicht zurück in die Agentur.

Aber nur Bürodesign und kostenlose Services für die Attraktivität von Google & Co. als Arbeitgeber verantwortlich zu machen, greift viel zu kurz. Schließlich sitzen die meisten Start-ups eher in provisorisch eingerichteten Büros. Deswegen sind andere Gründe, wie z.B. die erlebte Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns, weitaus wichtiger.

Das Internet hat sich nicht nur innerhalb kürzester Zeit etabliert, sondern vor allem auch viele alt hergebrachte Märkte und Geschäftsmodelle komplett umgekrempelt. Neben den wirtschaftlichen werden mittlerweile auch die gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen immer sichtbarer.

 

Werbung lügt, manipuliert und unterbricht

Das Internet ermöglicht Rebellion und Veränderung auf vielfältige und vor allem einfache Weise. Gerade für junge Leute eine sehr attraktive und sinnstiftende Herausforderung. Die Welt zu revolutionieren oder vielleicht auch nur ein kleines bisschen besser zu machen, ist das implizite Versprechen des Internets und oft sogar das explizit geäußerte Selbstverständnis der Online-Unternehmen.

Und was kann Werbung denn schon dagegen halten? Werbung lügt, manipuliert und unterbricht uns ständig. So ist zumindest die landläufige Meinung. Kein Wunder also, dass Werber bei den GfK-Forsa-AlIensbach-Rankings der angesehensten Berufe in schöner Regelmäßigkeit auf den hintersten Plätzen zusammen mit Politikern, Managern, Gebrauchtwagenhändlern, Versicherungsvertretern und neuerdings auch (Investment-)Bankern landen.

Unser Selbstbewusstsein als Werber ist mittlerweile so gering, dass wir uns immer neue, interessant klingende Namen für unseren Job ausdenken. Wer nennt sich denn noch Werber, wenn er auf einer Party nach seinem Beruf gefragt wird?

Ein bisschen mehr Selbstbewusstsein täte uns mal wieder ganz gut. Ich zumindest bezeichne mich gerne zuerst als Werber und erst bei genauerer Nachfrage als Planner.

Das war allerdings auch nicht immer so. Denn obwohl ich voller Enthusiasmus in die Werbung gestartet bin, wurde ich als junger Werber regelmäßig von Selbstzweifeln geplagt. Ist Werbung wirklich das Richtige? Könnte ich nicht etwas Sinnvolleres tun?

Das alles änderte sich schlagartig, als ich für einen neuen Job nach München umziehen musste. Naturgemäß mistet man dann natürlich mal wieder richtig aus. Und beim Entleeren der Vorratsschränke kam mir die Idee für ein kleines Selbst-Experiment, das mir am Ende klarmachte, worin die Faszination und Sinnhaftigkeit der Werbung besteht:

In der neuen Wohnung füllte ich meine Vorratsschränke ausschließlich mit Handelsmarken. Nachdem sich kurz zuvor Morgan Spurlock im Doku-Movie ‚Super Size Me‘ einen Monat lang nur mit Fast Food ernährt hatte, wollte ich ausprobieren, wie es ist, sich einen Monat lang nur mit Eigenmarken zu versorgen.

Schon am ersten Wochenende saß ich am reich gedeckten Frühstückstisch und fand das alles irgend wie – nun ja – langweilig, freudlos und ein bisschen deprimierend. Es war zwar alles da, aber nichts hatte wirklich Bedeutung. Die Packungen weiß und dröge. Die Produkte waren alle okay, aber keines ‚erzählte‘ mir eine Geschichte. Ohne den werblichen Kontext war plötzlich alles auf seine reine Funktion reduziert.

 

Ohne Werbung ist alles nur Funktion

Mir wurde damals klar, dass dank der Werbung Autos plölzlich besser fahren (Audi), Computer so viel müheloser zu bedienen sind (Apple), auch eine Fertigbackmischung nach Liebe schmecken kann (Dr. Oetker), Waschmittel nicht nur sauber, sondern rein wascht (Ariel), Coke besser schmeckt als Pepsi (und zwar auch wenn es nur draufsteht, aber Pepsi drin ist) und die Butter auf meinem Frühstückstisch streichzarter ist, wenn sie von irischen Weidekühen stammt (Kerrygold).

Randall Rothenberg hat das in seinem Buch ‚Where the suckers moon‘ so beschrieben: „Advertising is a perception science. There is no truth outside consumers‘ beliefs.“ Werbung ist ein Angebot, was man glauben könnte oder glauben möchte, damit es das eigene Leben bereichert. Zumindest für einen kleinen Moment.

Über Steve Jobs erzählt man sich, dass er ein „reality  distortion fjeld“ aufbauen konnte. Man könnte es auch einfach gute Werbung nennen, denn die Kunden haben Apple nach jeder seiner Präsentationen die neuen Produkte geradezu aus den Regalen gerissen. Weil sie, aus welchem Grund auch immer, glauben, dass dieses „one more thing“ ihr Leben bereichert.

Es geht dabei nicht um Manipulation im negativen Sinne, denn Marketing-Lügen werden heute schneller denn je enttarnt und von den Konsumenten abgestraft. Truth weil told – die Wahrheit geschickt erzählen. Das hat vor genau 100 Ja hren Harry McCann als Credo für seine Agentur gewählt. Das ist für mich nicht nur die beste Jobbeschreibung für einen Werber, sondern auch ein guter Grund, morgens aufzustehen, in die Agentur zu fahren und die Welt ein bisschen besser zu machen.

 

 

Foto: „Abgeknibbelt“ | Revanche | photocase.de

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