Die Entdeckung der Markenkultur in der sozialen Praxis

Die Vorstellung von der Marke als Persönlichkeit mit quasi menschlicher Identität ist noch weit verbreitet – trotz Medienwandels und dem hieraus resultierenden erhöhten Komplexitätsgrad. Dabei gibt es mehrere Gründe, die gegen die ldealvorstellung einer Marke als Person sprechen.

Von Prof. Dr. Thomas Heun, MHMK in Berlin

Es ist noch nicht lange her, da kam ein Agentur-Geschäftsführer in ein Strategie-Meeting und stellte folgende Frage: „Na, wo entstehen Marken?“ – „Im Kopf des Verbrauchersl“, antwortete ein Junior-Stratege wie aus der Pistole geschossen. Das Resultat? Alle waren zufrieden!

 

Die Marke im Kopf der Strategen

Der Stratege, weil er die Frage des Geschäftsführers zu dessen sichtlicher Zufriedenheit beantworten konnte, und der Geschäftsführer, weil er von der nächsten Planner-Generation eine seiner alten Markenweisheiten bestätigt bekam. Umso erstaunlicher ist es, dass auch heute, wo eine Vielzahl an Autoren vom „Ende der medialen Einwegkommunikation“ in Richtung isolierter Konsumenten und von der „Macht der Sozialen Netzwerke“ sprechen, kaum über Alternativen zu den klassisch individualpsychologischen Vorstellungen diskutiert wird. Marke nimmt für Strategen ihre finale Gestalt in den Köpfen von Individuen an. Schön, dass es jetzt auch das „Neuromarketing“ gibt. Vielleicht können wir ja bald live zuschauen.

 

Mainstream: Marken haben eine Persönlichkeit

Selbst wenn die Reduktion auf den „Kopf des Konsumenten“ eine extreme Form der Simplifizierung von Markenprozessen darstellt, gehen auch „sozialere“ Modelle, wie das der „Markenidentität“, nur geringfügig über das individualpsychologische „Kopfmodell“ hinaus. Frei nach Aaker, Kapferer, Meffert und Esch entsteht die sogenannte „Markenidentität“ in einem wechselseitigen Austausch zwischen dem „Selbstbild“ und dem „Fremdbild“ einer Marke. Während das Selbstbild der unternehmensinternen (und wünschenswerten) Vorstellung von einer Marke als Person entspricht, beschreibt das „Fremdbild“ die externe Wahrnehmung durch die Konsumenten. Hochgradig emotionale Bindungen entstehen, wenn es zu einem hohen Maß an Übereinstimmung zwischen „Markenperson“ und „Zielgruppenperson“ kommt.

Auch wenn Unternehmer ihren Marken immer mal wieder Vornamen (Mercedes, Melitta) gegeben haben, ist es erstaunlich, dass sich die Vorstellung von der Marke als „Persönlichkeit“ mit quasimenschlicher Identität trotz des allseits wahrgenommen „Medienwandels“ und des hieraus resultierenden erhöhten Komplexitätsgrades so stark hält. Dabei sind die Gründe, die aus heutiger Sicht gegen die ldealvorstellung von einer Marke als Person sprechen, vielfältig:

1. Marken entstehen nicht nur im Austausch zwischen einem Unternehmen und einer Zielgruppe oder gar isolierten ldealtypen. Sondern sie werden heute mehr denn je durch vielfältige Austauschprozesse zwischen Konsumenten geprägt. Diesen Prozessen wird in den Markenidentitätsmodellen kein Raum gegeben.

2. Marke ist kein Resultat von primär kognitiven Prozessen. Die „Kopflastigkeit“ dieser Vorstellung verkennt, dass Marken heute mehr und mehr an ihrem konkreten Tun in der sozialen Praxis gemessen werden.

3. Marken benötigen heute neben fundamentalen Grundwerten ein höheres Maß an Flexibilität und Freiheit in der Kommunikation. Identitäten sind ab einem gewissen Entwicklungsstadium kaum noch flexibel. Bedeutet: Eine Marke als Person kann ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr „aus ihrer Haut“ – geschweige denn Konsumenten immer wieder überraschen.

 

Marken entstehen in kulturellen Netzen

Aufgrund der Fülle an Unzulänglichkeiten rein psychologisch fundierter Ansätze schlage ich eine kulturalistische Perspektive vor. Zentrale Grundannahmen hierbei:

1. Marke wird nicht von „oben“ oder einzelnen Unternehmen vorgegeben. Sie entsteht im Austausch unterschiedlicher Parteien in der sozialen Praxis, Unternehmen könnten kulturelle Angebote (Produkte, Werbung etc.) unterbreiten. Entscheidend für den Markenerfolg ist nicht nur was ein Konsument sich denkt, sondern vielmehr was viele Konsumenten daraus machen.

2. Markenkultur entsteht in netzartigen Austauschprozessen zwischen Unternehmen und Konsumenten. Medienvermittelte Beziehungen zwischen Konsumenten und die daraus resultierenden „Sprechakte“ spielen dabei eine zunehmend große Rolle.

 

Was daraus folgt? Marken hinterlassen zwar nach wie vor ihre Spuren in den Köpfen von Menschen, doch wer den Prozess ihrer Genese verstehen will, sollte sich der Bedeutung von Marken in der sozialen Praxis beispielsweise mittels teilnehmender Beobachtungen zuwenden. Der positive Nebeneffekt für Agenturen: Die unmittelbare Teilhabe am sozialen Leben ist nicht nur erkenntnisreich, sondern auch ungemein inspirierend.

 

Weiterführende Literatur:

Du Gay Paul; Hall, Stuart; lanes, Linda; Mackay Hugh; Negus, Keith (7997): Doing Cultural Studies: The Story of the Sony Walkman, London.

Heun, Thomas (2009): Marke und Kultur Chancen einer kulturalistischen Perspektive auf Marken, in; Sozialwissenschaft und Berufspraxis 32, Nr 7, Hamburg, S. 42-55,

Heun, Thomas (2012): Marken im Social Web. Zur Bedeutung von Marken in Online-Diskursen, Wiesbaden.

Horning, Karl H; Reuter Julia (2004): Doing Culture. Kultur als Praxis, in: dies. (Hrsg): Doing Culture. Neue Positionen zum Verhältnis von Kultur und sozialer Praxis, Bielefeld, 5. 9-75.

 

 

Foto: „Thriller“ | steffne | photocase.de

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