The Journey

Von Felix Stöckle, Managing Director Central & Eastern Europe Landor Associates, Hamburg

 

Warum wir der Wandel sein müssen, den wir sehen wollen

Uns allen dienen Marken als Mittel, um sich in der Komplexität unserer heutigen Welt zurechtzufinden und Orientierung zu verschaffen. Uns allen dienen Marken als Mittel, um in der Flut verfügbarer Alternativen Kaufentscheidungen zu treffen, die uns befriedigen und nach Möglichkeit ein gutes Gefühl geben. Uns allen dienen Marken dazu, unsere eigenen Vorlieben, Wünsche und Bedürfnisse und damit unsere Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Und wir alle wollen nicht, dass uns diese Marken, für die wir uns entschieden haben und denen wir vertrauen, enttäuschen.

Daran ändert die digitale und soziale Revolution, die wir erleben, überhaupt nichts. Und trotzdem ändert sie alles. Weil plötzlich die Dinge sichtbar werden, die vorher schon nicht gestimmt haben, und von denen wir nichts gewusst haben bzw. nichts wissen wollten. Denn wir sind nicht nur die Opfer, als die wir uns gerieren, sondern wir waren mit unserem Geldbeutel und unseren Konsumentscheidungen auch immer Täter. Im besten Fall haben wir es bloß nicht besser gewusst.

Wir wissen oder ahnen, dass unser Lebensstil nicht nachhaltig ist. Wir wissen, was wir wollen würden, aber begreifen es als Utopie. Aber kann eine Utopie nicht Realität werden? Die Wahrheit ist: Nicht von heute auf morgen, aber es könnte eine gemeinsame Reise sein.

In einer idealtypischen Welt folgt jedes Unternehmen einer klaren Bestimmung, handelt ethisch und moralisch einwandfrei, bietet ausschließlich nachhaltige Produkte und Dienstleistungen an, vermittelt deren Nutzen authentisch und glaubwürdig und schafft um seine Marken ein durchgängig attraktives und in sich stimmiges Kundenerlebnis.

Die meisten Unternehmen sind von dieser Realität allerdings ziemlich weit entfernt. Viele haben in der Vergangenheit Markenerlebnisse eher wie eine ‚Truman Show‘ inszeniert – eine mehr oder weniger große Illusion. Und obwohl unsere heutigen Realitäten dies kaum noch sinnvoll erscheinen lassen, klammern sie sich weiterhin an bekannte Marketing-Mechanismen. Wohl wissend oder zumindest ahnend, dass dies in Zukunft nicht länger erfolgreich sein und gut gehen kann.

Und so lässt sich die skizzierte idealtypische Welt auch als eine Art Roadmap für die notwendigen Veränderungen begreifen, denen sich Unternehmen heute als Herausforderung gegenübersehen. Dabei gilt es im Kern fünf Fragen zu beantworten:

 

1. Versteht mein Unternehmen tatsächlich die sich verändernden Erwartungen und Bedürfnisse seiner Kunden, die mit der digitalen und sozialen Revolution einhergehen?

Menschen können und wollen heute hinter die Kulissen schauen. Sie interessieren sich in nie gekanntem Maße, woher Produkte kommen und welche Konsequenzen mit ihrem Konsum verbunden sind. Hier erleben wir eine ‚stille’ Revolution, die zu einem drastisch veränderten Kaufverhalten breiter Bevölkerungsschichten führen wird – jenseits der ‚Millennials’, die heute im Fokus dieser Beobachtung stehen. Und kein Unternehmen sollte glauben, dass ein Aussitzen dieser Veränderung und Weitermachen wie bisher eine erfolgreiche Strategie sein könnte.

 

2. Hat mein Unternehmen eine Antwort auf den Paradigmenwechsel von ‚Performance‘ zu ‚Purpose‘, bei dem es nicht mehr um ein ‚höher, schneller, weiter’ geht, sondern darum, im Leben der Menschen eine relevante Rolle einzunehmen und ihnen dabei zu helfen, einen nachhaltigeren Lebensstil zu ermöglichen?

Unternehmen, die auf diese Frage keine Antwort finden, werden allmählich an Bedeutung und Ansehen ihrer Kunden verlieren und schlussendlich verschwinden, da sie nicht mehr imstande sind, die sich verändernden Erwartungen und Bedürfnisse zu erfüllen.

 

3. Wie kann mein Unternehmen sein Geschäftsmodell, seine Produkte oder Dienstleistungen so verändern, dass sie den Konsumenten einen nachhaltigen Lebensstil ermöglichen?

Die eigenen Geschäftsmodelle rund um nachhaltige Produkte und Services neu zu erfinden, ist wahrscheinlich die größte Herausforderung auf unserer Reise – und nicht einfach von heute auf morgen umzusetzen. Statt also ‚Greenwashing’ zu betreiben und sich über ‚Social Media‘ gegenseitig zu beschimpfen, sollten Hersteller und Konsumenten lieber einen Pakt schließen und sich gemeinsam auf die Reise zu einem nachhaltigeren Lebensstil machen.

 

4. Wie kann mein Unternehmen seine Bestimmung und sein Angebot in eine authentische, bedeutungsvolle, differenzierende und glaubwürdige Markenstrategie und -story übersetzen? Früher reichte es im Marketing aus, sich auf ein attraktives und relevantes Markenversprechen zu konzentrieren. Heute leben wir aber in einem Zeitalter der Transparenz, in dem der Einfluss von ‚Social Media’ genauso relevant ist wie der von ‚Paid Media’ – aber von den Unternehmen nicht zu kontrollieren. Marketingverantwortliche sollten sich deshalb vielmehr darauf fokussieren, wie sie ihre Versprechen auch tatsächlich einlösen können – und nur solche Versprechen machen, für die sie auch garantieren können.

 

5. Wie kann mein Unternehmen seine ‚Brand Story‘ und sein Markenversprechen tatsächlich einlösen und ein durchgängig attraktives und in sich stimmiges Kundenerlebnis über alle Berührungspunkte hinweg sicherstellen?

Viele Unternehmen kennen nicht einmal sämtliche ihrer Berührungspunkte mit ihren Kunden bzw. die ‚Customer Journeys‘, die unterschiedliche Kunden- und Bezugsgruppen mit ihrem Unternehmen und ihren Marken durchleben. Sie wissen nicht, welche Berührungspunkte für ihre Kunden besonders wichtig sind, welche von diesen eine Differenzierung im Wettbewerb ermöglichen und in welche sie im Sinne eines optimalen ROI gezielt investieren sollten. Die größte Herausforderung für viele Unternehmen wird aber sein, die ‚Customer Journeys’ ihrer unterschiedlichen Kunden- und Bezugsgruppen gezielt und effizient zu steuern. Denn viele Unternehmen denken und handeln immer noch als Silos.

Auf all diese Fragen gilt es konkrete Antworten zu finden. Um den sich vollziehenden Paradigmenwechsel erfolgreich zu überleben, sich nachhaltig zu differenzieren und neues Wachstum zu generieren.

Und während wir beginnen zu begreifen, wie wir der Wandel werden können, den wir alle gerne sehen wollen, wird auch immer klarer, dass dieser Prozess teilweise eine lange und steinige Reise sein wird. Allerdings sollten wir dies nicht als eine Bedrohung, sondern als eine Chance begreifen. Wir sollten darin eine gemeinsame Reise von Unternehmen und Kunden sehen, die nicht anstrengend und schmerzhaft sein muss, sondern die hoffnungsvoll sein und zunehmend Freude und Erfüllung bereiten kann. Denn es geht nicht nur darum, die Schäden aus der Vergangenheit zu beseitigen, sondern eine neue, bessere Zukunft zu schaffen.

Aus Sicht des Marketings ist dabei spannend zu begreifen, dass sich die Anforderungen an eine erfolgreiche Markenführung in der heutigen Welt nachhaltig verändert haben – und doch gleich geblieben sind. Der Fokus verschiebt sich jedoch im beschriebenen Sinne weg von der kommunikativen Vermittlung eines Versprechens hin zu dessen täglicher operativer Einlösung auf allen Ebenen. Natürlich heißt das nicht, dass Kommunikation nicht mehr attraktiv und relevant sein muss. Im Gegenteil. Aber sie muss auf eine vollkommen andere Art gestaltet werden. Und das bedarf der Bereitschaft, sich als Unternehmen nachhaltig zu verändern, um weiterhin erfolgreich am Markt zu agieren.

Gandhi hatte recht, als er sagte: „Wir müssen der Wandel sein, den wir in der Welt sehen wollen.” Es liegt an uns zu entscheiden, ob wir diesen Prozess aktiv gestalten oder nur Zuschauer bleiben wollen. Denn in Zeiten des Wandels werden diejenigen zu Gewinnern, die am schnellsten und konsequentesten handeln.

 

Foto: „Treffpunkt“ | time. | photocase.de

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