Shoot the messenger!

Wir wundern uns, dass unser Ruf so schlecht ist. Dass Werber als unnütz gelten, dass unsere Arbeit nur belästigt, dass die Menschen verachten, was wir tun. Wir sitzen mit unseren Big-Data-Analysen, Insightworkshops und Marktforschungen so nah am Puls der Zeit und spüren doch scheinbar nichts.

Von Tobias Kopietz, Philipp und Keuntje, Hamburg

 

Ich glaube nicht, dass sich die Verachtung tatsächlich gegen unsere Branche oder unser Arbeiten richtet, sondern viel eher gegen das, wofür wir arbeiten; unser Image ist schlecht, weil wir Werbung für Dinge machen, die keinen Wert haben. (Und wieder einmal ist es der Bote, der wegen seiner Nachricht umgebracht wird.)

 

Abnehmender Grenznutzen

Vor nicht einmal einem Jahrhundert war ein breites Angebot von möglichst allem ein höchst erstrebenswerter Zustand. Die industrielle Massenproduktion ermöglichte der breiten Masse Konsum aus Selbstzweck oder zumindest Konsum zum Stillen von nicht essenziellen Bedürfnissen. Und mit steigendem Angebot änderte sich die Anforderung an unsere Arbeit.

Aus Reklame, dem bloßen, möglichst lauten Propagieren eines Gebrauchswertes, wurde Werbung, die Produkten einen (emotionalen) Fiktionswert hinzuzuaddieren gedachte. Mit einem Image konnte man sich von gleichwertigen Wettbewerbern abgrenzen und Marken entstanden.

Bis in die 1960er-Jahre blieb die Qualität eines Produkts aber dennoch ein Unterscheidungsmerkmal. Und damit änderte sich alles und langsam realisieren wir die Folgen: Wenn es nicht mehr die Qualität meines Whiskeys ist, die mich gegenüber meinen Wettbewerbern positioniert (vielleicht habe ich das Limit meines Könnens erreicht), dann spielt für mich die Qualität auch eine untergeordnete Rolle. Ich produziere nicht länger mit dem Anspruch, den besten Whiskey zu machen. Plötzlich steht der Zweck meines Unternehmens in Zweifel und das, was früher mein Ziel (nicht der Antriebl) war, nämlich Geld zu verdienen (respektive mich am Markt zu behaupten/davon leben zu können/meine Arbeit gewertschätzt zu sehen), wird allzu leicht zu meinem neuen Zweck.

Die Bestimmung meines Handelns ändert sich. Und so beginne ich, Ableger meines Originalprodukts herzustellen, künstliche Gefälle der Qualitätswahrnehmung zu induzieren, am Design zu arbeiten – ich beginne alles Mögliche, um meine Marktposition zu halten. Was dabei gerne auf der Strecke bleibt, ist der Grund, warum ich überhaupt angefangen habe.

 

Joghurts ohne Seele

So, oder so ähnlich, könnte man die Entstehung der 40 Joghurtsorten erklären, die da im Kühlregal auf uns warten: Es sind keine Produkte, die entwickelt wurden, weil jemand ein Bedürfnis, einen Anspruch, einen Traum oder Wunsch hatte. Es sind Produkte, deren einzige Existenzberechtigung es ist, neue Potenziale zu erschließen oder kurzzeitig einen Aufschwung an Aufmerksamkeit zu erwirken, um den anderen 39 ein Stück vom Kuchen abzuknapsen; wenn es beliebt: Sie haben keine Bestimmung, keinen Grund zum Sein, keine Seele – nichts, was einen Zweck erfüllt und nicht lediglich einem Ziel dient.

Und dort liegt unser Problem. Es ist dabei vollkommen egal, ob wir über Joghurts, Autos, Kredite, Mineralwasser, Antiviren-Software oder ganz allgemein über „Marken“ sprechen. Dieses System funktioniert überhaupt, weil wir auf den Trick mit dem Image gekommen sind: Gibt es nichts, das dich qualitativ, funktional oder sonst wie unterscheidet, dann schaffe einen emotionalen Bezug, finde einen Anknüpfungspunkt, kreiere einen USP.

Wem die letzten drei Worte nicht komisch vorkommen, der sollte alles noch einmal lesen. Selbst wenn wir glauben, dass wir gerade einen Markenkern herausgearbeitet haben, dann bleibt meist dennoch die Frage ungestellt, wie sich das Produkt per se von anderen unterscheidet. Wir stecken so tief in der Schaffung von Bedeutungen, dass es irrelevant geworden ist, ob etwas eine Bedeutung hat oder nicht – man kann sie ja in jedem Fall kreieren…

 

Am Anfang des Umbruchs

Ob es das Internet ist, weil es uns informiert, ob es unser Lebensstandard ist, der uns mehr Freizeit und somit mehr Zeit für Beschäftigung mit uns selbst gibt, ob es unser Vertrauen ist, das zu oft enttäuscht wurde und uns skeptisch hat werden lassen – egal. In der Welt da draußen erwacht mehr und mehr ein Bewusstsein um den Gehalt der ‚Dinge‘. Darum, welche Rolle das, mit dem wir uns umgeben, in unserem Leben spielt.

Weniger (oder mehr?) philosophisch könnte man es auch so ausdrücken, dass der emotionale und der funktionale Benefit der Entitäten, die unseren Lebenskontext konstituieren, mehr und mehr verschmelzen: Es sind nicht länger nur die nicht notwendigen Bedürfnisse, deren Nicht-Befriedigung uns keinen Schmerz bereiten. Stattdessen brauchen wir heute (emotionale) Beziehungen zu Marken und Produkten zur Konstruktion unseres Selbst so sehr, dass wir keinen Unterschied mehr machen zwischen einer abstrakten Wertehaltung (z. B. ‚liberal‘) und dem Image eines Produkts, das sich ein Stück weit auf uns überträgt, wenn wir es besitzen/benutzen/begehren – whatever.

Und eben dies wird zum neuen Maßstab: Ob etwas einen Sinn hat. Ob seine Existenz Werte transportiert, die man entweder erstreben oder ablehnen kann. Menschen, die keine Meinung vertreten, finden wir langweilig. Solche, die keinen Standpunkt beziehen oder sich bloß nach dem Wind richten, würden die wenigsten von uns als Vorbilder, als Partner, als Bezugspersonen wählen. Warum sollte es mit Dingen, die uns umgeben, anders sein?

 

Bestimmt geht es besser

Wer jetzt meint, er müsste mit diesem Anspruch der Hälfte seiner Kunden kündigen, der soll doch bitte noch einmal genau hinschauen. Sehr viele der Marken, mit denen wir arbeiten, haben Werte. Sie haben einen Zweck, sie haben eine Bestimmung. Wir müssen sie vielleicht nur wieder freilegen!

Die Welt des Konsums, des Universums und des ganzen Rests wird sich ganz von alleine bereinigen. Nicht morgen und auch nicht übermorgen, nicht überall gleichzeitig, aber stetig ein wenig mehr. Und so wird irgendwann das Briefing für den 41. Joghurt einfach ausbleiben.

Wenn wir einfach nur beginnen, uns zu fragen, was das eigentlich ist, für das wir gerade eine Kampagne stricken, wenn wir beginnen, uns zu fragen, was der Zweck eines Unternehmens ist – nicht, welchen wir plausibilisieren können –, dann haben wir auch wieder eine Chance (durch die Verbesserung unserer Arbeit), unser Image zu verbessern. Dann nämlich, wenn wir nicht länger nur Bote sind, sondern Botschafter.

Denn Bedeutungslosigkeit hat auf dieser Welt noch nie lange überdauert. Immer bleibt einzig das, was von oder für irgendwen oder irgendetwas relevant ist, das, was eine Bestimmung hat.

 

 

Foto: „so viel verbote…“ | AllzweckJack | photocase.de

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